Hohe Kunst:Die Himmelsläufer von Manhattan

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Sie bauen Wolkenkratzer und Brücken, und sie haben den glühenden Schutt von Ground Zero beseitigt. Seit fünf Generationen sind Indianer die Besten in ihrem Fach. Aber das Irokesenvolk der Mohawks muss manchmal auch mit ein paar Legenden aufräumen.

Von Andrian Kreye

Steht man auf einem jener rostroten Stahlgerippe, die einmal ein Hochhaus werden sollen, ganz oben und blickt ohne den Schutz einer Mauer oder Balustrade über die Bodenkante nach unten, dann zieht für einen kurzen Moment diese Urangst durch die Magengrube, die uns schon seit Anbeginn der Menschheit davon abhält, Bergwände und Schluchten hinabzustürzen.

Instinktiv weicht man zurück, versucht den unmittelbaren Horizont wieder auf überschaubare Augenhöhe zu bringen, um sich dann mit ein wenig Überwindung wieder nach vorne zu wagen. Gedämpft brandet der Straßenlärm aus der Tiefe, von dort unten, wo die Autos und Passanten nur noch als Schemen und Punkte durch das Netz der Straßen manövrieren.

Für Kyle Beauvais gehört dieser Blick als Stahlbaumonteur in Manhattan zum Alltag. 40 Jahre ist er alt, ein Meter zweiundneunzig groß, Angehöriger des Irokesenvolkes der Mohawks aus dem Kahnawake-Reservat bei Montreal in Kanada. Beauvais hat das Kreuz eines Gewichthebers, den Haarschnitt eines Infanteriesoldaten und den Teint eines Surfchampions.

Das trifft auch ungefähr die Aura seines Alltags, denn Stahlbaumonteur ist eine eher prosaische Berufsbezeichnung für einen Job, der so anstrengend ist wie Hochleistungssport, zu den fünf gefährlichsten Berufen der Welt gehört und im ganzen Land von niemandem so beherrscht wird wie von der eingeschworenen Gemeinde von Spezialisten, die sich aus den vier Mohawk-Reservaten an der amerikanisch-kanadischen Grenze rekrutieren und von Großbaustelle zu Großbaustelle über den Kontinent ziehen.

Balance auf 15 Zentimetern

In New York sind die Mohawk Iron Workers Legende. Offiziell sind die Helden der Stadtgeschichte natürlich die Politiker, Planer und Architekten, also die Machtmenschen, Visionäre und Genies, aber die effektive Arbeit haben die Mohawks gemacht.

Die haben die Skyline hochgezogen, die Brücken über die Flüsse und die Highways über die Viertel gespannt. Skywalkers nennt man sie hier - Himmelsläufer. Weil sie ihre Arbeit in buchstäblich schwindelerregender Höhe verrichten und dabei auf Balken und Trägern balancieren, die manchmal nicht breiter sind als 15, 20 Zentimeter.

Dass die Mohawks von ihrer Veranlagung her keine Höhenangst kennen, ist allerdings reine Legende. "Natürlich haben wir Angst", sagt Kyle Beauvais. "Wir können nur offensichtlich besser damit umgehen." Wenn er dann allerdings mit seinen Arbeiterstiefeln und seinem schweren Werkzeuggurt ohne Sicherung und Halt in der Höhe des zehnten Stockwerks über einen der Stahlträger balanciert, da draußen den Kopf in den Nacken legt, den nächsten Träger greift, der am Stahlseil des Krans baumelt, die Tonnenmasse Stahl in Position wuchtet und dann mit zwei mächtigen Schrauben andockt, wirkt das Abwiegeln wie prahlerische Koketterie.

Der Mann hantiert mit seinen halbmeterlangen Schraubenschlüsseln auf dem schmalen Grat über dem Nichts mit einer breitbeinigen Selbstverständlichkeit, als hätte er eine ganze Theaterbühne zur Verfügung.

Primaballerina im Gerippe

Kyle Beauvais ist ein Connector. Das ist in der Choreographie der Bauarbeiterkompanien, die in New York auf dem engen Raum einer Bauparzelle ganze Türme in den Himmel ziehen, eine Art Primaballerina. Auf jedem Bauabschnitt bildet er die Speerspitze, ist er derjenige, der den jeweils nächsten Stahlträger in das Gerippe einfügt, das einmal Wände, Böden, Glasflächen, Aufzugsschächte, Büros und Wohnungen tragen wird.

Je weiter die Arbeit voranschreitet, desto mehr erfüllt es ihn mit Stolz, wenn er das Gebäude wieder einen Schritt weiter in den Himmel getrieben hat. Was als lärmendes Chaos in der Baugrube beginnt, wird mit den Wochen zunehmend lichter und stiller. Es ist nicht nur diese archaische Befriedigung, ein Haus zu bauen.

Die Mohawk Skywalkers trotzen dem Himmel über der Stadt mit jedem Turm ein wertvolles Gut ab. Denn Licht und Stille sind Rohstoffe, für die man in Manhattan teuer bezahlen muss. Unten in den Straßenschluchten müht sich das Volk, das so genannte Rattenrennen des New Yorker Arbeitslebens zu überleben.

Wer aber mit seinem Büro, seiner Wohnung oder gar seinem Penthouse über die Licht- und Schallgrenze der Stadt gestiegen ist, wer freien Blick über das Häusermeer, über die Flüsse und die angrenzenden Vororte hat, der ist ganz buchstäblich oben angekommen. Kein Wunder also, dass Montage auf den Wolkenkratzern in Manhattan nicht nur am besten bezahlt wird, sondern bei den Stahlbaumonteuren auch das größte Ansehen genießt.

Bay Ridge ist ein Einwandererviertel weit im Süden von Brooklyn. Hier leben Araber, Juden, Iren, Italiener, Chinesen und die meisten Mohawks der Stadt. Hier kann man bei Ostwind das Meer riechen, und die Skyline von Manhattan lässt sich abends hinter dem Schimmer am Horizont höchstens erahnen.

Ab vier, halb fünf Uhr nachmittags treffen sich die Mohawk Ironworkers dort im Killhaney's, einem irischen Pub mit einem Billardtisch, einer Jukebox voller Countrymusik und Bildern von Baseballteams, Feuerwehrmannschaften und den Zwillingstürmen hinter der Bar.

Gegen sechs Uhr hängt gut ein gutes Dutzend Mohawks um den Tresen. Sie rauchen Zigaretten, weil sich hier in der Gegend kein Mensch um das New Yorker Rauchverbot schert, trinken Budweiser Bier aus der Flasche und vertilgen Hot Dogs und Hamburger, die die Barkeeperin Lisa auf einem Klapptisch aufgebaut hat, weil sie weiß, dass kaum einer der Jungs eine Familie hier hat, die ihm ein Abendessen kochen würde.

Stahlbaumonteure sind Wanderarbeiter, die manchmal für Monate in einer fremden Stadt leben müssen, das geht nicht mit Anhang. Wenn möglich, fahren sie am Wochenende heim nach Kahnawake, von New York aus sechs Stunden mit dem Auto nach Norden, in das Mohawk-Reservat kurz vor Montreal.

Die Tradition begann im Reservat

Dort hat die Tradition der Mohawk Iron Workers auch begonnen. "1882 kam die Eisenbahngesellschaft von der Canadian Pacific Railroad nach Kahnawake und hat eine Brücke über den St. Lawrence River gebaut", erzählt Kyle Beauvais, als ob er sich selbst noch daran erinnern würde.

"Als die ersten Brückenbögen standen, haben sie eines Abends gesehen, wie ein paar Mohawks da unbekümmert herumgeklettert sind. Da haben sie sich gedacht: warum lassen wir die nicht arbeiten?" Vor den Jobs in luftiger Höhe hatten die meisten Eisenbahnarbeiter sonst einen Heidenrespekt, und wenn es den Indianern so offensichtlich nichts ausmachte, lag es nahe, sie für die gefährliche Arbeit einfach anzuheuern.

"Fünf Generationen Mohawks arbeiten jetzt schon als Stahlbaumonteure", sagt Kyle Beauvais stolz. Er selbst gehört zur vierten. "Von den 500 Familien in Kahnawake haben bestimmt 400 irgendjemanden auf dem Bau." Es gibt natürlich auch welche aus den anderen Mohawk-Reservaten, aus Oka, Kanesatake und Akwesasne. Aber die Monteure aus Kahnawake haben den besten Ruf, Ehrensache. Und die entsprechende Tradition.

Meist wird sie innerhalb der Familie vererbt. Kyle Beauvais' Großvater Joe Jocks war zum Beispiel schon Stahlbaumonteur und hat an einigen der berühmtesten Gebäude von Manhattan gearbeitet. Ob man ein Foto sehen will?

Mein Großvater auf dem Stahlträger

Kyle Beauvais deutet ins Halbdunkel hinter dem Billardtisch. Dort hängt das berühmte Foto von 1928, das elf Bauarbeiter zeigt, die auf einem freihängenden Stahlträger des Rockefeller Center sitzen und Mittagspause machen. In New York gibt es Postkarten und Poster davon in jedem Souvenirladen zu kaufen. "Mein Großvater ist der Vierte von links", sagt er und versucht, seinen Stolz mit einem beiläufigen Ton in der Stimme zu überspielen.

Joe Jocks gehörte zu jener legendären zweiten Generation, die auf all den Baustellen arbeiteten, aus denen dann die Baudenkmäler des 20. Jahrhunderts wurden. "Sein erster Job war das Empire State Building, sein letzter das World Trade Center", sagt Kyle Beauvais. Außerdem war er beim Bau der Golden Gate Bridge dabei, und weil die Mohawks damals nicht nur in den USA, sondern auch weltweit die Besten waren, arbeitete er an Wolkenkratzern in so fernen Städten wie Istanbul, Rom und Caracas.

Die Zeiten, als Bauherren aus aller Welt die Mohawks engagierten, sind zwar vorbei. Es gibt auch nur noch selten Gebäude, die den Rang eines Empire State Building oder einer Golden Gate Bridge erlangen. Trotzdem gesteht Kyle Beauvais ein, dass es ihn jedes Mal mit Stolz erfüllt, wenn er durch Manhattan geht. Da sind die Gebäude die sein Großvater, Vater, seine Onkel, Bekannten und Freunde gebaut haben.

Und da sind die Türme, auf denen er selbst gearbeitet hat. Das Bloomberg Building zum Beispiel, das verspiegelte Time Warner Center am Columbus Circle, bei dem auch sein Bruder mit dabei war, und zum 100. Geburtstag der Brooklyn Bridge hat er mitgeholfen, die Trägerkabel zu erneuern. 24 Jahre arbeitet er jetzt schon am Bau.

"Man arbeitet sich nach oben"

Nie habe er daran gezweifelt, dass er einmal Wolkenkratzer errichten würde, sagt er. "Das bekommt man in Kahnawake schon als Kind mit auf den Weg. Wenn die Väter und Großväter am Wochenende nach Hause kommen und von ihren Abenteuern da draußen erzählen."

Die Geschichten von den Baustellen und Städten müssen auf die Mohawkkinder wie Märchen aus einer verzauberten Welt wirken. Kein Wunder. Das Reservat von Kahnawake ist nicht mehr als ein heruntergekommenes Arbeiterviertel am Stadtrand von Montreal, eine jener Gegenden, durch die Stadtverwaltungen Highways, Pipelines und Hochspannungsleitungen legen, weil die in der Tristesse der Industrieviertel nicht weiter stören und die Bewohner der Sozialbaublocks, und Wohnwagenparks zu wenig Macht haben, um sich zu wehren.

Im Fall der Reservate kommt erschwerend hinzu, dass die Stammesverwaltungen meist auf jeden Pfennig angewiesen sind, den ihnen die Regierung anbietet.

Auch Kyle Beauvais zog es deshalb schon früh in die Ferne. Nach New York, wo die meisten anfangen. Mit einer Lehre bei einer der großen Gewerkschaften. Drei Jahre lang müssen die Aspiranten die niedrigen Arbeiten für die Hälfte des Stundenlohnes verrichten. Kyle Beauvais hat damals in seinem Auto geschlafen oder auf dem Fußboden bei Freunden und Kollegen. "Ganz langsam arbeitet man sich dann nach oben", sagt er. Und ganz unbescheiden: "Jetzt bin ich einer der Besten und bekomme die Top Jobs."

Die vier, fünf Lehrlinge, die sich immer wieder neugierig um ihn scharen, können von solchen Jobs nur träumen. Meistens bekommen sie auf den prestigeträchtigen Baustellen in Manhattan erst einmal gar keine Arbeit. Mike, ein stiller Junge, der schon eine Karriere als Soldat bei den US Marines hinter sich hat, muss zum Beispiel in den U-Bahnschächten von Brooklyn Stahlträger auswechseln.

"Als erstes geben die Knie auf"

Sein Kumpel Steve renoviert derzeit in Queens ein Amtsgebäude. Wenigstens müssen sie nicht in Autos schlafen. Über dem Pub liegen zwei Wohnungen, in denen Lehrlinge und Mohawks auf Durchreise für wenig Geld wohnen können.

Bei all den Geschichten vom harten Leben auf Montage schleicht sich kein Klageton ein. Im Gegenteil. Mike gibt damit an, dass er nach jeder Schicht im Schacht eine ganze Ladung Ruß und Öl ins Taschentuch schneuzt. Steve schwärmt von dem antiken Müll, den sie in den Ritzen des alten Bauwerkes finden.

Und selbst als Kyle Beauvais mit verkniffener Miene seinen Ellbogen knetet und erklärt, dass man höchstens fünf, sechs Jahre zu den Besten gehören kann, weil dann der Verschleiß den Körper ruiniert hat, schwingt noch eine kräftige Portion Machismo in seiner Stimme mit. "Als erstes geben die Knie auf", sagt er. "Kein Wunder - mein Werkzeuggürtel mit dem Stabeisen und den Schraubenschlüsseln wiegt 65 Pfund."

Es gibt zwar jetzt diese modernen, ergonomischen Schulterhalfter, das würde Kreuz und Knie schonen. Aber kein Mohawk würde sich mit so einem Ding blicken lassen. "Das sieht ja aus wie Hosenträger", schnaubt er verächtlich.

Dieser Machismo kommt nicht von ungefähr.

Immerhin wurden die Mohawks von den Weißen nie besiegt. "Wir haben vielleicht ein paar Schlachten verloren, aber niemals den Krieg", sagt Kyle Beauvais' Freund Jason Diabo, ein Mann mit mächtigen Pranken, der ein übergroßes T-Shirt mit einem Indianersymbol trägt.

Die letzte Schlacht ist auch nicht einmal so lange her. 1990 eilten die Mohawks von Kahnawake ihren Brüdern im Reservat von Oka zu Hilfe, weil die einen alten Indianerfriedhof retten wollten, auf den ein Golfplatz gebaut werden sollte.

Mehr als zwei Monate lang belagerten Einheiten der kanadischen Armee damals das Reservat. 4500 Soldaten gegen 53 Mohawks. Eine ganze Panzerbrigade wurde vor dem Reservat stationiert. "Doch sie haben uns nicht kleingekriegt." Er habe damals den Bagger gestohlen, der dann wochenlang als Barrikade vor der Brücke zum Ortseingang stand.

Jason Diabo grinst verschmitzt und deutet zum Spiegel hinter der Bar. Da pappt ein Aufkleber mit einem Irokesenkopf in einem gelben Stern auf orangenem Grund. Das Symbol der Mohawk Warriors, die den Aufstand damals anzettelten.

Mohawks und Weiße - keiner traut dem anderen

Nein, das einzige, was den Weißen gelang, war, die Mohawks übers Ohr zu hauen. Mit Pachtverträgen über 99 Jahre, weil die Weißen damals dachten, dass bis dahin sowieso kein Indianer mehr leben würde. Vor 20 Jahren liefen dann die ersten Verträge aus. Das hat die Bundesregierung schon Milliarden gekostet. Auch einige der Irokesenvölker haben schon kassiert. Kasinos gebaut und Fabriken.

Das Verhältnis zum weißen Amerika und Kanada war schon immer auf beiden Seiten voller Argwohn. Keiner traute dem anderen. Von ihrer Tradition her waren die Mohawks die Krieger der sechs Irokesenvölker gewesen. Später meldeten sie sich freiwillig zum Wehrdienst.

Für die Stahlbaumonteure hat erst der 11. September die Kluft zwischen Weißen und Indianern geschlossen. Kyle Beauvais erinnert sich noch gut an den Tag. Gleich nach dem Einsturz sind sie damals nach Ground Zero geeilt. Sein Onkel hatte ihm das so gut wie befohlen. Den hatte er damals gleich in Kahnawake angerufen.

Seinen Onkel Walter, der die Zwillingstürme mit seinem Großvater aufgebaut und später die Oberaufsicht über die Antenne des Nordturms gehabt hatte. Der Onkel war vor Wut ganz außer sich gewesen und wäre fast selbst gekommen, wenn er mit seinen 70 Jahren nicht schon zu schwach gewesen wäre.

Drei Tage und Nächte hat Kyle Beauvais da erstmal durchgearbeitet, wie er erzählt. Ist über die glühenden Schuttberge gestiegen, hat nach Überlebenden gesucht, mit Eimern gegraben, unter Stahlträgern gewühlt, in Notzelten geschlafen. Nicht einen Überlebenden haben sie gefunden.

"Aber Tote. Hunderte. Das hat man sonst nie erfahren." Da seien Menschen nach dem Einschlag aus den Flugzeugen geschleudert worden, die hätten sie noch eine halbe Meile weiter gefunden. An den Fassaden hätten sie geklebt. "Und dann all jene, die gesprungen sind." Unter einem Stahlträger fanden sie gleich 50 Leichen. Nur von den Menschen in den Türmen sei nichts übrig geblieben. Während er das erzählt, fixiert sich sein Blick im Nichts hinter dem Tresen. Seine Wangenmuskeln krampfen sich zusammen.

Über glühenden Schutt

Vier Monate hat er da unten gearbeitet. "Das kann sich kein Mensch vorstellen", sagt er. "Diese Hitze. Die Feuer haben ja wochenlang gebrannt." Einen Monat nach dem Anschlag bargen sie immer noch Stahlträger, die rot glühten.

Selbst die besten Arbeitsschuhe schmolzen einfach durch. "Nur die Cops", hebt er an. "Diese verdammte Polizei. Standen nur rum und ließen sich dann feiern. Von denen ist keiner mit auf diese grauenhaften Berge gestiegen." Er beißt sich auf die Lippen. "Wir Stahlarbeiter haben da unser Leben riskiert. Kein Mensch hat davon geredet. Nur die Feuerwehr, die waren da jeden Tag an unserer Seite." Auch bei der Prügelei mit den Cops, denn als die sich dann auch noch bei den gespendeten Stiefeln und Arbeitskleidern bedienten, gab es richtig Ärger.

Ein dicker Tränenschleier überzieht Kyle Beauvais' Augen, die Wut scheint ihn noch heute zu schütteln. Aber vielleicht soll die Wut auch nur die Erinnerungen unter Verschluss halten. "Das Schlimmste war, nach der Arbeit durch die Straßensperren zu gehen", sagt er leise. "Die Menschen die da warteten und einem Bilder entgegenhielten. Ob man ihre Lieben da unten gesehen habe. Oder wenigstens gefunden."

Er schüttelt den Kopf. "Lass uns von etwas anderem reden", sagt er schließlich und äugt vorsichtig zu den anderen, bevor er sich die Träne aus dem Augenwinkel wischt. Er bestellt uns noch ein Bier. Auf seine Rechnung. Ehrensache.

Und als er dann erzählt, dass er ja jetzt den verhassten Cops einen Büroturm über das Neunte Revier baut, schwingt auch schon wieder dieser Stolz in seiner Stimme. Zwölf Stockwerke hoch wird das neue Gebäude über dem sonst her niedrig bebauten East Village thronen. Von der Straße aus würde man das aber kaum bemerken.

Sie hätten die alte Fassade bewahrt, und so wird er seine jüngste Arbeit bald im Fernsehen sehen, denn das Neunte ist wahrscheinlich das berühmtest Polizeirevier der Stadt. Der glatzköpfige Leutnant Kojak tat hier in seiner Fernsehserie Dienst, und die wackeren Detektive der Serie NYPD Blue. Man kann ja nicht mit jedem Gebäude gleich die Skyline verändern.

© SZ vom 25.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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