Im TV: "Todsünde":Ein großer Fang

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Der sonderliche Ermittler Polonius Fischer - gespielt von Hanns Zischler - war früher Mönch und ergründet nun Mörderseelen im ZDF. Göttlicher Beistand erbeten.

Simon Feldmer

Man weiß, wer es war, den ganzen Film über. Man schaut den Mördern dabei zu, wie sie ihre Opfer töten. Im Heuschober am See erwürgt ein der Realität seltsam entrückter Mann namens Sebastian Flies (Christoph Waltz) eine Frau.

Ein seltsamer Sonderling: Kommissar Polonius Fischer (Hanns Zischler). (Foto: Foto: ZDF/Walter Wehner)

Der andere, Jonathan Badura (Matthias Brandt), wäscht sich wenig später das Gesicht im Bad, während im Nebenzimmer der Stuhl unter den Füßen seiner Geliebten umkippt. Man sieht die Gesichter der Männer, ihren Schweiß, und weiß doch nichts über sie. Man blickt in ihre Abgründe, doch ein wirkliches Erkennen scheint unmöglich.

Was muss im Leben eines Menschen passiert sein, damit er sich über das Leben anderer erhebt? Welches Schicksal macht den einen zum Mörder, den anderen zum Opfer? Es sind Fragen wie diese, die Hauptkommissar Polonius Fischer (Hanns Zischler) treiben - und die den Zuschauer dieses Thrillers bis zum Schluss in Atem halten, obwohl doch die Krimi-Regel Nummer Eins, das Verschleiern des Täters, so früh außer Kraft gesetzt wird.

Der etwas andere Fernsehkommissar

Steht Fischer, der ehemalige Mönch, in seinem zweiten Leben als Kommissar vor den Toten, den Mordopfern oder Selbstmördern, den Übriggebliebenen, den Einsamen und Verlassenen, schließt er oft die Augen. Vielleicht, um nicht alle Hoffnung fahren lassen zu müssen.

"Todsünde" heißt der Thriller von Regisseur Matti Geschonneck und Drehbuchautorin Hannah Hollinger. Ihre Adaption des Romans "Idylle der Hyänen" leitet im ZDF am Montag eine Reihe von Romanverfilmungen des Münchner Schriftstellers Friedrich Ani ein - mit einem der ungewöhnlicheren Fernsehkommissare der vergangenen Jahre im Mittelpunkt.

Polonius Fischer ist einer, der seinen Kollegen aus Büchern vorliest, ohne Erklärung seine Assistentin küsst und Verdächtige mehr durch seine Anwesenheit als durch geniale Ermittlerzüge zum Reden bringt. Mit den Eltern eines Opfers beginnt er zu beten: "Meine Zuflucht bist du, oh Herr, mein Anteil im Land der Lebenden. Vernimm doch mein Flehen, denn ich bin arm und elend . . . " Auch die beiden älteren Menschen schließen die Augen.

"Für einen Krimi ist das schon ganz schön abgefahren", sagt Hanns Zischler. Der 61-Jährige ist keiner dieser Schauspieler, die jede ihrer Rollen wortreich auserklären müssen. Fragt man ihn zu seinem Verhältnis zur Religion und zu seiner Jugend in einem evangelischen Internat im katholischen Ingolstadt, sagt er einfach: "Das prägt einen." Inwiefern? "Mehr kann ich dazu nicht sagen."

Ambivalente Charaktere

Zischler hat seit den siebziger Jahren mit vielen Großen gearbeitet, mit Wim Wenders, Claude Chabrol, Jean-Luc Godard. In Steven Spielbergs Agententhriller "München" über das Olympiaattentat 1972 war er ein Frankfurter Antiquitätenhändler und Schläfer des Mossad, in der deutsch-französischen Koproduktion "Die Hetzjagd" der Nazischlächter Klaus Barbie.

Zischlers Figuren sind meist besonders, mindestens ambivalent. Und so ist es nur konsequent, dass sein erster Fernsehkommissar ein seltsamer Sonderling ist. Zischler spielt diesen Polonius Fischer in "Todsünde" so kantig, wie ihn sich sein Schöpfer Ani wohl am Schreibtisch ausgemalt hat, in einem bis in die Nebenrollen herausragenden Ensemble - neben Waltz und Brandt, und der immensen Präsenz ihrer fragilen, manischen Charaktere, die das Böse nicht sehen, obwohl sie es selbst verkörpern.

Dabei hat Zischler keinen Ani-Krimi gelesen. Er lese selten Krimis, sagt er. Aufrecht sitzt Zischler auf einer grünen Parkbank im Münchner Olympiapark, die Hände stecken in den Manteltaschen. Er wirkt konzentriert, beschränkt sich auf das Wesentliche. Er sagt, er möge Gespräche, die auf den Punkt kommen.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Autor Friedrich Ani zum geschätzten Vorlagen-Geber des ZDF avancierte.

Etwas weiter oben am Hügel laufen die Dreharbeiten für die nächste Ani-Verfilmung "Hinter blinden Fenstern". Ani, der in seinen verwinkelten Krimigeschichten das München jenseits der Maximilianstraße durchkämmt und dabei das Abseitige, das Traurige, das Verlassene findet, hat sich in der ZDF-Fernsehspiel-Redaktion einen hohen Stellenwert erarbeitet. Viele seiner Romane, meist mit namhafter Besetzung und Regie, werden dort mittlerweile verfilmt.

Das war nicht immer so. Vor einigen Jahren war Reinhold Elschot, Geschäftsführer der ZDF-eigenen Produktionsfirma Network Movie und von Sommer 2009 an stellvertretender Programmdirektor des ZDF, für eine Woche im Besitz der Rechte von Anis Tabor Süden-Reihe. Doch im Sender glaubte man damals nicht an einen Erfolg.

Der wachsende Ruhm des Autors, die zahlreichen Preise, die steigenden Verkaufszahlen haben ein Umdenken bewirkt. Denn nicht nur die Figur Polonius Fischer schafft es nun ins Fernsehen. Im nächsten Jahr werden im ZDF auch zwei Tabor Süden-Geschichten mit Ulrich Noethen in der Hauptrolle gesendet. Regie führen Martin Enlen (Kommissar Süden und das Geheimnis der Königin) und Dominik Graf (Kommissar Süden und der Luftgitarrist).

Autodidakt der Künste

"Ani hat einfach einen Lauf", sagt der verantwortliche ZDF-Redakteur Daniel Blum. Er sei ein Schriftsteller, der in seiner Prosa schon einen filmischen Blick miterzähle, der aufgrund der Originalität seiner Figuren, der Bildmächtigkeit seiner Szenen und der wirklich genialen Dialoge bei Verfilmern so beliebt sei. Im ZDF, das ist schwer zu überhören, hält man Ani für einen großen Fang.

Auf dem Olympiaberg ist Zischlers Drehpause vorbei. Jogger laufen auf einem schmalen Weg nach oben, Regisseur Geschonneck ruft laut "Bitte", und Kameramann Charlie Koschnick fährt auf seinem Kamerawagen langsam an den Ort des Verbrechens heran.

Zischler steht als Polonius Fischer wieder neben seiner Assistentin Liz Sinkel (Lisa Maria Potthoff), die in gepflegtem Oberbayrisch die ersten Erkenntnisse über die nächste Leiche referiert. Eine Frau wurde ermordet. Zischlers Blick geht zu Boden, seine Hände stecken wieder in den Manteltaschen, er spricht seine Sätze in tiefem Zischler-Sound. "Es ist mir nicht ganz fremd, so zu agieren wie Polonius Fischer, aus einer gewissen Bedenklichkeit heraus", sagt er.

Über der Aussichtsplattform fliegen die Zugvögel. Zischler schaut nach oben und bedauert, dass er seine Fotokamera nicht dabei hat. Der gebürtige Nürnberger ist ein Sammler, ein Autodidakt der Künste: Er schreibt, fotografiert, gestaltet Ausstellungen. Seine Rollen nennt er Spielaufgaben. Er wählt sie nach dem Ausschlussprinzip aus: "Ich nehme an, was halbwegs vertretbar ist", sagt er, auch auf die Gefahr hin, arrogant zu klingen, kurz bevor er am Ende des Drehtags ins Taxi steigt. Er meint das nicht so. "Es gibt eben viele Rollen, die nicht vertretbar sind, die nichts mehr hergeben, weil das Filmschema zu stereotyp ist."

Man soll sich also nicht wundern, dass es so lange gedauert hat, bis er seinen ersten Kommissar im Fernsehen spielt. Und "Todsünde" erzählt vieles anders als andere Krimis.

Todsünde, ZDF, 20.15 Uhr.

© SZ vom 24.11.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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