Die Popkultur benutzt akademische Ausdrucksweisen oft als provokante Aneignung: In Frankfurt gab es bis 2013 das "Institut für vergleichende Irrelevanz" - ein von der autonomen Szene besetztes ehemaliges Uni-Gebäude. In München gibt es das etwas romantischere Institut für Glücksfindung, das seit 2010 mittels künstlerischer Ausdrucksweisen empirisch nach Glücksmomenten sucht. So verwundert die Unterzeile des Berliner Labels Raster-Noton nicht: "Archiv für Ton und Nichtton" heißt es in bestem bürokratischen Benennungsdeutsch. Das Forschen im Kunstbereich betreibt man dort schon seit 20 Jahren, was Musik irgendwo zwischen dem Post-Millenniums-House der Berliner Schule und den Tonforschungsprogrammen der Neuen Musik in den Sechzigerjahren hervorbringt.
Seinerzeit schrieb Adorno die Theorie dazu, während Stockhausen komponierte, da waren die akademischen Formulierungen noch keine Provokationen aus dem Popkultursumpf, sondern ernst gemeint. Genauer betrachtet machen die Künstler, die auf Raster-Noton veröffentlichen, nichts anderes. Sie suchen mit aktuellen Tonerzeugungsmitteln nach neuen Klängen. Carsten Nicolai alias Alva Noto etwa, Labelgründer und bildender Künstler, dessen Musik nach einem zeitgenössisch komponierten John Cage klingt, mit Beats, die ab und an sanft ins derb-knarzende Geräusch reichen. Oder Frank Bretschneiders flächige Klangstudien, die Housemusik genauso kennen wie Stockhausen. Dass Choreograf Richard Siegal in Alva Noto seinen Hauskomponisten gefunden hat, passt. Dass die Bezeichnungen Hochkultur und Popkultur nun auf der Premiere des Festivals "Noise Signal Silence" als völlig irrelevant betrachtet werden, ebenso. Richard Siegal zeigt da eine neue Choreografie, Raster-Noton präsentiert seine Künstler, und als mainstreamigere Variante tritt Pantha du Prince auf.
Noise Signal Silence, Sa., 30. Okt., 20 Uhr, Muffatwerk, Zellstraße 4