Hertzkammer:Illegal, scheißegal

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"Aciiiiiied!" hieß es einmal. Jetzt entdeckt Etcher diesen Sound neu

Von Sabine Gietzelt

"It's basically Acid House", sagt Etcher und hält sich den Luftballon mit dem grinsenden Smiley vors Gesicht . Das sind klare Ansagen ohne ästhetische Überhöhung und Metaebenen mit diskursiven Fallstricken. Acid House wurde zu seiner Geburtsstunde in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre mit einem lang gezogenen kreischenden "i" geschrieben. Blanker Hedonismus war angesagt, und entgleiste Gesichter wurden mit Hilfe chemischer Substanzen in all die Nächte getackert, die fortan kein Ende mehr nehmen durften. Aber Aciiiiiieeeed heute?

Etcher hat in den Sound der Achtziger sehr wohl hineingehört, aber so schrill und mitunter unangenehm Acid damals auch klingen konnte, seine Musik tut das nicht. Sie ist durchaus im Heute angesiedelt. Etchers Acid ist ein bisschen kratziger, seine Tracks , wie zum Beispiel das psychedelische "Wormway", scheinen mittendrin dezent das Tempo zu wechseln. Der Sound verändert sich auf beunruhigend subtile Weise, und die Monotonie hypnotisch angelegter Nachtbeschallung bekommt bei Etcher einen feinen und eigenen Beigeschmack.

"Acid ist gesund!", sagt Etcher außerdem. Auch das war früher ganz anders. Da hätte man diese lästigen zwölf Stunden Tag am liebsten abgeschafft. "Corrosive Days", rostige Tage also heißt ein anderer Track von Etcher. Fast einen Roman erzählt so eine Wortschöpfung in der literarischen Sparsamkeit der Technowelt. Mit konkreten Informationen ist Etcher sparsam. Es gibt nur wenige Informationen über ihn. Aber man weiß: Etcher kommt aus Stockholm. Vielleicht ist Etcher einfach noch so unbekannt, dass sich keiner für sein Projekt interessiert. Was komisch wäre, denn wir können gar nicht anders, als beim Hören seiner Musik ein Revival zu wittern.

Acid war in seinen Anfangstagen revolutionär und initiierte eine Jugendbewegung, deren Folgen für das Ausgehverhalten bis heute spürbar sind. Abgesehen davon wurde auch die Mode wesentlich davon beeinflusst. Man denke an den bis heute anhaltenden Siegeszug des Turnschuhs, in dem sich Nächte eindeutig besser durchtanzen ließen als in den Achtzigerjahre- Stenz-Bechern.

Nach einem kurzen Moment unschuldigen Glücks wurde Acid House schnell vom Kommerz vereinnahmt und überrollt. Vom Club ging's raus auf die Felder und ins Grüne, aus geheimen Raves wurden Mega-Raves für die Massen, und aus illegal wurde scheißegal. So war das mit dem Acid. Die Musik von Etcher erinnert an frühe Zeiten, sie macht heute noch und heute wieder Spaß, klingt außerdem sehr gut und wirkt sonderbar modern!

Mit Etcher ist Acid Pauli in der Roten Sonne am Samstag. Der weiß auch, wie Acid geht, kann aber auch anders, wenn es darauf ankommt. Und dann lädt auch noch Kaan Duzarat aus der Türkei ein zum großen Rave.

Etcher, Acid Pauli, Kaan Duzarat, Samstag, 28. November, Rote Sonne, Kolosseumstr. 6

© SZ vom 26.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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