Im Interview: Internet-Vordenker Nicholas Negroponte:Erfolg ist der Feind

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Nicholas Negroponte ist einer der Vordenker der Digitalen Revolution. Sein Buch "Being Digital" gilt als Bestseller. Derzeit macht mit dem 100-Dollar-Laptop für die Dritte Welt von sich reden. Im Interview spricht er über den den Wert von Informationen.und zieht Bilanz darüber, was geworden ist aus der Revolution.

Bernd Graff und Hans-Jürgen Jakobs

Nicholas Negroponte, 63, war als Gründer und langjähriger Leiter (1985- 2006) des Media Labs am Massachusetts Institute of Technology (MIT) einer der Vordenker der digitalen Revolution. Sein Buch Being Digital (1995) gilt als eine Art Bibel der Branche. Der Sohn eines griechischen Reeders hat die Zeitschrift Wired mitgegründet. Inzwischen beschäftigt er sich damit, 100-Dollar-Laptops in Schwellenländer zu bringen - die Kinder in den Schulen sollen damit lernen. Mitte des Jahres sollen Staaten wie Brasilien und Thailand den Anfang machen. Negroponte weilte Anfang der Woche in München beim ,,Digital Lifestyle Day'' von Hubert Burda Media.

Ich werde nie mehr ein Buch schreiben. Ich will die 100-Dollar-Laptop-Sache zum Erfolg machen. Das ist meine Mission. (Foto: Foto: AP)

SZ: Professor Negroponte, Sie haben Ihre letzte Kolumne für die Zeitschift Wired im Jahr 1998 geschrieben - und darin behauptet, die digitale Revolution sei vorüber. Doch die wirklich großen Innobvationen wie Google, Skype oder Youtube gab es danach. Haben sie sich getäuscht?

Nicolas Negroponte: Absolut nicht. Ich habe schon damals geschrieben, dass die Revolution vorbei ist, aber sich nach der Revolution eine neue Kultur etabliert. Die Phänomene, die Sie da nennen, sind nicht revolutionär. Die Möglichkeit, über das Internet zu telefonieren, gab es schon zehn Jahre, bevor Skype einen Durchbruch erzielte. Suchmaschinen gab es auch schon vor Google. Am jetzigen Erfolg dieser Entwicklungen kann man erkennen, dass wir es jetzt mit dem Erblühen einer etablierten Kultur zu tun haben.

SZ: Hat es Ihnen zu lange gedauert, bis sich diese Kultur etabliert hat?

Negroponte: Das kann man so nicht sagen. Die Dinge brauchen eben ihre Zeit. Sie müssen Trend werden, Mode, man benötigt eine kritische Masse. Das hat nicht mit dem Metabolismus der Technologie zu tun, sondern mit der Absorptionsfähigkeit des Vorhandenen: Wie bereit ist eine etablierte Kultur für das Neue?

SZ: Hat das Platzen der Dotcom-Blase zu Beginn des Jahrtausends die Entwicklung zu dieser digitalen Kultur stark behindert?

Negroponte: Die ökonomische Krise der so genannten New Economy hatte eine reinigende Wirkung. Denken Sie daran: Der Erfolg ist Ihr schlimmster Feind. Wir waren Ende des letzten Jahrtausends, da nehme ich mich nicht aus, so euphorisch, dass wir den Boden unter den Füssen verloren haben. Der folgende Crash war nur heilsam.

SZ: Kann es wieder zu einem solchen Rausch, zur Verblendung kommen?

Negroponte: Inzwischen hängen die Entwicklungen des Netzes von wesentlich mehr Leuten ab - und sie sind nicht mehr ausschließlich von ökonomischen Interessen getrieben. In den Neunziger Jahren waren es vielleicht 500 Menschen weltweit, die die Entwicklung dieser Kultur über ihre Investitionen steuerten. Als sie sich zurückzogen, brach die Lawine los. Inzwischen herrschen auch im Netz ganz normale ökonomische Gesetze, es ist nicht mehr abhängig von der Sprunghaftigkeit von Finanz-Oligarchen.

SZ: Diese Kultur ist doch aber in erster Linie eine der Ersten Welt - davon haben die Schwellenländer gar nichts. Wem nutzt Youtube, wenn die Wasserversorgung nicht gesichert ist. Hat diese neue Kultur den ,,Digitalen Graben'' nicht sogar breiter gemacht?

Negroponte: Ja. In Revolutionen werden die Unterschiede größer. Denken Sie nur daran, dass es einen Digitalen Graben auch hier in Deutschland gibt - zwischen den Generationen. Aber selbst in den Entwicklungsländern entstehen seit geraumer Zeit und in wachsenden Maße Internetcafes. Das Netz wird auch dort Teil der Kultur. Ich selber versuche mit meiner Arbeit und dem Verbreiten von 100-Dollar-Computern für Kinder dort anzusetzen und diese Entwicklung zu beschleunigen.

SZ: Aber der Wert, den Information besitzt, ist doch nicht derselbe in der Ersten und der Dritten Welt?

Negroponte: Klar, aber der Wert von Information ist nicht mit Grundbedürfnissen wie dem Atmen und Trinken zu vergleichen. Information heißt, zu lernen, wie man sauberes Trinkwasser aufbereitet und die Luft zum Atmen nicht sinnlos vergeudet. Man kann die Qualität von Wasser aber nicht mit der von Information vergleichen.

SZ: Bedeutet das ,,Post-Informationszeitalter'', von dem Sie sprechen, nicht auch zugleich eine Ära der Kontrolle oder gar der Manipulation von Information? Denken Sie an die Internetzensur in China.

Negroponte: Darauf gibt es zwei unterschiedliche Antworten: Zum einen ist ein zensiertes Internet immer noch besser als gar keines...

SZ: ..Was heißt das?

Negroponte: Wenn man in China die Online-Enzyklopädie Wikipedia blockt oder das Wort ,,Demokratie'' aus den Suchmaschinen tilgt, ist das ungeheuerlich. Aber damit ist das Internet ja nicht abgeschafft, manipuliert oder verboten. Es lässt immer noch Freiräume der Recherche und Informationsbeschaffung. Das zum einen. Zum anderen aber: Es gibt keine Kontrolle im Internet. Man kann darin Entwicklungen verzögern, aber nicht verhindern - weil es immer Wege gibt und die Kreativität der Nutzer, diese zu finden. Im Englischen gibt es eine Redensart: Vorhängeschlösser sind nur für ehrliche Leute gemacht. Man kann sie, wenn man will, umgehen und ihre Wirkung außer Kraft setzen.

SZ: Inwieweit beeinflussen die Entwicklungen im Netz die Entwicklungen der traditionellen Medien? Rupert Murdoch meint, die alten Medien müssten die neuen ,,umarmen''.

Negroponte: Die alten Medien haben gar keine andere Wahl. Wie wollte man heute noch ohne digitale Medien auskommen und publizieren? Unmöglich! Sehen Sie, im Englischen trägt das Wort newspaper für Zeitung das Wort Papier in sich. Das ist heute weder aus umwelttechnischer Sicht noch aus Erwägungen der Informationsweitergabe noch sinnvoll. Diese ganze Papier gebundene Industrie wird verschwinden, Nachrichten aber werden nicht verschwinden.

SZ: Keine Zeitungen mehr?

Negroponte: Klar wird es Zeitungen geben, aber sie werden nicht mehr auf Papier gedruckt sein. Es wird vermutlich ein anderes, elektronisches Trägermedium sein. Dennoch: In zwanzig, dreißig Jahren wird es mehr Journalisten geben als heute, nicht weniger. Die News, die Information wird vermutlich an Wert wachsen, aber nicht das Papier, auf das sie heute noch gedruckt sind. Man will Diskussionen, News-Analysen, Meinung, also die Tiefe der Information, aber nicht mehr das Trägermedium - hergestellt aus toten Bäumen. Denken Sie nur an gedruckte Aktienkurse auf Papierseiten: Das ist heutzutage absurd, wenn es die Kurse in Echtzeit online gibt.

SZ: Die inhaltliche Qualität im Netz schwankt stark. Klar, es gibt Wikipedia, andererseits aber den Trash von Youtube, für den Google fast 1,7 Milliarden Dollar bezahlt hat.

Negroponte: YouTube ist ein temporäres Phänomen, eine Mode - Wikipedia hingegen wird bleiben. Dahinter steckt, so wie bei der Open-Source-Software, eine kollaborative Autorenschaft. Das sind keine Einzelaktionen.

SZ: Ein anderes Problem rund um die Freiheit von Information ist die Frage des Urheberrechts, des Verwaltens digitaler Rechte sogar über die Hardware (DRM).

Negroponte: Das gegenwärtige Urheberrecht schützt die Verleger mehr als die Autoren. Die Kanäle der Medien werden vornehmlich geschützt, nicht die Inhalte. Weil es aber inzwischen so viele Wege zu publizieren gibt, reduziert sich das Problem der restriktiven Informationshoheit. Unsere 100-Dollar-Laptops zum Beispiel verzichten völlig auf DRM, also in die Hardware eingebaute Maßnahmen der Informations-Restriktion.

SZ: Werden Sie noch Bücher schreiben, etwa Being Digital 2?

Negroponte: Ich werde nie mehr ein Buch schreiben. Ich will die 100-Dollar-Laptop-Sache zum Erfolg machen. Das ist meine Mission. Darüber schreibt ein Journalist, der mich stets begleitet. Der ist mein ständiger Schatten.

SZ: ,,Digital Lifestyle'' - was ist das eigentlich?

Negroponte: Dazu gehört jedenfalls nicht, dass ich in meinem Hotel viel Geld bezahlen muss, um überhaupt online gehen zu können. Das passierte mir jetzt in einem Münchner Fünf-Sterne-Hotel.

SZ: Ihnen geht es darum, stets digital verbunden und erreichbar zu sein - ist damit das Handy für Sie ein Zentralstück der künftigen digitalen Welt?

Negroponte: Mit dem Handy kann man wunderbar telefonieren und SMS schicken - aber nicht viel mehr. Es ist eine Frage der Größe. Es hat eben seinen Grund, dass Atlanten vom Format her größer sind als Fahrpläne der Bahn. Wenn jemand davon redet, ein Handy könne einen Laptop ersetzen, dann ist das Unsinn.

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