Heute: Welttag der Poesie:Götterfunken / Kichererbsen / Webloggs

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Poesie ist praktische Lebenshilfe. Erich Kästner wusste das, als er seine "Lyrische Hausapotheke" zusammenstellte. Hier nun das Update mit digitaler Hörbibliothek und der Dichtmaschine "Poetron" im Web.

Von Klemens Vogel

Schiller hätte gebloggt. Das muss die Schillergesellschaft gespürt haben, denn sie hat zum Gedenkjahr ein Schiller-Web-Log eingerichtet, mit Sinnsprüchen, Informationen und Fundsachen wie dem "Schiller-Rap".

Vielen Dank für die Blumen. Silvana Mangano in Pier Paolo Pasolinis "Schicksal eines Poeten". (Foto: Foto: dpa)

Für den streitbaren Friedrich wäre das Cybermedium sicher ein Segen gewesen: Beim schwäbischen Dichterwettstreit mit Gotthold Stäudlin anno 1781 verschuldete er sich schwer mit seinem selbstverlegten "Musenalmanach". Den poetischen Hahnenkampf mit Stäudlin - inklusive gereimter Gehässigkeiten - hätte der Dichterfürst mit einem Blog preiswerter austragen können.

Musenalmanache und "poetische Blütenlesen" gehörten zu Schillers Zeiten in jedes Handtäschchen. So wie heute einige liebevoll gebookmarkte Poesie-Websites in keinem Browser fehlen sollten. Zwar wurde Hypertext-Poesie oder "Hyperfiction"schon mehrfach für Tod erklärt. Vielleicht, weil bei Websites wie www.ezaic.de die poiesis, die Welterschaffung im Wort, eher im Wirrwar endet. Dabei findet sich allerhand alltagsfeste Poesie im Netz.

Todesfuge oder Himmel-Schluck-Lied

Beim Update der "lyrischen Hausapotheke" sollte www.lyrikline.org ganz oben stehen. Die von Elke Erb und Gerhard Falkner betreute Website wurde zum ersten Welttag der Poesie der UNESCO im Jahre 2000 eingerichtet und erschließt die Werke von rund 280 deutschen und internationalen Autoren. Sie ist in fünf Sprachen aufgemacht (inklusive Arabisch), und viele Werke liegen mehrsprachig vor. Vertreten ist die Gegenwart und die klassische Moderne.

Das Besondere: Man kann sich die Verse nicht nur lesen, sondern online per Real-Player anhören. Je nach Stimmung vielleicht Paul Celans "Todesfuge" oder das "Himmel-Schluck-Lied" von Peter Rühmkorf - alles übersichtlich erschlossen mit Biografien, Werkschau und Links.

Vertrackter geht beim Poesie-Kollektiv www.neuedichte.de zu: Die dynamische Textlandschaft der 12 Autoren erschließt sich über eine interaktive Oberfläche, die dem Leser Querbezüge anbietet: "Imaginäre Räume" korrespondiert etwa mit "Der Trick mit dem Tischtuch ohne Tisch".

Warum, steht allerdings nicht dabei. Eine Herausforderung für alle, die gerne an verschlüsselten Verweisen herumrätseln. Eine andere verdienstvolle Internet-Plattform kommt etwas systematischer daher: Leider hat Ron Winklers Lyrik Log auf www.satt.org im Januar dicht gemacht . Doch die 99 Ausgaben mit Biografien und Links sind eine ausgezeichnete Startbasis in die deutsche Gegenwartslyrik.

Flaschenhals Buchverlag

Eine virtuelle Blütenlese im Stile Schillerscher Empfindsamkeit bietet www.onlinekunst.de: "Empfehlenwerter Poesie" - extra zusammengestellt zum Welttag. Hier gibt es "Poesie zum Frühling" oder "Poesie über Bäume" von Hölderlin über Busch bis Rilke, aber auch einen Link zum "Talentschuppen".

Bekanntlich schreiben weit mehr Menschen Gedichte, als das Menschen Gedichte lesen. Der Flaschenhals "Buchverlag" ist eng, nur wenige kommen durch. Bei www.onlinekunst.de kann jeder seinen eigenen Beitrag einsenden. Im angeschlossenen Dichterforum posten die Poeten was das Zeug hält: "Dieses Gedicht, lieber Herbert, scheint mir viel tiefsinniger zu sein, als es beim ersten Lesen den Anschein hat", steht dort etwa zu lesen.

Garantiert Sinnfrei

Wie Tief der Sinn bei der patentierten Lyrik-Softeware "Cybernetic Poet" des amerikanischen Computer-Propheten Ray Kurzweil reicht, kann auf www.kurzweilcyberart.com jeder selbst herausfinden. Die Software, deren Algorithmen sich Stil und Ausdruck von menschlichen Lyrikern aneignen, steht dort zum Download bereit.

Allerdings hat der Visionär der Künstlichen Intelligenz und Autor von Büchern wie "Die spirituelle Maschine" offenbar die Lust an der Spielerei verloren - Angeboten werden derzeit nur Versionen für Windows 95 und 98.

Garantiert sinnfrei schließlich ist www.poetron.de, das Abführmittel für jede gutsortierte Web-Apotheke. Man trage einen Personennamen, ein Substantiv, ein Verb und ein Adjektiv ein und drücke den Button "Bitte dichte für mich, Poetron!" Und fertig ist die Instant-Lyrik für jede Lebenssituation. Wer etwa Schillers "Ode an die Freude" die Worte Cherub, Götterfunken, thronen und freudetrunken entnimmt, erhält schon mal dies:

thront euch Götterfunken / ja ihr Götterfunken / thront und kichert - EUCH / so wie Cherub ! / doch kichert freudetrunken / grausam ja auch irritiert / ihr Götterfunken / bleibt freudetrunken grausam

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