Harald Juhnke ist tot:Ewige Öffentlichkeit

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Der große Rausch, der große Mann: Zum Tod des Überlebens- und Schauspielkünstlers Harald Juhnke. Von Willi Winkler

Vor acht Jahren war's, ein Abend im Friedrichstadtpalast, ein Abend mit Harald Juhnke. Heiter stand er im Dinnerjäckchen auf der Bühne und trällerte für sein zahlreich erschienenes Publikum Chanson um Couplet. In Bussen waren sie von weither gekommen, und alle hatten sich fein gemacht für den Abend mit Harald Juhnke.

Das war doch ein Fest, eine Silvester-Party mitten im Jahr, und ein guter Grund, unterm Wintermantel das kleine Schwarze auszuführen. Juhnke erzählte eine Anekdote, dann sang er wieder etwas, sang das Lied von Mackie Messer.

Alle jubelten sie dem Sänger mit der brüchigen Stimme zu, und als er seine Anhänger in die Pause verabschiedete, forderte er sie noch auf, doch ein Glas Champagner zu trinken, während er sich leider - o der Schelm! - mit einem Mineralwasser bescheiden müsse. Da freuten sich alle, das war ihr Juhnke, der Mann mit den kleinen Schwächen.

Er trank manchmal, wie man gern sagte, einen über den Durst, er war, noch so ein Ausdruck, kein Kostverächter, wenn ihn ein fremdes Weib lockte, und jetzt stand er leibhaftig auf der Bühne.

I did it my way

Im Foyer war klein und gerade noch leserlich ein Schild angebracht, dass der Veranstalter jede Haftung bei Ausfällen ablehne. Der Abend mit Harald Juhnke verlief ohne Ausfälle. Nach der Pause setzte er das Programm fort, und siehe da, der Schelm konnte ernst sein.

Er entschuldigte sich, sagte, dass er es nicht gewesen wäre. Ein anderer Harald Juhnke war abgestürzt, hatte im Delirium einen schwarzen Kellner beleidigt, hatte ihn, das wussten Zeugen, als "Nigger" bezeichnet und vor diesen Zeugen erklärt "Bei Hitler wäre so etwas vergast worden."

Juhnke übte öffentlich Reue für diesen fremden Juhnke und sang hilflos eingedeutschte Zeilen: "Was ich im Leben tat, das war nicht immer richtig" und dann, damit auch jeder merkte, wo er hingehörte: "Wenn ich auch ganz gewiss mich nicht von Schuld und Schwäche frei seh'" - und die Stimme ging zugleich mit der rechten Hand hoch - "I did it my way."

Denn Frank Sinatra wollte er sein und blieb doch bloß Harald Juhnke, ein Berliner Luftikus, der mit zunehmendem Alter um sein Leben spielte. Längst war er suchtkrank. Säufer sind nicht zu heilen, nur trockenzulegen, aber selbst dann ist die Sucht nicht zu bändigen.

Noch mehr als dem Alkohol war Juhnke der Ruhmsucht verfallen. Durch seine ZDF-Auftritte war er in den Siebzigern populär, doch erreichte seine Karriere ihren Höhepunkt erst, als Juhnke den öffentlichen Trinker spielte.

Der Entertainer Juhnke war kein ganz großer Schauspieler, aber ein Darsteller, und niemanden konnte er besser darstellen als den schlawinernden Schlingel, der immer mal wieder über die Stränge schlägt, seine kleinen Schwächen offen zeigt und deshalb auf Verständnis aller anderen Schwachen rechnen kann.

Ein Suchtkranker ist nicht mehr zurechnungsfähig, und deshalb glaubte Juhnke irgendwann, was über ihn geschrieben wurde: dass er ein richtiger Entertainer sei; eine Stimmungskanone; und, so sicher wie das letzte Glas im Stehn, der deutsche Sinatra.

Deshalb poussierte er nur unter Aufsicht mit fremden Frauen, zog sich mit ihnen in Hotelzimmer zurück (und nur die Kamera durfte dabei sein) und delirierte regelmäßig über die Titelseiten.

Er hatte die Rolle seines Lebens gefunden: Harald Juhnke musste nicht mehr Sinatra nacheifern, sondern zerstörte sich auf eigene Rechnung.

Für die verlässlich hinterherhechelnde Promi-Presse wurde er ein Heiliger der letzten Tage, der Schutzpatron für das Methusalem-Zeitalter, wenn die Menschen auf der Nordhalbkugel fast unsterblich sein werden, weil sie, an Krebs oder unheilbarer Demenz leidend, angeschlossen an die Instrumente aufwändig dahinsiechen.

Noch im Altersheim wurde er von Fotografen abgeschossen, seiner Frau rechnete man jede Reise nach Paris vor, da wurden vorzeitige Erbschaftsstreitigkeiten inszeniert, sodass einem der arme Mann leid tun konnte.

So war es ein schönes Wechselspiel: Die Zeitungen schrieben über den Mann, der abstürzte, sich wieder hochrappelte und wieder soff, und der Künstler sah sich beachtet und tat der Presse den Gefallen, sich immer und immer wieder zum Narren zu machen. Juhnke hielt das Aufsehen, das ihm wegen seiner Skandale zufiel, für Beifall und machte gehorsam weiter - bis zum Ende im Heim für Demenzkranke.

Das Blutsaugerische dieser ewigen Öffentlichkeit war auch an jenem Abend im Friedrichstadtpalast zu merken. Das Publikum wartete auf den Absturz, der nicht kam. Juhnke kündigte neue Projekte an, wollte weitere Filme drehen, auf die Bühne zurück, wollte den Ruhm genießen, der ihn plötzlich als seriösen Schauspieler erscheinen ließ. Nein, er werde nicht mehr trinken, das sei jetzt vorbei.

Mit Schaudern

Der Alkohol sei sein Tod, und beim nächsten Mal müsse er sterben, sagte er von der Bühne herab. Das Publikum hörte es mit Schaudern. In der Autobiografie, die Harald Wieser für ihn schrieb, zelebrierte er ein weiteres Mal den Geläuterten.

Wieder musste es auf offener Bühne inszeniert werden, auf der er dann erwartungsgemäß ein weiteres Mal stürzte. Drei Tage später stand in der Zeitung, dass man ihn in München beim Umsteigen aus dem Flugzeug hatte holen müssen, sturzbetrunken, aggressiv und nicht mehr bei Sinnen.

Er kam mit dem Leben davon, dafür hatte er sich aber um den Verstand getrunken. Das haben auch die Herrschaften von Bild, Bunte und der nachgeordneten Presse auf dem Gewissen. Als Lebens-, Suff- und zuletzt als Sterbebegleiter mochten sie bis zuletzt nicht von seiner Seite weichen.

Gestern früh ist der Überlebenskünstler und Schauspieler Harald Juhnke im Alter von 75 Jahren in Berlin gestorben. Jetzt hat, und selten war der Spruch so berechtigt, jetzt hat die gute Seele Ruh.

© SZ vom 02.04.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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