Hertzkammer:Das große Knuddeln

Lesezeit: 1 min

Das "Kollektiv Turmstraße" macht Techno für Romantiker

Von Sabine Gietzelt

Es soll vorgekommen sein, dass sich wildfremde Menschen auf der Tanzfläche umarmt haben, als das Kollektiv Turmstrasse das Mischpult bediente und zum großen Weltversöhnungsknuddeln im Technoclub inspirierte. Einen gewissen Hang zur Romantik kann man diesem sogenannten Kollektiv, das ein sehr, sehr kleines nur ist, auf jeden Fall zuschreiben. Ein Plattentitel wie "Rebellion der Träumer", ihr Album von 2010, kann ja kein Zufall sein. Auf diesem Album hörte man Nummern fast ohne Beats, es wurden Saiten gezupft, warme Sounds fielen auf kalten Boden, das war Techno ohne Techno. Es gibt Stücke von Kollektiv Turmstrasse wie "Goldmarie" und "Was Bleibt", die bleibend als Songs durchgehen. Ein Titel wie "Grillen im Park" erzählt eh schon die ganze Geschichte, und die Möwen, die auf "Heimat" zum Meeresrauschen kreischen, tun es auf ihre Weise auch. Ursprünglich kommt das Kollektiv aus Wismar an der Ostsee.

Erwähnen wir noch "Holunderbaum", "Flaschenpost", "Blutsbrüder" - wunderbare Listen mit Songtiteln kann man mit dem Turmstrassen-Backkatalog erstellen, der ordentlich angewachsen ist. Denn das Kollektiv steht nicht nur auf der Kuschelseite. Natürlich gibt es auch bei ihnen die tiefen Beats, die zum Minimal Techno rollen, aber er ist niemals von der harten Sorte. Kollektiv Turmstrasse ist ein Duo, es ist digital und analog und macht Musik für Club und Zuhause. Zunächst schallte es aus Mecklenburg-Vorpommern, später aus Hamburg zu uns. Im fernen Jahr 1998 hatten sich Christian Hilscher und Nico Plagemann auf einer Party kennengelernt, Christian war DJ, Nico ist live aufgetreten und irgendwann wohnten beide zusammen in eben der Turmstrasse, wo Leben gelebt und Musik gemacht wurde. Gelebt wird inzwischen getrennt, aber Musik entsteht noch immer gemeinsam. Bald haben die beiden zwanzigjähriges Jubiläum.

Turmstrassen-Musik ist Musik zum Chillen, zum Dahinwogen, zum Sich Verlieren in Sound und Gedanken und auch in diesem Sog, den langsamere gute Tracks entwickeln können. Dennoch ist der Sound eher weniger geeignet für hibbelige Fitness-Tänzer, die das Tanzvergnügen lieber sportlich angehen anstatt verzückt die Augen schließen. Schon oft war Kollektiv Turmstrasse in München, als alte Bekannte sind sie am 30. September wieder in der Roten Sonne.

Kollektiv Turmstrasse, Sa., 30. September, 23 Uhr, Rote Sonne, Maximiliansplatz 5

© SZ vom 28.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: