Geschichte der Piraterie:Eine Hand wäscht keine andere

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Warum wir die Robin Hoods der Meere so lieben. Und was den Mythos des edlen Piraten von somalischen Seeräubern unterscheidet.

P. Steinberger

Sie waren Freeclimber, Säbelkünstler, Enterhakenwerfer. Gern warfen sie auch Frauen in weiten Rüschenröcken über ihre Schultern. Charmant waren sie, außer in "Asterix", da waren sie dämlich. Aber wen interessiert hier "Asterix"?

Auf der Leinwand lieben wir Piraten seit Errol Flynn und Burt Lancaster - und erst recht seit Johnny Depp. (Foto: Foto: Reuters)

Piraten hatten es jahrzehntelang leicht mit uns. Wir liebten sie, seit es die ersten Technicolorfilme gab und Errol Flynn und Burt Lancaster. Sie rannten, im Gegensatz zu den eher speckigen Sandalenfilmhelden, in Pluderhosen und weißem Hemd herum, was interessant wurde, wenn sie ins Wasser fielen, und das taten sie oft. Außerdem hatten sie einen Schatz, und sie trugen Klunker und Schmuck, der besonders hässlich war. Sie tranken den Rum immer aus riesigen Fässern und brüllten dabei laut. "Der Herr der sieben Meere" an einem verregneten Sonntagnachmittag - besser konnte es nicht werden.

Sie waren Helden, maritime Robin Hoods, sie waren alle weiß und Lieblinge der Frauen. Und das, obwohl diese dauernd auf der Schulter getragen wurden, was ziemlich unbequem aussah.

Man kann sich gut vorstellen, was los wäre, wenn die somalischen Piraten von heute so etwas tun würden mit einer Frau . . .

Somalische Helden

Natürlich ist das höchst eurozentrisch gedacht. Es ist bekannt, dass die somalischen Piraten zumindest in ihrer Heimat oft als Helden verehrt werden. Manche haben sich diesen Mantel des Rächers und Beschützers gern übergeworfen.

Bei den Piraten, die in diesem Frühjahr nach der Entführung der Yacht Le Ponant gefangengenommen wurden, fand man ein Handbuch mit ihrem Verhaltenskodex. Andere erklären, dass das Lösegeld für westliche Frachter und Segler eine Art Schuldenrückzahlung des Westens sei, der ihre Gewässer leergefischt habe und Raubbau an ihrer Natur betreibe.

Wer ein böser Seeräuber ist und wer ein edler Pirat, hängt ab vom Betrachter. Piraten gab es immer im rechts- und herrschaftsfreien Raum der Ozeane, von den Wikingern der Nordmeere bis zu den Wokou, einer der wenigen japanisch-chinesischen Kollaborationen, entlang der chinesischen und koreanischen Küste; von den nordafrikanischen Barbaresken-Korsaren bis zu den Vitalienbrüdern um Klaus Störtebeker.

Aber unser Bild des edlen Seeräubers und seines Alter Egos mit der Augenklappe und dem schwarzen Bart ist das des karibischen Piraten, geprägt von der Zeit, in der Spanien die geraubten Reichtümer aus seinen amerikanischen Kolonien nach Hause schiffte. Das Gold zog auf der europäisch-amerikanischen Schifffahrtsroute Piraten an wie Fliegen. Und England und Frankreich wurden gierig.

Sir Francis Drake war einer jener klugen, halblegalen Seeleute, die es in solchen Zeiten zu etwas bringen konnten. Als Freibeuter mit einem Kaperbrief der englischen Königin Elisabeth I. verschaffte er ihr riesige Schätze und brachte mit seinen Überfällen die Spanier dazu, solange militärisch hochzurüsten, bis sich der Seehandel für sie kostenmäßig kaum noch lohnte. Dann umsegelte er die Welt, besiegte die Spanische Armada, starb schließlich nach einer erfolglosen letzten Kaperfahrt an der Ruhr und steht heute in jedem dritten britischen Dorf als personifizierte Erinnerung an jene schönen Zeiten, in denen England noch die Weltmeere beherrschte.

"Jolly Roger" und "Black Jack"

Jeder Staat, der sich als aufstrebende Seemacht fühlte, stellte seine eigenen Kaperbriefe aus, die aus einfachen Seeräubern ganz legale Geschäftsleute mit militärischer Befugnis und Einzugsermächtigung machte. Die Beute teilte man sich. Vor allem im 17. und 18. Jahrhundert bestand ein Großteil der gesamten Marine Englands, Frankreichs und Spaniens aus solchen privaten Kriegsschiffen, den privateers, die feindliche Schiffe aufbringen durften - solange Krieg herrschte.

Der Waliser Henry Morgan richtete sich in Port Royal auf Jamaica ein, hauste wüst unter den Spaniern in Panama und anderswo und brachte es zur Unsterblichkeit in einem halben Dutzend Filmen, diversen Romanen und einer Erwähnung in einem Peter-Tosh-Song.

Während des englisch-spanischen Seekrieges im 17. Jahrhundert sollten die englischen Freibeuter auf Anordnung der Admiralität eine rote Fahne aufziehen, wenn sie ein Schiff kaperten. Sie hissten, hieß es bald bei den angstschlotternden Franzosen, den jolie rouge, den hübschen Roten, den "Jolly Roger", der später zum "Black Jack" wurde, der schwarzen Fahne der Seeräuber. Zumindest ist das eine der vielen Versionen um den Ursprung des "Jolly Roger".

Dann war der spanische Erbfolgekrieg vorbei, viele der nun arbeitslosen Freibeuter machten sich selbständig und die Karibik unsicher wie heute die Piraten die Gewässer vor der Küste Somalias.

Blackbeard, ein Engländer, hatte als verbriefter Freibeuter begonnen. Nun richtete er sein Hauptquartier auf den Bahamas ein, band sich beim Entern brennende Lunten in seinen Bart und brachte die Leute oft mehr mit seinem grässlichen Aussehen zum Aufgeben als mit Gewalt. Bis ihn die Royal Navy aufspürte, erschoss und köpfte. Sicher ist sicher.

Seemännische Kenntnisse

In den Jahren danach machten Engländer die Ozeane zu ihrem Territorium und entzogen der Piraterie damit das, was sie am nötigsten brauchte: den endlosen staatsfreien Rückzugsraum. Es blieb der Traum - und das Kino.

Es gibt, heißt es in einer aktuellen Studie über Piraterie des Londoner Chatham House, das Gerücht, dass viele der somalischen Piraten in den neunziger Jahren von privaten Sicherheitsfirmen in Nautik ausgebildet wurden, um einmal den Kern einer funktionierenden Küstenwache für Somalia zu bilden. Das würde, so der Think Tank, die teilweise erstaunlichen seemännischen Kenntnisse der Piraten erklären. Sie machen sich dafür selten die Mühe, eine Fahne aufzuziehen.

Nach Angaben des International Maritime Bureau (IMB) hat es allein in diesem Jahr 92 Piratenangriffe im Golf von Aden und vor der Küste Somalias gegeben. 14 Schiffe sind noch immer in Piraten-Gewalt. Das Bureau warnt, dass die Schiffsrouten durch den Golf von Aden verlegt werden würden, wenn das Piratenunwesen nicht gestoppt würde.

Zuletzt verlor Spanien auch deshalb seine führende Weltmachtstellung, weil die billigen Edelmetalle aus Amerika das Land nicht nur reich, sondern auch träge, innovationsfeindlich und korrupt gemacht hatten. Die Seeräuber, die hinter diesen Rohstoffen her waren, blieben störende Nutznießer. Sie waren Teil des Systems, mehr nicht.

Im Endzeitfilm "Waterworld" haben die Piraten um Dennis Hopper einen einst gekaperten Öltanker zu ihrem Zuhause gemacht. Seine schiere Größe nützt nicht mehr viel. Er liegt im Wasser wie ein Reptil aus einer längst vergangenen Zeit. Und die Piraten kämpfen um Rohstoffe und frisches Wasser wie alle anderen.

© SZ vom 20.11.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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