Große Journalisten (XII):Die Menschenfängerin

Lesezeit: 3 min

Ursula von Kardorff schrieb über Paris, Politik und Mode

BIRGIT WEIDINGER

Was kommt einem in den Sinn, wenn man sich an sie erinnert? Es sind viele kleine Facetten, die ihr eindruckvolles Naturell belegen: Die gebürtige Berlinerin, nach dem Krieg eingefleischte Münchnerin, war gern mit dem Fahrrad unterwegs, radelte durch ihr geliebtes Schwabing in ihre Zeitungsredaktionen und zurück.

Und wenn sie in einen anderen Stadtteil musste, dann kommentierte sie das launig als unzumutbares Ansinnen - "weg aus meinem Viertel, so weit weg!" Sie trug den Spitznamen "die rote Gräfin", sie war eine leidenschaftliche und gesuchte Gastgeberin; ihre kleine Wohnung erweiterte sie durch Möbelrücken so, dass sich ihre Besucher, dicht an dicht gedrängt, immer wohl fühlten.

"Mischt euch, mischt euch"

Und stets war sie bei ihren Festen nicht nur ums leibliche Wohl besorgt, sondern auch um kommunikative Tuchfühlung. Rief deshalb, in die Hände klatschend: "Mischt euch, mischt euch" - ein freundliches Kommando. Ein weiterer ihrer Ausrufe lautete: "Fabelhaft!".

Ursula von Kardorff (1911-1988) hat ihre starke Individualität und Persönlichkeit nicht demonstrativ vor sich hergetragen, sie war einfach so, und deshalb war sie überzeugend. Vor allem beruflich: Sie hat sich als Journalistin, Autorin, Kolumnistin, Reiseschriftstellerin einen Namen gemacht und erhalten.

Sie war langjähriges Redaktionsmitglied der Süddeutschen Zeitung und kommentierte regelmäßig in der Abendzeitung. Kollegen, Freunde, Bewunderer, Nachahmer und auch Kritiker hätten sich vermutlich schnell darauf geeinigt, dass "die Kardorff" einige Kardinaltugenden der Zunft besaß: unbändige Neugier, die unaufhörliche Gabe, sich zu wundern und die Zielstrebigkeit, das solchermaßen Wahrgenommene in Texte umzusetzen.

"Nur für Unpolitisches"

Die junge Ursula von Kardorff, einer angesehenen Berliner Künstlerfamilie entstammend, war stolz, als sie 1937 Volontärin bei der Deutschen Allgemeinen Zeitung wurde ("Nur für Unpolitisches", rieten die NS-Prüfer).

Damals führte sie das Leben einer lebenslustigen höheren Tochter, deren Eltern ein gastfreundliches Haus führten und mit dem kulturellen Berlin stark verbunden waren. An Flirts, Amouren, Reisen erinnert sie sich in ihrem Tagebuch Berliner Aufzeichnungen, und wie viele ihrer Generation begriff sie erst allmählich, welch monströsen Auswirkungen das Hitler-Regime mit sich bringen sollte.

Über ihre Familie schreibt sie: "Außer meinem Vater — unbestechlicher Gegner der ersten Stunde — hatten wir Phasen, in denen auch wir schlicht Mitläufer waren, zumindest in den Jahren vor Kriegsausbruch."

In diesen Aufzeichnungen, die die Jahre 1942 bis 1945 umfassen und die erstmals 1962 erschienen, fragt die Verfasserin bei sich selbst nach, ob sie hätte voraussehen können, was geschah, sie findet sich ängstlich, bewundert alle, die den Juden unter Lebensgefahr helfen — und geriet durch ihre Kontakte zu den Verschwörern des 20. Juli selbst in Gefahr.

Die Verhöre im Gestapo-Hauptquartier schildert sie lakonisch, trotzig.

Lasttiere

Die Erfahrungen des Naziregimes schärften das journalistische Gespür der Beobachterin. So notiert sie im März 1944: "Die Frauen gelten nicht mehr als das von Natur aus schwächere Geschlecht.

Das Geschöpf, das in Hosen Brandbomben löscht wie ein Feuerwehrmann, das mit der Hacke in verschütteten Kellern Ausgänge buddelt, Möbel aus brennenden Zimmern schleppt, Flakschießen und Bombeneinschläge zu taxieren weiß — dieses geschlechtslose, tapfere, tüchtige Wesen, ist es eigentlich noch eine Frau?

Frauen fallen nicht mehr in Ohnmacht, sie haben keine Migränen und keine Kapricen, sie sind keine Luxusgeschöpfe mehr, sondern nur noch Lasttiere."

Wache Neugier

Es gab Kritiker, die eine spätere, von der Verfasserin bearbeitete Ausgabe der Berliner Aufzeichnungen als geschönt und nicht authentisch bezeichneten, ein Vorwurf, der ein aufschlussreiches Licht wirft auf Wahrnehmungen, die von der Erinnerung geprägt und von der Gegenwart interpretiert werden.

Unmittelbar nach Kriegsende landete Ursula von Kardorff im schwäbischen Jettingen, später wurde München zum Lebenszentrum; in der Redaktion der SZ arbeitete sie als politische und Gesellschafts-Reporterin, Kolumnistin, Kommentatorin, Modeexpertin.

Zu einer ihrer ersten Aufgaben gehörte die Berichterstattung von den Nürnberger Prozessen.

Bei all ihren Aktivitäten bewahrte sie sich eine wache Neugier für das, was ihr wichtig erschien, und schuf sich ein weites Netzwerk von Freunden. In der großen und kleinen Welt habe sie sich umgesehen, schrieb ein Kollege im Herbst 1987, als gleich drei Bücher von ihr in drei Verlagen erschienen, zwei über Paris und eines (Titel: Schön wie eine Seifenblase) mit gesammelten Kardoff-Artikeln.

Auf kleiner Flamme

Der Rezensent meinte, es sei noch nie ihre Sache gewesen, irgend etwas auszulassen: Diese journalistische Sammelleidenschaft führte aber nicht dazu, dass sie in ihren Artikeln ein loderndes Feuer entzündete, sie kochte vielmehr auf kleiner Flamme, genau beobachtend, witzig, spöttisch, auch bewundernd.

Einen von vielen Beweisen dafür lieferte ihre stark beachtete Reportage über das Leben des Terroristen Christoph Wackernagel.

Sie war Grande Dame und konnte auch die Naive sein, in manchmal fast schwärmerischer Hochachtung gegenüber Personen oder Leistungen — da passte es dann wieder, das Wort "faabelhaft!". Sie mochte viele Menschen gerne, ging aber bei Recherchen auch stark auf Distanz, fragte nach, hakte sich fest.

Mit dem Herzen denken

Man rühmte an ihr die Kunst Fontanes, das Private und Humane vor dem Hintergrund der Zeit unpathetisch zu schildern, sowie mit dem Herzen zu denken.

Auch als sie älter wurde, bewahrte sie sich ihre Frische. Ein Metropolenmensch war sie, "Menschenfängerin" wurde sie genannt von Hans Abich, dem Nestor des deutschen Films und Fernsehens: Das war anlässlich jenes Festes, das, so hatte sie verfügt, nach ihrem Tod von ihren Freunden gefeiert werden sollte.

Es wurde gefeiert — und alle kamen, um sich an sie zu erinnern. Ihre Bücher, heute bei Amazon gebraucht zu kaufen, sind Lehrbücher für guten Journalismus. In ihnen ist nachzulesen, wie man Menschenfängerin wird.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: