Im Schwere Reiter:Tag-und Nachtschatten

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Ganz für sich und hoch konzentriert: Mirko Guido tanzt in "Island Of Only Oneland" auch eine Künstler-Parabel. (Foto: oh)

Ein gelungenes Beispiel für die Nachwuchsarbeit des Landesverbands für zeitgenössischen Tanz: die Performance "Island Of Only Oneland"

Von Eva-Elisabeth Fischer

Speziell beim Tanz, da meistens abstrakt, empfiehlt es sich, das Programmheft erst danach zu lesen. Zum einen, um sich nicht manipulieren zu lassen. Zum anderen, um sich im Zweifelsfall darüber zu amüsieren, inwieweit die Vorstellungen des Künstlers und das Bühnengeschehen auseinanderklaffen. Umso erstaunlicher ist es, nach einer Aufführung genau das zu lesen, was man wahrgenommen und empfunden hat. Eine seltene, beglückende Erfahrung. Just im Schwere Reiter war das so bei der Uraufführung eines Tanzsolos. Dessen Titel "Island Of Only Oneland" suggeriert, dass es um Einsamkeit geht. Und da man von Japanern schon die seltsamsten Dinge gehört hat, zum Beispiel, dass Lebensmüde einen bestimmten Felsen bevorzugen, um sich von diesem ins Meer zu stürzen, wundert einen auch der Hintergrund dieser Künstlerparabel nicht.

Der Choreograf Moritz Ostruschnjak paraphrasiert darin einen Seinszustand, der im Japanischen Hikikomori heißt und ein Phänomen bezeichnet, wonach sich Jugendliche so stark von der Welt isolieren, dass sie nicht mehr zwischen Tag und Nacht unterscheiden können und als Eremiten in den eigenen vier Wänden bestimmte Alltagsrituale entwickeln. Zunächst sieht man nicht viel, nimmt Platz auf einer Tribüne, schaut auf eine zweite direkt gegenüber, auf einen Bildschirm davor und, wenn man den Kopf nach links dreht, auf einen zweiten an der Stirnseite. Auf Monitor 1 wechseln die Porträts direkt in die Kamera schauender Frauen. Monitor zwei zeigt die nackte weiße Wand dahinter, an der, meist unbemerkt, ein Mann entlangschlüpft.

Musik setzt ein, ein Streicherschwirren wie von einem anderen Stern, romantische Klangfolie unter elektronischen Sirenenschleifen. Vor der zweiten Tribüne wälzt sich ein Mann und zupft an seinem T-Shirt herum. Auch er ist kein Japaner, sondern Mirko Guido, ein aschblonder italienischer Choreograf und Tänzer, der in der Folge in einem hoch konzentrierten Bodenexerzitium der Langsamkeit mit kleinsten Bewegungen vorführen wird, wie schwierig es in schlaflosen Nächten ist, die richtige Schlafposition zu finden: Schultern und Arm, konträr zur eingedrehten Hüfte. Hin und her. Rumpfdiagonale. Dazu ein bruitistischer Klangeinschlag in der Edgar-Varese-Nachfolge, aleatorisches Klanggewimmel, dann hart gezupfte Cello-Saiten über Bläserdauerton als Auflösung. Der Mann windet sich wie eine Schlange, vielleicht ist er regrediert zum Reptil in diesem solipsistischen Nichts, in dem er sich spärlich bewegt, die Fußkanten einknickt.

Die Videobilder überlagern sich, Live-Szenen mit Zuspielungen als Vervielfachung des Bühnengeschehens. Der Mann gleitet, kontrolliert der Schwerkraft gehorchend, in Zeitlupe die Stufen der Tribüne hinunter, völlig passiv. Erst unten angekommen, erwacht in ihm Energie und E-Gitarre, Bass und Percussion rocken los. Er pumpt sich auf, ganz geballte Muskelkraft, spielt fingernd auf seiner Rippenklaviatur. Tanzen kann er wie der Lump am Stecken, von Charlotte Marr stimmungsvoll beleuchtet, dabei jedes Gelenk einzeln rotieren lassend im Rhythmus der Nacht, im dem der "Rhythm Of My Life" discomäßig pulst. Der Tanz ist toll, ebenso wie der Sound von 48nord, Ulrich Müller und Siegfried Rössert. Man bleibt gebannt dabei.

Island Of Only Oneland ermöglicht hat der Bayer. Landesverband für zeitgenössischen Tanz. Wer ähnlich tolle Projekte hat, in Bayern lebt, Choreograf oder Veranstalter ist, kann bis 15. Dezember Förderung beantragen. Info: www.blzt.de

© SZ vom 30.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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