Im Kino: "8 mile":Hip Hop ist nur ein Wort

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Wie der Film "8 mile" seine Utopien verschenkt

MARC DECKERT

Ein weißer Amerikaner namens Jimmy Iovine, ist wie viele glauben, der mächtigste Mann im Hip-Hop-Geschäft. Keine andere Plattenfirma verdient mit Rappern so viel Geld wie Iovines Label Inter-scope, das unter anderem Eminem unter Vertrag hat und den Nachlass von 2pac veröffentlicht. Im vergangenen Jahr plauderte der Musikmogul in der Los Angeles Times ein wenig über sein Metier und die Gesellschaft im Großen und Ganzen. Heute sei in den USA immer mehr "die Klasse eines Menschen entscheidend und nicht mehr die Rasse", sprach Iovine, "und Hip Hop ist einer der Hauptgründe dafür". Der beste Beweis für die immer geringere Bedeutung von Hautfarben sei schließlich die Existenz eines weißen Rappers, der vom afroamerikanischen Publikum akzeptiert werde.

(Foto: N/A)

Nun, da Eminem in einem Kinofilm einen aufstrebenden Rapper spielt, der genau diese Grenze noch überwinden muss, könnte man über Iovines These noch einmal nachdenken. In "8 Mile" gewinnt der weiße Rapper Rabbit, dank seines grenzenlosen Talents, ein zunächst feindseliges schwarzes Publikum für sich. Er findet nicht nur den Weg in die Herzen schwarzer Jugendlicher, sondern wohl auch aus seinem eigenen "White-Trash"-Ghetto heraus. Auch in der New Yorker Village Voice, die im November unter der Überschrift "Crossover Dreams" eine politische Analyse von Eminems Spielfilmdebüt lieferte, lautete das Fazit, in " 8 Mile" triumphiere "Klasse über Rasse".

Das konnte man auf zwei verschiedene Arten lesen. Schließlich geht es in "8 Mile" einerseits um individuelle Klasse - also um einen Rapper, der seine Kunst so gut beherrscht, dass am Ende seine Hautfarbe unwichtig wird. Andererseits erzählt der Film aber auch von Eminems Herkunft, seiner sozialen Klasse. Sein halbfiktionaler Held lebt in einem weißen Vorort Detroits, jenseits der "8 Mile Road", die die Demarkationslinie zwischen schwarz und weiß, zwischen Innenstadt und Suburbs bildet. Rabbits Umfeld aus Wohnwagensiedlung, Alkoholismus und häuslicher Gewalt ist kaum weniger deprimierend als das Szenario in der verelendeten City. Die Zustände auf beiden Seiten der Grenze ähneln einander. Einmal schleudert Rabbit seinem afroamerikanischen Widersacher bei einem Rap-Wettbewerb entgegen: "And never try and judge me, dude, you have no idea what the fuck I've been through."

Seine Botschaft könnte auch lauten: "Ich bin ein Underdog wie ihr". Doch nicht jeder Kommentator fand daran Gefallen: Die Village Voice warf dem Film eine naive Sichtweise und "Farbenblindheit" vor. Das reale Detroit von heute sei schließlich durch Rassismus so tief ins Chaos geraten. Erst die paranoide Flucht der weißen Bevölkerung in die Suburbs, habe die Verelendung der Innenstädte vorangetrieben.

Ist Rabbits Suche nach Akzeptanz im Ghetto also nur der politisch unkorrekte Traum eines weißen Jungen? Wohl kaum, denn auch das US-Kinopublikum scheint den Film nicht unter hautfarbenspezifischen Vorzeichen zu sehen. Dieser Crossover-Effekt war im November in den Kinosälen zu beobachten: In Gegenden mit einem überwiegend afroamerikanischen Publikum wurden die Battle-Szenen des Films ähnlich aufgenommen wie ein Live-Wettbwerb im Club: mit kurzem Jubel oder Szenenapplaus für jeden besonders gelungenen Reim. Rabbits Spottverse über schwarze Kontrahenten wurden fair bejubelt, solange sie gut waren. In einem Kino in Brooklyn antwortete das fachkundige Publikum spontan mit begeisterten Schreien, als Rabbit den Namen eines Gegenspielers mit einem besonders komplizierten Zungenbrecher verhöhnte.

Um sich diese Farbenblindheit zu verdienen, muss Eminem/Rabbit im Film zunächst aber möglichst oft ausgegrenzt werden. Es sind immer nur seine afroamerikanischen Kontrahenten, die die Rassismus-Karte ausspielen. In den Wettkämpfen wird Eminem/Rabbit abwechselnd als "Nazi" oder "Vanilla Ice" (ein weißer Retorten-Rapper der achtziger Jahre) beschimpft. Das ist hart. Rabbit schlägt vergleichsweise unrassistisch zurück, auch wenn er mal einen etwas muskulösen Gegner als "Snoop Dogg with a boob job" verhöhnt. Diese Scharmützel sind allerdings nur ein Vorspiel. Rabbit gewinnt den Wettbewerb schließlich, indem er seinen Hauptgegner, den Rapper Papa Doc, als Jungen aus der Mittelschicht bloßstellt. Er enttarnt den harten Gangster als Privatschulabsolvent, dessen richtiger Vorname Clarence sei, und dessen Eltern eine glückliche Ehe führten. Damit ist der Gegner diskreditiert. Klasse siegt über Rasse, wahre Street-Credibility über Pose.

Natürlich verkehrt "8 mile" damit ein paar simple Wahrheiten. Die erste: Hip Hop wird immer eine schwarze Kunstform bleiben. Barbra Streisand äußerte einmal, sie könne Rap-Musik nicht besonders gut leiden, weil sie "nicht verstehe, was die sagen". Aber sie möge Eminem: Der sei, wie sie selbst, arm aufgewachsen. Eigentlich ein rassistisches Argument. Viele schwarze Rapper sind arm aufgewachsen. Doch auch Eminem macht nichts anderes als "talking black". Er benutzt die orale Tradition von Afroamerikanern in den USA, einem Medium, das der Rapper Chuck D. von Public Enemy einmal als "das CNN der Schwarzen" bezeichnet hat. Deshalb kann Hip Hop niemals ein wirklich farbenblindes Medium sein, eine Universalsprache für Unterprivilegierte aller Hautfarben. Niemand weiß das besser als Eminem, der diese Mechanismen in seinen Songs stets zum Thema macht.

So kann am Ende auch die politische oder utopische Lesart des Prinzips "Klasse triumphiert über Hautfarbe" nicht funktionieren. Natürlich ist es ein berührender Moment, wenn Eminem/Rabbit als Sieger auf der Bühne des Clubs steht und die Menge ihm zujubelt. Im HipHop finden die Underdogs von beiden Seiten des Zauns zusammen. Man könnte auch sagen: Die Verlierer emanzipieren sich, indem sie den Rassendiskurs hinter sich lassen und sich als Klasse verstehen. Doch das wäre alles ein bisschen zu viel verlangt von "8 mile", von Hip Hop sowieso. Eine klassenkämpferische Ader hatte Hip Hop schon seit den achtziger Jahren nicht mehr. Im letzten Jahrzehnt war Hip Hop in den USA zunehmend eine Domäne von Bohemiens, die das gute Leben schätzten und individuellen Aufstieg predigten. Der Hip-Hop-Entrepreneur, dem durch eigene Geschäftstüchtigkeit der Weg aus dem Ghetto nach oben gelang, war das gängige Modell. Auch "8 mile" kann diesem Zeitgeist nicht entfliehen. Nach jenem magischen Massen-Moment im Hip-Hop-Club zieht Rabbit alleine weiter. Er weiß: Er kann es schaffen - wenn er nur sich selbst vertraut.

Hier endet die Klassenlogik des Films. Unser Held ist bereits auf dem Weg zur nächsten Stufe. Der Rest ist Geschichte: 30 Millionen verkaufte Alben. In seinem großen Eminem-Artikel im New York Times Magazine fand der Autor Frank Rich vor kurzem eine einfache Begründung für die grenzenlose Anziehungskraft des Rappers: Man sei schließlich "in einem Land, in dem kaputte Familien, fehlende Eltern und Schlüsselkinder in jeder sozialen Schicht vorkommen." Mit anderen Worten: Eminem ist eine wahre Crossover- Maschine. Ein Meister aller Klassen.

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