Im Kino:Sex als Währung

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Die Quadratur der Liebe: "Hautnah", der neue Film von Mike Nichols, mit Julia Roberts und Jude Law erhitzt amerikanische Gemüter.

Von Tobias Kniebe

Die Wahrheit also, darauf läuft es hinaus: Ist sie das Fundament des Vertrauens, das Lebenselixier der Liebe? Oder doch eher ein Instrument der Inquisition, das schreckliche Details beleuchtet, die besser im Dunkeln geblieben wären? Die Frauen in "Hautnah" kennen die Gefahr: Warum willst du das wissen? fragen sie, mehr als einmal, Verzweiflung in der Stimme. Aber die Männer lassen nicht locker, ihre Phantasie verlangt Stoff. "Weil ich süchtig danach bin. Weil die Wahrheit das Einzige ist, was uns Menschen von den Tieren unterscheidet.""So spricht Dan (Jude Law), der Journalist und gescheiterte Schriftsteller - und vielleicht glaubt er sogar wirklich daran.

Leicht entflammbar: Jude Law mit Filmpartnerin Roberts (Foto: Foto: ddp)

Die Wahrheit, die er dann bekommt, wird allerdings seine letzte Hoffnung auf Liebe zerstören. Fragen kann man viel, das ist der einfache Teil: Hast du mich je geliebt? Hast du es mit ihm getrieben? Schmeckt sein Sperma besser als meins? Die Antworten sind es, mit denen man dann allein klarkommen muss.

Mike Nichols' "Hautnah ("Closer") redet Klartext und stürzt sich kopfüber in die heißen Themen von Sehnsucht und Eifersucht, Verführung und Täuschung, Sex und Macht. Und doch ist der Film fast eine mathematische Versuchsanordnung, kühl und symmetrisch wie ein Schneekristall.

Vor und zurück und im Kreis herum

Es gibt vier Figuren, zwei Männer, zwei Frauen - alles andere ist Kulisse, sogar die Menschen in den Straßen Londons. Der englische Dramatiker Patrick Marber hat dieses Quartett fürs Theater erfunden und nun für den Film adaptiert: Paare in wechselnden Konstellationen, Liebe, Hass, Anziehung, Abstoßung, Konkurrenz - das ergibt, streng nach Adam Riese, sechs Beziehungen. Und genauso streng werden diese Möglichkeiten auch durchgespielt - oder besser gesagt, ihr Anfang und ihr Ende.

Marber und Nichols sind an den ersten Begegnungen und an den Abschiedsworten interessiert - Zeiten der Normalität, des temporären Glücks vielleicht sogar, werden großzügig übersprungen. Und so unterschiedlich ihre Figuren jeweils zusammenfinden, eines ist immer gleich: Sie reden scharfzüngig über Sex, Gefühle und Identitäten - aber die volle Wahrheit sagen sie nie.

Zum Beispiel Alice (Natalie Portman), die junge Amerikanerin: Sie hatte sich gleich ein ganz neues Ich zugelegt, als sie in London ankam. Es macht ihr nichts aus, ihre Gefühle und auch ihren Körper zu entblößen, zeitweise arbeitet sie sogar als Stripperin. Aber trotzdem behält sie etwas Ungreifbares, das die Männer wahnsinnig macht. Dan, der Journalist, gewinnt ihr Herz als großer Romantiker, verschweigt aber, wie leicht er auch sonst zu entflammen ist: Der kühlen Fotografin Anna (Julia Roberts) legt er ebenfalls sein Leben zu Füßen. Deren Ehemann Larry (Clive Owen) sieht dabei zunächst wie der lächerliche Verlierer aus, erweist sich aber dann, als es um das Unterzeichnen der Scheidungspapiere geht, als zäher Kämpfer und Taktiker, der aus dem Tauschwert Sex eine neue Zeitbombe bastelt... Womit nicht einmal die Hälfte der Geschichte beschrieben wäre. Es geht vor und zurück und im Kreis herum, und am Ende jeder Episode läuft es wieder auf die Frage nach der Wahrheit hinaus: Wird sie ein Mittel der Befreiung sein - oder doch nur eine Waffe für neue Verletzungen?

Geschlechterkampf von gestern

In den USA, wo "Hautnah" fünfmal für den Golden Globe nominiert ist und auch als Oscar-Kandidat gilt, erhitzt die heißkalte Direktheit des Films die Gemüter.

Sex ist zwar gar nicht zu sehen, aber in einem Land, das seiner Öffentlichkeit nicht einmal das Fluchen erlaubt, reicht schon der Sextalk aus dem Mund von Julia Roberts für das Flair des Verruchten - und überall heißt es, der 73-jährige Nichols habe die Schärfe seiner frühen Geschlechterkampf-Szenarien wiedergefunden, besonders die von "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?".

Die allseits konstatierte "Sexbesessenheit" trifft den Kern des Films allerdings nicht wirklich: Ginge es nur um Sex, müsste sich als erstes der Blick auf den eigenen Sozialstatus eintrüben - etwa so wie in der klassischen Affäre mit der Wurstbudenverkäuferin, bei der ein Mann zuerst seine Ehe, dann sein halbes Vermögen und schließlich fast alle Freunde verliert. Nein, hier definieren sich Männer wie Frauen darüber, dass sie attraktive und begehrte Wesen aus dem eigenen Umfeld erobern und gefühlsmäßig dominieren wollen; und das ist etwas völlig anderes. Sex ist dabei das Äquivalent der Wahrheit, die Währung, in der schließlich bezahlt werden muss. Ob der Vollzug dann auch noch Spaß macht, spielt dabei fast keine Rolle mehr.

Und genau an diesem Punkt beginnt der Film sich auch, bei aller Brillanz im Detail, irgendwie überholt anzufühlen. Das merkt man besonders, wenn man Natalie Portman zuschaut, 23 Jahre alt, der jüngsten Protagonistin. Sie stürzt sich mit Verve in ihre Rolle und vertraut ihrem Regisseur total - aber man hat doch das Gefühl, dass sie sich zwischendrin ratlos fragt, was in Gottes Namen diese Figuren eigentlich antreibt. Das Bühnenstück, auf dem der Film basiert, hatte 1997 in London Premiere. Die Zeit, die seitdem vergangen ist, nutzte die Natalie-Portman-Generation zum Erwachsenwerden. Eine bemerkenswert lässige und unaufgeregte Generation - und es gibt tatsächlich noch keinen Filmemacher, der glaubhaft aus ihrem Inneren heraus erzählen könnte. Auch diese Generation kennt ihre Geschlechterkämpfe, ganz klar, auch sie kennt die heilende wie zerstörende Kraft der Wahrheit in den Verwicklungen der Liebe.

Nur die geheime Idee von "Hautnah", dass es in solchen Kämpfen tatsächlich Gewinner geben könnte - die ist in den letzten sieben Jahren restlos aus der Mode gekommen.

CLOSER, USA 2004 - Regie: Mike Nichols. Buch: Patrick Marber, nach seinem Bühnenstück. Kamera: Stephen Goldblatt. Schnitt: John Bloom, Antonia Van Drimmelen. Mit: Natalie Portman, Jude Law, Julia Roberts, Clive Owen. Columbia, 110 Minuten.

© SZ vom 13.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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