Handyfilme:Mediale Dauerpräsenz

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Fernsehen und Filme werden die Menschen auf Schritt und Tritt verfolgen - mit Micromovies. Zu sehen war diese Filmkunst auf dem Bitfilm Festival in Hamburg. Von Jürgen Schmieder

Die beiden Jungs in der Hamburger U-Bahn haben zweifelsfrei ihren Spaß. Nebeneinander sitzen sie auf ihrer Bank und starren gebannt auf das Mobiltelefon, das der kleinere von beiden in der Hand hält. Die Umstehenden können mithören, die Kopfhörer baumeln an der Jacke. Es muss sich um einen Comic handeln - wahrscheinlich Donald Duck. Nach ein paar Minuten wird es still, das Handy verschwindet in der Hosentasche, die beiden Jungen verlassen den Zug.

Der Slogan aus den neunziger Jahren "Immer erreichbar" ist evolviert zu einem "Immer empfangbar". "Micromovies" nennt sich die neue Form digitaler Filmkunst. Bisher bestanden Handyfilme aus wackelig anmutenden Klingeltönen mit skurrilen Animationen und verpixelten Höhepunkten von Sportereignissen. Auf dem Bitfilm Festival in Hamburg am vergangenen Wochenende wurde deutlich, dass es neben der Verschmelzung von Filmen und Computerspielen einen weiteren Trend gibt: Filme und Miniserien auf dem Mobiltelefon sollen ihre rudimentäre und rohe Form verlieren und zur ernstzunehmenden Kunstform - und damit zu einer neuen Mediensparte - heranwachsen.

Dabei geht es nicht wie bei der PlayStation Portable darum, bereits vorhandene Kinofilme auf dem winzigen Bildschirm mit dem Risiko einer Augenepilepsie zu betrachten. Vielmehr ist die Planung von Mobilfunkunternehmen, Serien und Filme allein für den Mobilfunkmarkt zu produzieren.

"Vom technischen Standpunkt sind wir dazu in der Lage", sagte Festivalleiter Aaron Koenig. Es liege allein an den Konsumenten, ob sie die neue Kunstform anzunehmen bereit sind. In anderen Ländern freilich sind Micromovies bereits ein fester Bestandteil der Kultur. In Korea gibt es Comicserien für das Handy, Gameshows und ganze Spielfilme. Wohin der Mensch auch geht, sein Miniatur-Fernsehgerät ist dabei. In England kam im Februar eine abgespeckte Version der erfolgreichen Fernsehserie "24" heraus. Einmal pro Woche erhielten die Abonnenten eine neue Folge von "24: Conspiracy". Dauer: jeweils 90 Sekunden. Das Experiment war ein voller Erfolg, über eine Million Menschen verfolgten das Schicksal eines Agenten auf der Suche nach einer Mörderin. Bei einem Preis von 20 Dollar für die Serie wurden die Produzenten ermutigt, das Projekt weiterzudenken.

"Bei Micromovies muss der Regisseur in anderen Dimensionen denken", sagt Bitfilm-Kurator Moritz Hirchenhain. "Blut muss viel überzogener dargestellt werden, damit es auf dem kleinen Bildschirm zu erkennen ist." Auch gewagte Soundeffekte seien nur eingeschränkt möglich, da der Konsument in der Lage sein muss, einer Folge auch einem vollbesetzten Zug zu folgen. Auch die narrative Struktur muss stringenter sein als bei einem Kinofilm. Innerhalb von einer Minute müssen Micromovies eine Handlung erzählen und den Bogen spannen, damit sich der Zuschauer die nächste Folge in einer Woche auf sein Handy bucht.

Bald in Spielfilmlänge

So lange soll es in Deutschland nicht dauern, geht es nach den Geräteherstellern. Sie arbeiten derzeit an täglichen Formaten für das Handy. Eine Daily Soap könnte es werden, vielleicht eine Telenovela. Jeden Tag pünktlich zur Fahrt in die Arbeit wird die neue Folge auf das Telefon gesendet, die Handlung bewährten Formaten aus dem Fernsehen wie "Gute Zeiten, Schlechte Zeiten" oder "Verliebt in Berlin" nachgeahmt werden. Die Zuschauer sollen dazu im Internet die Möglichkeit erhalten, über die Serie zu diskutieren und mehr über die Protagonisten zu erfahren. "Mit dem Internet könnte der Nachteil der kurzen Ausstrahlungsdauer ausgeglichen werden", sagt Hirchenhain.

Zu den Plänen der Hersteller gehört es aber auch, Filme in Spielfilmlänge zu produzieren. Auf einer längeren Zugfahrt oder im Stau wäre es möglich, sich ohne Laptop und Internetverbindung einen für das Handy produzierten Film herunterzuladen. "Die meisten Telefone sind dafür gerüstet, die Filmdateien müssen nur klein genug sein, um schnell übertragen werden zu können", sagt Hirchenhain.

Zukunftsmusik ist dagegen noch die Liveberichterstattung von Fußballspielen. Die Übertragungsraten von UMTS sind noch nicht so hoch, um einem Spiel dauerhaft ohne Ruckelei folgen zu können. Dazu sind die Bildschirme nicht optimal für ein Spiel von 90 Minuten - wieder das Problem mit der Augenepilepsie. Großen Zuspruch dürften allerdings kurze Zusammenfassungen von Höhepunkten nach dem Spiel sein. Der Abonnent erhält die besten Szenen auf sein Mobiltelefon geliefert, kann direkt nach dem Abpfiff die Tore seiner Lieblingsmannschaft bejubeln.

Fernsehen scheint sich also in zweierlei Richtungen zu entwickeln. Zum einen dringen immer gigantischere Bildschirme, größere Lautsprecher und ausgefeiltere DVD-Player in die Wohnzimmer ein. Zum anderen wird den Menschen in Zukunft das Fernsehen auch außerhalb des trauten Heims auf Schritt und Tritt verfolgen. Eine mediale Dauerpräsenz ist nicht mehr weit entfernt, eigentlich ist es schon längst passiert. Wenn bald ein junges Mädchen in der U-Bahn steht und hysterisch zu kreischen beginnt, dann muss es nicht unbedingt etwas Schlimmes bedeuten. Die Hauptdarstellerin einer Soap Opera könnte lediglich den falschen geküsst haben.

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