Hörbuch:Spaß am Knöpfchendrehen

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25 Hörbücher hat der Regensburger Dieter Lohr veröffentlicht. (Foto: Julia Knorr)

Dieter Lohr und sein Lohrbär-Verlag erhalten den Kleinverlagspreis

Von Sabine Reithmaier, Regensburg

Johannes Kepler hat im Jahr 1630, kurz bevor er starb, sein Pferd an einen Abdecker in Regensburg verkauft. Dafür kassierte der Mathematiker und Astronom möglicherweise neun, vielleicht aber sogar elf Gulden - es gibt zwei sich widersprechende Urkunden. Zwar hat diese Zwei-Gulden-Differenz, die Dieter Lohr erst zu einer Erzählung, später zu einem Hörspiel inspirierte, nicht wirklich etwas mit dem Bayerischen Kleinverlagspreis zu tun, mit dem er an diesem Mittwoch ausgezeichnet wird. Aber diese kleinen Unterschiede sind es eben, die die Hörbücher des Lohrbär-Verlags so unverwechselbar machen. Jedes ist auf seine Weise ein eigenes, in sich stimmiges Kunstwerk.

Was Dieter Lohr aber so nicht sagt. Der 51-Jährige untertreibt gern, wenn er über seinen Hörbuchverlag redet. 2004 hat er ihn gegründet, nicht weil er sich zum Verleger berufen fühlte, sondern weil dank Computertechnik und plötzlich finanziell erschwinglicher Software das Aufnehmen und die Produktion von CDs so leicht funktionierte. Sagt er, grinst ironisch und erzählt dann, dass er eigentlich viel lieber Heavy-Metal-Gitarrist geworden wäre. Aber trotz allen Übens merkte der gebürtige Kemptner rechtzeitig, dass es mit der Karriere nicht klappen würde. Daraufhin beschloss er, "wenigstens als Literaturwissenschaftler berühmt zu werden" und begann in Konstanz zu studieren. Berühmt wurde er dort auch nicht, weshalb er sich nach der Promotion vom Universitätsbetrieb verabschiedete - "zu intrigant und irgendwo auch zu unwissenschaftlich". Lohr arbeitete als Lektor in Rumänien, reiste durch Asien und begann, selbst Bücher zu schreiben. 2001 zog er nach Regensburg, der Freundin zuliebe.

Musik machte er immer noch, aber eher zum Privatgebrauch. Gelegentlich nahm er sie auch auf. "Von meiner Gitarristenzeit ist mir die Freude am Knöpfchendrehen geblieben." Als eines Tages Schriftstellerkollegen vorbeikamen und Tonaufnahmen benötigten, kaufte sich Lohr noch ein Mikrofon und meldete seinen Verlag beim Gewerbeamt an. Aus den Aufnahmen mit den Regensburger Autorinnen Angela Kreuz, Elfi Hartenstein und Barbara Krohn entstanden die ersten Hörbücher. Es folgte Eugen Oker mit seinen Babba- und Maxl-Geschichten. Aber bloß auf die Oberpfalz wollte Lohr seinen Verlag nicht einengen, dafür schätzt er Grenzwanderungen zu sehr, und so gibt es in seinem Verlag auch die Anthologie "Das Leben ist zum Verrücktwerden schön", die einen vielschichtigen Querschnitte durch die deutsch-böhmisch-tschechische Literatur bietet.

Stimmig werden die Hörbücher aber nicht nur durch die Texte, entscheidend sind Musik und Sprecher. "Ich mag es, wenn sie einen persönlichen Bezug zu den Texten haben und eine eigenwillige Interpretation liefern." Daher lesen nicht selten die Autoren selbst. Geld für Werbung gibt Lohr kaum aus. Lieber verlässt er sich auf gute Besprechungen. Fast ein Drittel seiner Hörbücher schaffte es auf die hr2-Hörbuchbestenliste, der "Fahrradspeichenfabrikkomplex" wurde 2010 sogar für den Deutschen Hörbuchpreis nominiert. In Interviews mit Zeitzeugen spürten Lohr und Angela Kreuz der geplanten atomaren Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) nach, die während der Achtzigerjahre in Wackersdorf entstehen sollte und laut Franz Josef Strauß nicht gefährlicher als eine Fahrradspeichenfabrik gewesen wäre. Das Gelände im Taxöldener Forst entwickelte sich seinerzeit schnell zum Zentrum des Protests gegen den Atomstaat. Mit regelmäßigen Demonstrationen, gewaltigen Polizeieinsätzen und einem gigantischen Rockkonzert. Schwierig war es, zwecks der Ausgewogenheit, 20 Jahre später noch Befürworter der Anlage zu finden. Lohr findet es immer noch sehr nett, dass Strauß-Tochter Monika Hohlmeier diese Rolle übernahm.

Der erste große Coup des Verlags war aber Ludwig Bemelmans Roman "Die blaue Donau". Bemelmann war erst 16 Jahre alt, als ihn seine Familie 1914 von Regensburg nach Amerika schickte, weil er zu Hause in sämtlichen Schulen und Lehrstellen gescheitert war. Dort schaffte er tatsächlich den Sprung vom Tellerwäscher zum gefeierten Kinderbuchautor, der es sich leisten konnte, 1943 einen Roman zu schreiben, in dem er sich seine Heimatstadt unter den Nationalsozialisten vorstellte. Eine großartige Satire sei das, sagt Lohr. Aber weil der Roman sofort nach seinem Erscheinen 1945 Geschichte war, geriet er in Vergessenheit. Bis Lohr ihn 2005 als Hörbuch herausgab. Zwei Jahre später erschien die Buchausgabe.

Inzwischen hat Lohr 25 Hörbücher veröffentlicht. "Nicht so wahnsinnig viele, aber alle mit sehr viel Liebe handgemacht." An Lena Christs "Rumplhanni" arbeitete er zwei Jahre hin. Es dauert eben, bis 50 Sprecher aufgenommen sind, wenn einer alles selbst macht. Leben kann Lohr davon nicht, dafür sind die Auflagen von 1000 Stück zu klein. Geld verdient er als Dozent für Deutsch als Fremdsprache, an der Uni hält er Kurse für Medienwissenschaftler. Immerhin ist der Verlag kein Draufzahlgeschäft mehr, die Zeiten, in denen er ans Aufhören dachte, überwunden. Außerdem hat er seine Bestimmung als Verleger entdeckt, als ihm der Musiker und Wortkünstler Mike Reisinger seine skurrilen Texte und die dazu gehörigen musikalischen Landschaften schickte. "Ich war total fasziniert und wusste, wenn ich das nicht verlege, macht das niemand." Wäre ewig schade gewesen, auch wenn die "Paraträume" kein Bestseller wurden. Aber das sei ihm egal, sagt Lohr. "Genau deshalb bin ich ein kleiner Verlag."

Bayerischer Kleinverlagspreis ; Mittwoch, 23. November, 19 Uhr, Literaturhaus München; Auftakt zum Markt der unabhängigen Verlage

© SZ vom 23.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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