Guibert, Lefèvre und Lemercier: "Der Fotograf":Über Stock und Stein mit Tim und Struppi

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Graphic Novel trifft auf Schwarz-Weiß-Fotographie: Ein ungewöhnliches Seh- und Leseerlebnis über "Ärzte ohne Grenzen", die im Krieg zwischen der Sowjetunion und den Mudschaheddin in Afghanistan Hilfe leisten.

Von Christoph Haas

Seine erste große Fotoreportage führt ihn 1986 nach Pakistan. In Peshawar ist Didier Lefèvre mit Mitgliedern der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" verabredet, die eine Karawane ins Nachbarland vorbereiten. Mitten im afghanischen Kriegsgebiet soll ein Lazarett Nachschub erhalten und ein weiteres errichtet werden. Das von den Mudschaheddin tolerierte Unternehmen ist ebenso langwierig wie gefährlich.

Mit motorisierten Fahrzeugen und auf normalen Straßen würde es nicht länger als einen Tag in Anspruch nehmen. Um aber weder den Regierungstruppen noch den sowjetischen Invasoren in die Hände zu fallen, ist es notwendig, sich mit schwer bepackten Eseln und Pferden quer durchs Gebirge zu schlagen: über steile Geröllhänge, halb verschneite Pässe und wackelige Brücken. Mehrere strapaziöse Wochen wird die internationale Gruppe überwiegend zu Fuß unterwegs sein, bis sie endlich ihr Ziel erreicht hat.

Lefèvre ist später noch viel herum gekommen. Er war in Malawi und Kambodscha, hat äthiopische Langstreckenläufer, spanische Toreros und französische Feuerwehrleute fotografiert. Im letzten Jahr ist er mit gerade fünfzig plötzlich verstorben. Seinen Auftrag in Afghanistan hat er in einem Bildband, aber auch in drei Comic-Alben, die im französischen Original zwischen 2003 und 2006 erschienen sind, festgehalten. Das erste von ihnen liegt nun auf deutsch vor - und bietet ein fesselndes, völlig ungewöhnliches Seherlebnis.

Lesefluss gezielt verweigert

Da sind einerseits die flächigen, meistens gedeckt kolorierten Zeichnungen Emmanuel Guiberts und Frédéric Lemerciers, in denen Hintergründe gerne nur angedeutet werden oder aus monochromer Farbe bestehen. Da sind andererseits die detailreichen und tiefenscharfen Schwarzweiß-Bilder des Fotografen. Der Kontrast könnte nicht größer sein und ruft eine vibrierende Spannung hervor.

Durch die Heterogenität der beiden Formen, die sich ständig abwechseln, wird der sonst von einem Comic gewohnte Lesefluss gezielt verweigert. Ähnlich den Reisenden, die über Stock und Stein müssen, kann auch das Auge des Betrachters nicht gleichmäßig dahin gleiten; es ist zum Hüpfen gezwungen, zum Beschleunigen und Abbremsen. Und lässt man die Seiten des Comic-Albums in ihrer jeweiligen Gesamtheit auf sich wirken, so besitzen sie eine fast dreidimensionale Plastizität: Wie bei einer Kippfigur treten mal die Panels, mal die ihnen im Format angeglichenen Fotografien hervor.

Ein faszinierendes Album ist "Der Fotograf" aber auch, weil es Einblicke in eine fremde Kultur erlaubt, die, anders als es uns heute mitunter erscheinen will, nicht allein von todessüchtigen Terroristen und brutalen Frauenunterdrückern geprägt wird.

Auf einer Doppelseite mit Schnappschüssen, denen ein Blocktext vorangeschaltet ist, schildert Didier Lefèvre, wie sich Käufer und Verkäufer auf dem Pferdemarkt verhalten: "Damit der Handel vertraulich bleibt, werden die Hände bisweilen mit einem Tuch bedeckt. Dann reden sie miteinander durch Bewegen oder Druck der Finger. Die Finger des einen schlagen eine Summe vor, die Finger des anderen akzeptieren oder lehnen ab. Das ist ihr Code, eine Art Sprache, dazu Mimik und Blicke. Manchmal sieht man, wie einer seine Hand zurückreißt, weil er das Angebot indiskutabel findet."

Nicht ohne Erschütterung erfährt man, dass die westlichen Helfer bei ihrer Tätigkeit oft nicht heilen, sondern nur das Sterben lindern können - und dafür großen Dank erfahren: Haben sie doch die Kranken umsorgt und darauf vorbereitet, Allah zu begegnen. "Wie schade, dass du keine Muslima bist!", hört eine Ärztin von den Angehörigen. "Wir werden in einem anderen Paradies leben."

An einer Stelle bemerkt Lefèvre, dass ihm während des harten Weges die Lektüre seiner Kindheit nicht aus dem Sinn kommen will: "Manchmal denke ich an Tim und Struppi. Es ist wirklich irre. Oft habe ich das Gefühl, als wären sie auch dort vorbeigekommen, wo wir entlanggehen." In der Tat erinnern die kargen, leeren Berglandschaften, in denen man sich über das Auftauchen eines einsamen Schneemenschen nicht wundern würde, ein wenig an "Tim in Tibet".

Der Hinweis macht aber auch darauf aufmerksam, dass "Der Fotograf" trotz seiner ungewöhnlichen Machart einer der besten Traditionen des klassischen französischen Comics verpflichtet ist. Die dokumentarische Recherche, die vorurteilslose Neugierde, die den großen Werken Hergés zugrunde liegen, sind hier zur Hauptsache geworden. Sie haben ein Album von anrührender Humanität hervorgebracht, das sich spannender liest als viele Abenteuergeschichten.

Emmanuel Guibert, Didier Lefèvre, Frédéric Lemercier: "Der Fotograf. Band 1. In den Bergen Afghanistans." Aus dem Französischen von Martin Budde. Edition Moderne, Zürich 2008. 80 Seiten, 19,80 Euro.

© SZ vom 11.03.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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