Im Interview: David Byrne:"Mir ist es jetzt egal, ob die Leute komisch gucken."

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Der Mann war der Kopf der "Talking Heads", jener Avantgarde-Band der achtziger Jahre, die sich schon auf der "Straße nach Nirgendwohin" wähnten, als die Intellektuellen des Abendlandes nicht einmal wußten, wie man Postmoderne schreibt. Im Interview erklärt er, dass Kreativität, ja doch!, auch noch im Alter möglich ist.

Interview: Gabriela Herpell

David Byrne, 52, wurde Ende der 70er Jahre als Sänger und Kopf der Band Talking Heads berühmt. In den 80er Jahren mixte Byrne auf vielen Soloplatten intellektuellen Pop mit afrikanischen Rhythmen, türkischen oder lateinamerikanischen Gesängen. 1991 löste er die Talking Heads auf und gründete sein eigenes "Label Luaka Bob". Gerade erscheint "Grown Backwards", ein rundes, melodisches Popwerk, auf dem Byrne sogar zwei Opernarien interpretiert. Byrne trennte sich kürzlich von seiner Frau, mit der er eine 14-jährige Tochter hat. Er lebt in Manhattan.

,I was so much older then, I'm younger than that now.' Na das kann ja heiter werden! (Foto: N/A)

SZaW: Mr. Byrne, Sie haben heute morgen das Hotel gewechselt. Warum?

David Byrne: Ich laufe, und in Soho gibt es kein einziges grünes Fleckchen.

SZaW: Laufen Sie jeden Tag?

Byrne: Drei- oder viermal in der Woche, seit acht Jahren; vielleicht sind es auch schon neun.

SZaW: Und sofort muss man an Ihr berühmtestes Video ,Road to Nowhere' denken, in dem Sie fortwährend laufen. Und dazu auch noch singen.

Byrne: Zuhause in New York singe ich auch dabei, zu der Musik in meinem Walkman; mir ist mittlerweile egal, ob die Leute dann komisch gucken. Ich laufe an der Westside immer am Ufer des Hudson River entlang. Wie weit? Einfach weiter.

SZaW: Aha. Sie sind süchtig.

Byrne: Ich würde sagen: ja. Wenn ich nicht gelaufen bin, habe ich das Gefühl, langsam zu sein, und das mag ich nicht. In Manhattan fahre ich viel mit dem Fahrrad herum, das bringt mich auch in Schwung. Beim Fahren singe ich übrigens nicht. Zu gefährlich. Ich summe.

SZaW: So haben Sie auch Ihre neue Platte begonnen. Sie sind mit einem Diktiergerät durch die Gegend gelaufen und haben alles, was Sie zusammengesummt haben, aufgenommen.

Byrne: Ja, und so sind aus den Melodien Songs geworden. Sonst war es immer umgekehrt, erst gab es die Texte und dann die Musik. Diesmal ist es eine Platte, die vom Herzen kommt.

SZaW: Die Talking Heads waren die intellektuelle Avantgarde, Liebling von Publikum, Kritikern und Kunstszene. Sie haben immer etwas abweisend und kühl, zumindest zugeknöpft gewirkt.

Byrne: Das ist es, das Los der Schüchternen; sie wirken zumindest zugeknöpft.

SZaW: Ihre neue Platte klingt jedenfalls warm und gut gelaunt.

Byrne: Ich gebe zu, ich habe Arien gesungen, um mein Herz für diese Platte zu öffnen. Es ist einfacher, sich mit den Liedern Anderer so einzustimmen als mit eigenen.

SZaW: Kennen Sie das Gefühl: Plötzlich einen Kloß im Hals zu haben, wenn man gefühlvolle Lieder singt?

Byrne: Interessant. In welcher Situation?

SZaW: Wenn ich Weihnachten in die Kirche gehe und ,Oh du Fröhliche' singen soll, kann ich das kaum, weil mein Hals so weh tut und ich heulen möchte.

Byrne: Die meisten Leute denken, man würde sich in einer bestimmten Gemütsverfassung befinden und daraus singen oder komponieren. Aber es ist genau anders herum: Man singt, laut, und erst dann entsteht das Gefühl, durch den physischen Akt des Singens!

SZaW: Jetzt haben Sie den Kloß intellektualisiert. Er wird übrigens jedes Jahr schlimmer.

Byrne: Ich weiß. Früher dachte ich immer, im Alter würde man härter und könnte sich besser vor sentimentalen Anfällen schützen. Dabei ist man viel kontrollierter, wenn man jünger ist. Deswegen habe ich mein Album ,Grown Backwards' genannt. Wie es in einem Bob-Dylan-Song heißt: ,I was so much older then, I'm younger than that now.'

SZaW: Sie sind also nicht nur schüchtern, Sie haben auch ganz gern die Kontrolle?

Byrne: Einerseits ja, aber ich verliere sie auch gerne mal. Kontrolle muss sein, um in der Gesellschaft funktionieren zu können. Aber zu viel Kontrolle entfremdet einen von sich selbst.

SZaW: Wann wird so ein intellektueller Kopfmensch wie Sie mal sentimental?

Byrne: Möglichst selten! Ich fürchte mich schrecklich vor Sentimentalität. Ich glaube, dass sie gefährlich ist. Sie ist nahe am Kitsch, nahe an gefährlichen politischen Ideen. Sentimentalität ist manipulativ.

SZaW: Was tun, wenn sie angreifen will?

Byrne: Ich glaube, ich setze das dagegen, was ich guten Geschmack nenne. Das ist natürlich vollkommen subjektiv, aber mich behütet dieser Gedanke.

SZaW: Haben Sie immer noch Angst vor der schönen Melodie?

Byrne: Das habe ich mal gesagt, ich weiß. Ich meinte damals aber nicht nur mich damit, sondern die gesamte so genannte Avantgarde. Wir misstrauen doch der schönen Melodie, weil sie, womit wir wieder beim Thema wären, sentimental sein kann. Kitschig. Ich habe erst durch brasilianische Melodien und dann durch andere lateinamerikanische Musik verstanden, dass es möglich ist, einen anständigen, sogar radikalen, ehrlichen Popsong zu schreiben, der eine schöne Melodie hat. Aber in der Avantgarde wird es erst einmal verachtet, wenn Schönheit in die Songs und damit in das eigene Leben einzieht. Wenn etwas schön ist, so die Auffassung, hat es keine Substanz. Darum gibt es so viel Musik, die mühsam zu hören ist. So wie die alte Talking Heads-Musik.

SZaW: Aber es gab einen Song aus dieser Zeit mit einer wunderschönen Melodie: ,Heaven' von dem Album ,Fear of Music'.

Byrne: Dankeschön. Aber das war eine Ausnahme. Und es lag am Thema; wie soll der Himmel anders klingen als schön?

SZaW: Waren Sie, wenn Sie jetzt zurückblicken, nicht auch ein zorniger junger Mann?

Byrne: Ja, Gott sei Dank. Wut war meine Initialzündung. Wenn du nicht magst, was oder wen du vor dir hast, kann daraus Kreativität entstehen, allerdings auch etwas Furchtbares, Destruktives oder Selbstzerstörerisches. Manche müssen ihre Wut dann mit Alkohol oder Drogen zügeln. Es ist auf die Dauer kein allzu großer Spaß, ein wütender Mensch zu sein, und keine angenehme Art zu leben.

SZaW: Sind Sie denn auch ein zorniger älterer Mann?

Byrne: George Bush zum Beispiel kann mich sehr wütend machen. Aber ich bin nicht mehr einfach so zornig auf Alles, und vor allem nicht mehr auf mich selbst.

SZaW: Sie und die Talking Heads sind stark verknüpft mit der New Yorker Kunstszene. Wie finden Sie es, dass man in dieser Stadt mittlerweile für einen Aschenbecher im Regal Strafe zahlen muss?

Byrne: Amerika ist sowieso ein puritanisches Land. Aber nun kommt es noch schlimmer: Eine Mischung aus Cowboy-Mentalität und Puritanismus hat sich breit gemacht. Diese Kombination macht überhaupt keinen Sinn, aber sie ist da.

SZaW: Sie sind als Zweijähriger mit Ihren Eltern nach Amerika gezogen, von Geburt sind Sie Schotte. Und eigentlich wirken Sie eher europäisch. Empfinden Sie sich selbst auch so?

Byrne: Irgendwo in der Mitte. Wir waren immer etwas außen vor in Amerika, weil wir zum Beispiel bei uns zu Hause mit Messer und Gabel gegessen haben.

SZaW: Ach - ganz im Gegensatz zu den Amerikanern, die nur mit den Händen essen?

Byrne: Sie essen natürlich auch mit Messer und Gabel, aber sie benutzen das Besteck anders. Erst schneiden sie alles, was auf ihrem Teller liegt, in kleine Häppchen, dann legen sie das Messer weg und schaufeln sich das Essen mit der Gabel, die sie in der rechten Hand halten, rein. Komische Sitte.

SZaW: Könnten Sie sich denn vorstellen, woanders als in New York zu leben?

Byrne: Ja, ich habe mir schon Häuser in Barcelona angeguckt. Mitten in Europa, in einer großen Stadt: Das würde mir gut gefallen. Ich bin gerne unter Menschen, auch wenn es vielleicht anders wirkt.

SZaW: George Bush, die komischen Tischmanieren - was hält Sie denn dann noch in Amerika?

Byrne: Der Times Square. Das ist eine künstliche Welt , wie Disneyland. Aber wunderschön. Wenn ich nachts mit dem Fahrrad durch New York fahre und diese ganzen Lichter am Times Square sehe, macht mich das ...

SZaW: Sentimental?

Byrne: Glücklich.

SZaW: Es gibt doch diesen Moment im Leben, an dem man sich entscheidet: Für ein Leben innerhalb oder außerhalb der gesellschaftlichen Normen. Also eines auf der Kippe oder eben ein angepassteres. Erinnern Sie sich an diesen Moment?

Byrne: Das war der Tag, an dem ich Vater wurde. Natürlich hatte auch ich diese Angst, dass ich spießig und langweilig werde als Familienvater mit einem Haus. Dass ich nie wieder etwas Interessantes oder Aufregendes machen, dass sich meine ganze Kreativität verabschieden würde. Dass ich sterbe, wenn ich nicht am Abgrund balanciere. Viele kreative Menschen haben solche Ängste, gehen ein Stück nach vorn und dann wieder zurück, weil sie glauben, dass das Familienleben zu sicher und bequem ist.

SZaW: Und Sie?

Byrne: Es ist möglich, erwachsen zu werden und in einem Haus zu leben und dennoch kreativ zu bleiben. Aber dazu muss ich mich immer wieder in unbequeme oder ungewohnte Situationen begeben.

SZaW: Wie unlängst die Trennung von Ihrer Frau?

Byrne: So einfach kann man das nicht sagen, die Trennung von meiner Frau hat auch andere Gründe. Nein, ich muss etwas tun, was ich noch nie getan habe. Weil ich dann auch versagen kann, das nämlich ist das Wichtige daran.

SZaW: Also experimentieren Sie nur auf der künstlerischen Ebene, nicht auf der privaten.

Byrne: Privat bin ich wohl eher konservativ. Ich bleibe nicht bis spät in die Nacht auf, ich steige nicht auf Berge.

SZaW: Vermissen Sie manchmal das alte Leben, das Ausgehen bis spät in die Nacht, das Balancieren am Abgrund?

Byrne: Nein, das ist Nostalgie; wieder so ein verwirrendes Gefühl. Außerdem gehe ich immer noch mit Freunden in einen Club und komme spät nach Hause, nur nicht mehr so oft. Ich habe keine Lust mehr.

SZaW: Vermissen Sie denn wenigstens manchmal diese Lust darauf?

Byrne: Das Ausgehen hat eine soziale und eine sexuelle Motivation. Man sucht einen Partner, probiert herum und findet so heraus, zu welcher Art Mensch man gehört. Das liegt hinter mir. Ich weiß zwar immer noch nicht, zu welcher Art Mensch ich gehöre, aber mir ist es heute egal.

SZaW: Vor ein paar Jahren haben Sie einen Song geschrieben, in dem Sie sich darüber beklagen, auf einer Party der am wenigsten angesagte Gast zu sein. Kennen Sie das Gefühl heute noch?

Byrne: Ich kann mich gut daran erinnern. Ich habe mich sehr lange so gefühlt.

SZaW: Tatsächlich?

Byrne: Aber das war schon in Ordnung, ich kannte den Unterschied ja nicht und dachte, so fühlt es sich eben an, am Leben zu sein. Sonderbarerweise waren meine Eltern ganz anders, sie fanden es leicht, mit Leuten zu reden. Wenn ich in Clubs und Bars ging, stand ich allein in der Ecke und redete mit niemandem.

SZaW: Dann war es wohl eine Art Genugtuung, berühmter zu werden als die, die Sie da stehen ließen?

Byrne: Nein, Pop-Star zu sein war eher ein wunderbares Vehikel, Leute kennen zu lernen. Es funktionierte, da die Leute mich ansprachen. Ich konnte dann antworten, hatte aber selbst nicht den Druck, mich fremden Menschen nähern zu müssen. Auf der Bühne sang ich und tanzte - da war ich ein ganz anderer Mensch.

SZaW: Wurden Sie nicht irgendwann sicherer?

Byrne: Nein, denn nach dem Auftritt verwandelte ich mich immer sofort wieder zurück. Ich konnte meine Schüchternheit immer nur phasenweise kompensieren. Und wenn ich diese Art des Ausdrucks nicht gefunden hätte, dann hätte ich sicher irgendwann etwas Schreckliches getan.

SZaW: Waren Sie neidisch auf die anderen, die das Leben leicht nahmen und sich einfach amüsierten?

Byrne: Ja. Aber ich habe so getan, als würde ich sie für diese Leichtigkeit verachten.

SZaW: Hielten die Leute Sie da nicht für schrecklich arrogant?

Byrne: Wahrscheinlich. Und auch die Talking Heads galten als überheblich, als arty-farty. Vielleicht haben wir uns tatsächlich eine Zeit lang für etwas Besseres gehalten. Aber so arty waren wir nun auch wieder nicht, die Ramones und die Sex Pistols waren künstlicher als wir. Die Haare, die Kleider, bei denen war alles total durchgeplant.

SZaW: In der Zeit hat doch jeder versucht, ein Konzept zu haben. Außer Patti Smith vielleicht.

Byrne: Ich glaube, dass es das gar nicht gibt; Kunst oder Musik, hinter der kein Konzept steht. Ich wollte mich damals unbedingt von dem Konzept-Gedanken befreien. Ich hatte beschlossen, dass wir unsere normalen Straßenkleider tragen, keine besonderen Frisuren haben, einfach ganz normal sind. Aber selbst das ist ein Konzept, es steckt schon wieder eine Idee dahinter. Da gibt es kein Entrinnen. Man kann nur immer mehr man selbst werden.

SZaW: Und? Ist Ihnen das über die Jahre gelungen?

Byrne: Ja, ich bin heute mehr ich selbst als damals. Ich gebe mir Mühe, durchschaubar zu sein für mein Publikum. Früher habe ich das Gegenteil davon getan und mich hinter meiner Kunstfigur versteckt.

SZaW: Es ist also besser geworden mit der Schüchternheit?

Byrne: Ja, besser. Aber weg ist sie nicht.

SZaW: Da arbeiten Sie noch dran.

Byrne: Wissen Sie was? Eigentlich nicht. Ich habe keine Lust mehr, daran zu arbeiten. Ich will gar kein so viel besserer Mensch sein. Nur ein kleines bisschen besser.

© SZaW v. 13./14.03.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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