Im Kino: "Eine unbequeme Wahrheit":Al-Gore-Home-Video und Doku-Film in einem

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Muss ein Film über die Klimakatrophe gleich langweilig sein? Keineswegs. Al Gore bekehrt die Amerikaner mit seinem Doku-Film zum Umweltschutz - und kann prominente Erfolge feiern. Jetzt kommt der Film nach Deutschland.

Rainer Gansera

Keiner gab dem Projekt eine Chance: ein Dokumentarfilm über einen US-Präsidentschaftskandidaten, der nach seiner Niederlage mit einer Dia-Show durch die Lande tingelt, um über so unangenehme Dinge wie globale Erwärmung und die dramatisch sich abzeichnende Klimakatastrophe anhand von Fotos, Tabellen und Grafiken zu sprechen.

Al Gore in dem Dokumentarfilm 'Eine unbequeme Wahrheit' von Davis Guggenheim. Der Dokumentarfilm schildert die Kampagne des ehemaligen amerikanischen Vizepraesidenten Al Gore, mit der er auf die anbahnende Klimakatastrophe hinweisen will. (Foto: Foto: ddp)

Doch natürlich kam alles ganz anders. Davis Guggenheims "An Inconvenient Truth" erhielt beim Sundance-Festival standing ovations, wurde nach Cannes eingeladen und spielte bislang in den Kinos der USA 24 Millionen Dollar ein. Der New Yorker sprach vom "wichtigsten Film des Jahres", der Starkritiker Roger Ebert formulierte ultimativ: "In den 39 Jahren meines Filmkritikerdaseins habe ich diese Worte noch nie geschrieben, aber hier sind sie: Sie schulden es sich selbst, diesen Film zu sehen. Wenn Sie es nicht tun, und Enkelkinder haben, sollten Sie ihnen Ihre Entscheidung erklären!" Auch erste Bekehrungen gab es. Der republikanische Gouverneur Arnold Schwarzenegger versprach nach Besuch des Films, von seinem PS-protzenden Landrover auf ein umweltschonendes Automobil umzusteigen.

Al Gores Ironie und Freiheit von Selbstmitleid

Regisseur Davis Guggenheim (der mit ambitionierten TV-Dokus und preisgekrönten Kult-Serien wie "24" bekannt wurde) ist ein faszinierend-bewegender Film gelungen: informatives Lehrstück, schönes Al-Gore-Porträt, Homemovie und Katastrophenfilm. Zuerst überrascht der melancholische Erzählton.

Bilder einer baumbestandenen Flussbiegung, ein ruhiger Kameraschwenk, dazu Al Gores Kindheitserinnerungen an Badefreuden in den fünfziger Jahren. Ahnungen, dass es solche Flüsse, in denen man unbekümmert baden kann, bald nicht mehr geben wird. Die Schönheit der Szenerie und die trauerdurchwirkte Gelassenheit des Erzählers wirken nachhaltiger, als es jeder Kassandra-Tonfall tun könnte.

Hier spricht jemand, der sich schon als Student für den Klimaschutz engagierte, der als Senator und Vizepräsident zahlreiche Umweltschutz-Initiativen auf den Weg brachte und dabei mehr Niederlagen als Erfolge verzeichnen musste. Er weiß, wovon er spricht, kennt die Argumente der Gegner, hält sich aber nie mit Klagen über verpasste Chancen oder gegnerische Machenschaften auf.

Das ist die zweite Überraschung: Al Gores Ironie und Freiheit von Selbstmitleid. Als hölzern, blass und matt war er verschrien - bei seinen Vorträgen stellt er sich ironisch mit dem Satz vor: "Mein Name ist Al Gore, ich war mal der nächste Präsident der Vereinigten Staaten." Damit ist das Kapitel seiner bitteren Niederlage bei der Präsidentschaftswahl 2000 abgehakt.

Al Gore im Film auch ganz privat

Dann kommt er zur Sache, ironisiert die vielfältigen Mechanismen des Verdrängenwollens, widerlegt die Behauptung vom Ökonomie-Ökologie-Gegensatz, zeigt, dass die vom Menschen verursachte Erderwärmung keineswegs in den Kurven der "natürlichen Klimaschwankungen" zur vernachlässigbaren Welle wird. Besonders eindrucksvoll: die Aufnahmen der schmelzenden Polkappen und Gletscher.

Der Schnee auf dem Kilimandscharo ist verschwunden, und man wird Hemingways Roman mit anderen Augen lesen müssen - ohne seine Schneekrone erscheint der Berg nicht mehr als magischer Sehnsuchtsort. Die Tabellen und Grafiken der Kohlendioxyd-Emissionen werden zu Fieberkurven des Erschreckens.

Dann sieht man Al Gore wieder auf irgendeinem Flugplatz, ohne Bodyguards, unscheinbar unterwegs wie ein braver Passagier, der sein Köfferchen hinter sich herzieht und bei der Kontrolle anstehen muss. Kein Missionar mit schriller Stimme - ein Forschungsreisender, der die Ergebnisse seiner vierzigjährigen Erfahrungen auch in China präsentieren darf.

Zwischendurch erzählt er von Erlebnissen, die sein Leben verwandelt haben: vom Unfall seines kleinen Sohnes, vom Lungenkrebs-Tod der Schwester. Um die Wandlung der Haltungen geht es in "Eine unbequeme Wahrheit": um die Übernahme planetarischer Verantwortung, um die Änderung eines Lebensstils, bei dem die heutige Menschheit mit den fossilen Brennstoffen, die sie in gigantischem Ausmaß durch Schlote und Auspuffe jagt, auch die Lebenschancen zukünftiger Generationen verheizt.

Angesichts dieses Films erscheinen all die anderen Probleme - Terrorismus, Altersfrage, die Nöte orientierungsloser Jugendlicher -, von denen jedes zweite Filmhochschüler-Opus erzählt, fast belanglos. Das Bild einer Flussbiegung, die es bald nur noch in der Erinnerung geben wird, ist aufwühlender.

AN INCONVENIENT TRUTH, USA 2006 - Regie: Davis Guggenheim. Kamera: Bob Richman, D. Guggenheim. Mit: Al Gore. UIP, 96 Minuten.

© SZ vom 12.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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