Hinrichtungsvideos von Saddam Hussein:Die zwei Leichen des Diktators

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Die Analyse des "offiziellen" und des "inoffiziellen" Films der Saddam-Exekution zeigt, dass es sich um eine perfekte Inszenierung aus zwei Blickwinkeln handelt.

Christian Kortmann

Die Bilder des Jahres 2006 erschienen erst, als alle Jahresrückblicke schon gesendet und gedruckt waren: die Filmaufnahmen von der Exekution Saddam Husseins. Zunächst, am 30. Dezember erschien ein so genanntes "offizielles Video", das von allen Nachrichten-Sendern und -Websites gezeigt wurde. Es dokumentiert ohne Originaltöne, wie der Diktator auf die Exekution vorbereitet wird: Maskierte Männer binden ihm ein Tuch um den Hals, legen die Schlinge darüber und ziehen sie zu. Der Film bricht ab, bevor sich die Fallgrube öffnet und Saddam Hussein nach unten fällt. Als abschließender Beweis für seinen Tod wurde der Leichnam gezeigt.

Totale Bildkontrolle im offiziösen Video: Rechts Saddam Hussein, daneben ein unmaskierter Vollstrecker, dessen Gesicht digital unkenntlich gemacht wurde. (Foto: N/A)

Schon bei diesen Bildern wurde es einem flau im Magen, weil sie eine Grenze überschreiten: Das Töten eines Menschen gehört zu den schlimmsten Bildern, die es gibt. Doch wenig später erschien auf den Videoportalen des Internet ein noch drastischeres Video, das seitdem als "inoffizielles Video" firmiert. Wir verzichten darauf, diesen Film zu zeigen. Wer sich stark genug fühlt, mag ihn im Netz ansehen, doch sei er gewarnt, dass die Bilder einen bis in den Schlaf verfolgen können.

Dieses vorgebliche Amateurvideo ist gut gemacht, es ist weitaus gruseliger als die schrecklichen Tötungsszenen in Michael Hanekes Filmen "Funny Games" und "Benny's Video", die sich einer dokumentarischen Ästhetik bedienen. Der 2:36 Minuten lange Film liefert auch die Tonspur der Hinrichtung, auf der, wenn man des Arabischen mächtigen Interpreten glaubt, Saddam laut beschimpft wird.

Er ist schlecht ausgeleuchtet, zeigt die entscheidenden Szenen aber klar und deutlich aus der Perspektive der unteren Ebene des Hinrichtungs-Verlieses. Saddam Hussein wird über die Treppe nach oben geführt. Die Kamera wackelt, es ist viel Betrieb, zu viele Menschen sind anwesend. Da, wo das offizielle Video abbricht, beim Akt des Hängens, entfaltet das inoffizielle seinen vollen Schrecken.

Ein Puzzle aus zwei Filmen

Mit Vorfurcht, dem Gegenteil von Vorfreude, erwartet man, was als nächstes geschieht. Die Falltür wird von unten gefilmt. Dann öffnet sich die Klappe, der Körper verschwindet nach unten aus dem Bild. Der Strick spannt sich mit einem harten Ruck.

Nun sucht die Kamera ihre nächsten Bilder. Lange sieht man nur Dunkelheit, dann plötzlich den Kopf des toten Saddam Hussein, der in der Schlinge hängt. Er ist vor den Schatten des Kerkers effektvoll ausgeleuchtet wie auf einem Gemälde von Caravaggio.

Das Erscheinen dieses inoffiziellen Videos wurde als Versagen der Bildkontrolle über die Hinrichtung gedeutet. Doch die Analyse zeigt, dass das offizielle und das inoffizielle Video wie zwei Puzzleteile ineinander passen. Schon im offiziellen Video hatte man das Gesicht des einzigen unmaskierten Vollstreckers in der Postproduktion durch digitale Verpixelung unkenntlich gemacht: Die Kontrolle über diese Bilder ist also äußerst gründlich.

Der inoffizielle wirkt wie ein Komplementärstück zum offiziellen Film, man mag kaum an einen Zufall glauben: Es handelt sich um eine perfekte Inszenierung aus zwei verschiedenen Blickwinkeln.

Obwohl sich der Kameramann des offiziellen und der des inoffiziellen Videos fast gegenüber stehen, vermeiden sie es, sich gegenseitig zu filmen - ausgeschlossen, dass die Anwesenheit des Machers des inoffiziellen Films, der wohl mit einer Mobiltelefonkamera drehte, nicht bemerkt wurde.

Im offiziellen Film schwenkt die Kamera zwar immer wieder nach links, aber nie weiter als bis zum unteren Ende der Treppe, von wo inoffiziell gefilmt worden sein muss. Maskierte Helfer steigen die Treppe hinab, laufen also genau auf diesen zweiten Kameramann zu, ohne ihn am Weiterfilmen zu hindern.

Barbarische Bildsprache

Beide Filme akzentuieren bestimmte Aspekte der Exekution. Ihre Inszenierungsweise hat den Verbreitungsweg bereits im Sinn: Das erste, mehr offiziöse denn offizielle, Video war für die traditionellen Medien bestimmt, staatstragend wird die Hinrichtung des Despoten nicht gezeigt, aber bewiesen.

Das inoffizielle Video, das alle ästhetischen Merkmale des Authentischen zeigt - Wackelbilder, schlechte Lichtverhältnisse, Stimmengewirr - gibt jedem die Gelegenheit, sich im Netz vom Tod Saddam Husseins zu überzeugen. Die Videoportale, die bis jetzt von Unterhaltungsclips dominiert wurden, sind damit auch zu einem politischen Medium geworden.

Isolde Charim wies im Vorfeld der Hinrichtung in der "taz" auf Ernst Kantorowicz' Studie "Die zwei Körper des Königs" hin: Saddam Husseins Körper habe sich verdoppelt, in einen natürlichen und einen übernatürlichen, der - trotz seiner zahlreichen Doppelgänger zu Regierungszeiten - für das politische Gemeinwesen seiner Diktatur stehe: Im offiziösen Video wird Saddams repräsentativer Körper vernichtet, im inoffiziellen sein natürlicher.

Die erste Verletzung der Würde des Menschenbildes wurde an Saddam Hussein exerziert, als man ihn im Dezember 2003 gefangen nahm und unrasiert und halbnackt der Weltöffentlichkeit präsentierte. Harte Zeiten, in denen sich der Mensch solch barbarischer Bildmittel bedient, die Konflikte lösen sollen, doch nur neuen Zorn schüren.

Am Sonntag werden im Irak die nächsten Exekutionen durchgeführt und weitere Verkörperungen der Schreckensherrschaft vernichtet.

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