Ingolstädter Jazztage:Wollust des Retro

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Selbst die alten Kämpen Mike Stern (links) und Dave Weckl bewiesen in Ingolstadt jugendliche Begeisterung. (Foto: Josef Heinl / Jazztage Ingolstadt)

Musiker hautnah bei den "Jazzpartys" der 34. Ingolstädter Jazztage

Von Oliver Hochkeppel, Ingolstadt

Wer am vergangenen Samstag zur ersten der beiden "Jazzpartys" der Ingolstädter Jazztage ging, der musste gleich an zwei Einlasskontrollen vorbei: Am Ticketabreißer und an Mike Stern, der hinter einem Tisch jedem seine Hand entgegenstreckte und rief: "Kauft meine brandneue CD! Ich signiere sie auch." Gehört doch zu den Eigenarten dieses auch schon zum 34. Mal veranstalteten Festivals, dass man hautnah auf Weltstars trifft. Zumindest bei den "Jazzpartys" im NH Hotel, die das Kernstück der Veranstaltung darstellen. Musiker, Team und Publikum begegnen sich in den schmalen Gängen ständig , sind sich in den zwei zu Konzertsälen umfunktionierten Räumen so nah wie selten. Das schweißt zusammen.

Wobei das natürlich alles nicht so funktionieren würde, wenn Festivalleiter Jan Rottau nicht stets ein spannendes Paket für die jeweils vier Konzerte pro Abend schnüren würde. Fast immer mixt er Stars vorzugsweise aus dem Fusion-Bereich mit frischen Gesichtern, die es noch zu entdecken gilt. Sogar Schwerpunkte setzt er dabei: Im vergangenen Jahr standen Bassisten im Mittelpunkt, heuer Schlagzeuger. Einmal Billy Cobham, der dem Jazz-Schlagzeug Anfang der Siebzigerjahre den Bombast beibrachte, mit Double-Bass-Drum und einem Arsenal an Toms und Becken. Mit einer Neuauflage seines legendären "Crosswinds"-Projekts von 1974 kam er nun nach Ingolstadt, sozusagen ein Stück Jazz-Geschichte zum Anfassen. Wobei der Vergleich mit der inzwischen fast komplett verstorbenen Ur-Besetzung (George Duke, Michael Brecker, John Abercrombie) unfair gewesen wäre.

In die Schlagzeug-Kategorie konnte man auch den Auftritt von Mike Stern rechnen, war er doch wieder mal in Begleitung seines alten Buddys Dave Weckl. Zu dessen Power-Drumming-Show pilgerten vor 20 Jahren ganze Schlagzeug-Klassen. Erstaunlich, dass Stern und er diesmal am Ende stark in Richtung Blues und R'n'B abbogen. Nimmt man noch den 84-jährigen Manu Dibango mit seinem diesmal mit viel Südamerikanischem angereicherten Afro-Party-Mix, den Schlusspunkt des zweiten Abends dazu, dann war bis dahin alles ein wenig Retro, etwas aus der Zeit gefallen. Selbst Deutschlands wichtigster Drummer der mittleren Generation, Wolfgang Haffner, verlor sich mit "Kind of Spain", seiner Hommage an spanische Musik" (Ibiza ist seit langem seine Wahlheimat) ein bisschen ans Überkommene - wenn auch ein unerwartet radikaler Minimalismus streckenweise begeisterte (am 8. November ist er im Münchner Ampere zu sehen). Schön wäre an einer Jazz-Nights-Stelle ein Vergleich mit den Filigran-Polyrhythmikern der jüngsten Generation gewesen.

Immerhin stand mit LaToya Kennedy und ihrer Kennedy Administration (am 12. im Bayerischen Hof in München zu sehen) eine junge, interessante Vertreterin der Neo-Souljazz-Welle auf der Bühne. Auch da wurde das Rad nicht neu erfunden, aber die Präsenz der extrovertierten, mitunter an Dinah-Washington oder Esther Phillips erinnernden Powerfrau war mitreißend. Interessant war auch das Solo-Piano der Koreanerin Younee, weil sie sich, von der Klassik kommend, fast kindlich spielerisch an geradezu populistische Harmonien und Themen traut, vor denen die meisten Jazzer zurückschrecken. Freilich erliegt sie dabei mitunter dem Drang zum Tönen und dem Hang zum Kitsch.

So blieb es einem anderen Routinier vorbehalten, für den zwischen Tradition und Avantgarde, zwischen Alt und Jung vermittelnden Höhepunkt zu sorgen: Starbassist Marcus Miller zog alle im Saal nicht nur mit seinem vitalen Funk- und Afro-Jazz in seinen Bann, sondern wieder einmal mit einer herausragenden jungen Begleitband (Russel Gunn etwa erweiterte die lange Liste seiner Ausnahmetrompeter). Der Clou aber: Für zwei Stücke stieg dann Mike Stern mit ein, mit dem Miller ja einst bei Miles Davis gespielt hatte. Und diese spontane Begegnung brach jeden festen Rahmen auf, öffnete den Raum und dem Moment für sensationelle Improvisationen. Ein geradezu wollüstiges Erlebnis, ein Jazz-pur-Moment, von dem es nächstes Jahr ruhig mehr geben darf.

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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