Hitler-Verfilmung "Der Untergang":Eine unangenehme Person

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Das Interesse an der privaten Seite Adolf Hitlers hat in den vergangenen Jahren viele Betrachtungen hervorgebracht, die bis zur Heimatfilm-Idylle reichten. Hier die Anleitung, wie man sich gegen den Kino-Hitler wappnet.

Von Gustav Seibt

Dem Philosophen Ludwig Wittgenstein wird für den April 1945 der Ausruf zugeschrieben: "In was für einer schrecklichen Lage befindet sich jetzt ein Mensch wie Hitler!" Er bekundet ein wohl absichtsvoll naives, erklärtermaßen anthropologisches Interesse, das sich bewusst von allem tragisierenden Grusel fern hält. Es geht um Grenzen des Menschlichen, um die Bizarrerie einer Lebenskurve: Der Tyrann, der auf dem Höhepunkt seiner Macht Millionen Menschen ums Leben bringen konnte, wird nun selbst zerquetscht. Wahrhaftig, eine schreckliche Lage. Müssen wir uns das ansehen?

Bruno Ganz als Adolf Hitler und Heino Ferch als Hitlers Reichsarchitekt Albert Speer in "Der Untergang". (Foto: Foto: dpa)

Durch Funde der letzten Jahre wurde Hitler aus dem fuchtelnden und bellenden Schwarzweißgespenst der Wochenschauen und Dokumentationen zu einem Farbfilmphänomen mit behaglicher Außenseite. Wie in einem Heimatfilm der fünfziger Jahre sah man ihn in Zivil am Obersalzberg, zwischen Liegestühlen vor sommerlicher Bergkulisse, spielend mit seinem Hund. Interessant wird das nur, weil es sich bei dem Mann mit Hut, der da durchs Bild schreitet, um den größten Zerstörer der Geschichte handelt.

Das Interesse, das dieser Kontrast erweckt, gleicht dem dummen Staunen, das noch nach jedem Kindermord aus Nachbarmund erklingt: Der Mörder X sei doch ein höflicher, unauffälliger Zeitgenosse gewesen, wohlerzogen, ja hilfsbereit. Er war einer von uns, sonderbarerweise. Und von Hitlers Sekretärin Traudl Junge, die damals ein ahnungsloses junges Mädchen war, erfahren wir, dass er als Chef richtig nett sein konnte.

Es schickt sich nicht

Die Beschäftigung mit Hitlers Person geriet frühzeitig unter moralischen Verdacht. Wohlkalkuliert inszeniert Thomas Manns Essay "Bruder Hitler" die Überwindung der Ekelschwelle, die geleistet werden musste, bevor der Schriftsteller im Diktator eine vertraute "Erscheinungsform des Künstlerischen" diagnostizieren konnte, mit den Zügen des Asozialen, der Bohème, der Faulheit und anfänglichen Unentschiedenheit über den eigenen Platz im Leben, aber eben auch einer Gewissenlosigkeit, die jede sittliche Vorgabe zur Disposition stellt.

Thomas Manns Sohn Golo zeigte sich viel entschiedener als sein Vater. "Es schickt sich nicht, die Biographie eines Massenmörders zu schreiben. Wie er seine Abende verbrachte, welche Musik er bevorzugte, ob er lieber Bordeaux oder Champagner trank, das interessiert alles nicht, das gehört da nicht her." Das war, obwohl anlässlich der Haffnerschen "Anmerkungen zu Hitler" formuliert, immer noch auf die von ihm zwiespältig bewunderte große Biographie Joachim Fests gemünzt. Fest hat in seinem neuen Erinnerungsband "Begegnungen" mehrfach so geartete Einwände notieren müssen. Dolf Sternberger lehnte es geradezu ab, Fests Buch überhaupt zu lesen; ja Fests eigener Vater riet ihm von der ausführlichen Befassung mit Hitler ab.

Historiographischem Stoizismus

Fest, dessen Biographie auch als grandiose Ausfaltung von Thomas Manns "Bruder Hitler" gelesen werden kann, löste das moralische Problem durch eine absichtsvoll kühle Stillage. Man könnte von historiographischem Stoizismus reden, dem Versuch, sich durch das widrige Phänomen auf keinen Fall aus der Fassung bringen zu lassen. "Viel spricht dafür", so heißt es in Fests Buch, "dass er eine unangenehme Person war."

Er war es, obwohl er imstande war, einer Sekretärin den Kuchen zu reichen. Sein Gefühlsleben - etwa im Verhältnis zu Eva Braun -, seine gut dokumentierten Monologe, seine stets präsente Rachsucht lassen keinen anderen Schluss zu. Nichts an diesem Charakterbild schwankt. Und dass solche persönliche Widerwärtigkeit kein Nebenpunkt ist, mag ein Vergleich verdeutlichen. Der kürzlich erschienene 13. Band der Jacob-Burckhardt-Gesamtausgabe (bei C. H. Beck und Schwabe & Co) enthält den Vortrag, den Burckhardt 1881 über "Napoleon I. nach den neuesten Quellen" hielt.

Das Bild einer unangenhemen Person

Dieser grandiose Text, der zum besten gehört, was überhaupt zu diesem Mann geschrieben wurde, hält sich nur kurz bei Staats- und Kriegsaktionen auf. Er zeichnet, vorwiegend nach den Memoiren der Madame de Rémusat und den Mitteilungen Metternichs, ein Charakterbild Napoleons. Es ist das Bild einer unangenehmen Person.

Man sage nicht, dass man Hitler und Napoleon nicht vergleichen dürfe. Elias Canetti hat Hitler immerhin auch als Nacheiferer Napoleons plausibel machen wollen, und wenn Thomas Mann als Künstler "Brüderliches" in Hitler erkannte, dann dürfen auch Züge des Tyrannischen verglichen werden. Die intellektuellen und menschlichen Rangunterschiede - die sich schon aus Napoleons Leistung als Gesetzgeber erweisen lassen - sind davon nicht berührt.

Durch den so gelassenen wie physiognomisch präzisen Stil seiner Prosa hat Burckhardt ein Modell für die Darstellung tyrannischer Figuren gegeben. Mit großer, gänzlich hassfreier Ruhe zeichnet er ein herzloses Wesen, dem der Edelmut völlig mangelt. Napoleon erwies sich im persönlichen Umgang als kleinlich, unwahrhaftig und oft von erstaunlicher Rohheit. Der Historiker redet kaum von den Monstrositäten wie der Ermordung des Herzogs von Enghien; Napoleons zynische, Metternich schockierende Einstellung zu Gefallenenzahlen registriert er fast beiläufig.

Stattdessen erwähnt er spielverderberisches Verhalten des Kaisers auf Maskenbällen. Maskiert flüsterte er den Ehemännern Gemeinheiten über ihre Frauen zu; wenn diese aber gegen ihn intrigierten, nahm er das sehr übel, und riss den Betreffenden die Maske vom Gesicht. Burckhardt: "Daran erkannte man ihn, und wir erkennen ihn daraus ebenfalls."

Syndrom aus Lieblosigkeit

Das Syndrom aus Lieblosigkeit, Unwahrhaftigkeit, Grausamkeit und egoistischer Machtgier verband sich bei Napoleon mit strategischem Genie, einem kombinierenden Verstand und unbremsbarer Energie. Daraus wurde eine rastlose Eroberernatur, die glaubte, einen ganzen Kontinent auf die eigene Person ausrichten zu können.

Vielleicht ist Burckhardts Bild einseitig; gewiss aber ist, dass er die ausnahmehaften Züge von Napoleons Charakter mit eindringlicher Kühle erfasst hat. Dass diese Person auf Umstände stoßen musste, die ihr die gewaltige Kraftentfaltung erst erlaubten, ist davon ganz unbenommen.

Der Vergleich zwischen Hitler und Napoleon erbringt neben ungezählten anderen Abweichungen einen trivialen, aber fundamentalen Unterschied: Hitler war ein Selbstmörder, Napoleon nicht. Napoleon konnte nach all seinen Rechtsbrüchen, Angriffskriegen und Untaten nach Sankt Helena gehen, womit die ihn verbannenden Mächte anerkannten, dass er doch etwas mehr war als ein gemeiner Verbrecher. Sie haben ihn sogar zunächst zum Kleinfürsten auf Elba machen wollen, ihm also eine letzte Ehre gelassen, statt ihn einfach zu erschießen oder aufzuhängen.

Bei Hitler wäre niemand auf solche Gedanken gekommen, und er wusste das. Hitler war ein Selbstmörder, weil er ein Mörder war. Was ist ein Mörder? Nicht nur jemand, der einen anderen Menschen - oder viele - ums Leben bringt, sondern damit zugleich einer, der sich außerhalb aller Ordnungen stellt. Der Mörder lebt durch seine Tat in vollständigem Zwiespalt mit der Gemeinschaft der Menschen. Er kann auch nicht mehr zurück, denn seine Tat ist ja getan. Und wenn diese Tat nicht im Affekt geschieht, sondern mit ruhiger Überlegung, hat der Mörder die ihn umgebende Gemeinschaft schon vor ihrer Ausführung verlassen. Es gibt fortan nur noch eine Frage: die anderen oder ich.

Hitler war als Person ein gemeiner Mörder, allerdings auf einem besonderen Gebiet, der Politik, der Thomas Mann eine "grob effektvolle und verstärkende (amplifizierende) Natur" zuschreibt. Charakterlich gesehen ist der Mörder die extreme Steigerung der unangenehmen Person (des Egoismus, des Machtgenusses, der Freude am Angstmachen und so fort). Politisch, gar weltpolitisch, ist der Mörder eine Figur, deren Tun auf totalen Krieg, Alles oder Nichts, Sieg oder Untergang hinausläuft. Es kann für Mörder kein Zurück und keinen Kompromiss geben. Dieser Moment war für Hitler spätestens mit der industriellen Judenvernichtung erreicht.

Auf sie läuft sein Machtwille hinaus, nachdem mit dem Scheitern vor Moskau ein Sieg unwahrscheinlich geworden war. Man darf also einen entscheidenden Unterschied zwischen Napoleon und Hitler festhalten: Der eine war ein Eroberer (mit allem Furchtbaren, was darin beschlossen ist), der andere ein Mörder, mit allen notwendigen Konsequenzen, die das für einen politisch leitenden Menschen hat.

Diese Diagnose muss gar nicht psychologisch verstanden werden. Die Seele Hitlers braucht uns nicht zu interessieren, wenn wir feststellen, dass er ein Mörder war, der sich für sein Tun eines Staates bemächtigt hatte und dessen Feld ganz Europa wurde. Es geht um eine Struktur des Handelns. Wer mag, kann auch auf die Seele schauen, wie es nach Thomas Mann beispielsweise Elias Canetti in seiner Abhandlung "Hitler, nach Speer" getan hat, in einem Text von Burckhardtscher Besonnenheit. Mörderisches Handeln, wie schlau und geschmeidig auch immer am Anfang, mündet zwangsläufig in letzte Konsequenzen, bei der Niederlage in Selbstmord. Das mag grausig sein, es hat aber wenig Überraschendes.

Kühle Prosa, brüllender Film

Die letzten Tage im Führerbunker zeigen nun -- im Medium des Farbfilms - die Schlussszenen eines "Tatorts". Der Mörder wird gestellt und gibt sich die Kugel. Einige Kumpanen folgen ihm, andere suchen das Weite. Der letzte Schauplatz des Verbrechens, das Zentrum einer Stadt, geht in Flammen auf und zerbirst unter Granaten. Im Qualm und Lärm des Untergangs bleibt die entscheidende Frage ungestellt und unbeantwortet: Warum eine so unangenehme Person wie Hitler so viel Liebe, Gefolgschaft und bis zuletzt furchtsamen Gehorsam auf sich ziehen konnte.

Die Frage, in welch schrecklicher Lage sich ein Mensch wie Hitler in den letzten Apriltagen 1945 befand, mag nicht uninteressant sein. Für die Geschichte trägt sie nur wenig bei. Viel wichtiger ist eine andere Frage: Warum wurden seine Befehle fast bis zum Schluss befolgt?

Wir werden im Farbfilm Brüllen, Kreischen und Gerummse hören, Uniformen und Flammen sehen, versteinerte Mienen und verzerrte Gesichter. Mancher mag den Kitzel, sich einem Massenmörder ganz nahe zu fühlen, erproben wollen, andere mag Schadenfreude leiten, dass das Schwein auch einmal leiden muss. Man erkennt bei einem solchen Vorgang den Vorteil der Sprache vor der leiblichen Darstellung, der Geschichtsschreibung vor der Geschichtsinszenierung.

Man kann erkennen und seine Humanität bewahren mit dem Stil von Jacob Burckhardt und Thomas Mann, mit Elias Canetti, Joachim Fest, Sebastian Haffner und Golo Mann. Mit ihnen sollte man sich wappnen.

© SZ vom 9.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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