Gert Voss als "Wallenstein" in Wien:Auf Testosteron-Wolke sieben

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Zwei Großmimen und Schillers "Wallenstein": Beim Vergleich von Gert Voss und Klaus Maria Brandauer gibt es einen Sieger, der mit erhobener Tatze vom Platz geht. Der andere hinterlässt einen Haufen komödiantisches Kleinholz.

Christopher Schmidt

Die am wenigsten hölzerne Rolle an diesem baumlangen Theaterabend im Wiener Burgtheater, der wahrlich nicht an Menschen und Material spart, spielt ausgerechnet ein Stück Holz. Aus diesem Holz nämlich ist der Marschallstab des Feldherrn Wallenstein gemacht, den der Schauspieler Gert Voss auf seinem Zeigefinger balanciert. Er will damit zeigen, wie leichtfertig dieser Wallenstein das Schicksal Europas aufs Spiel setzt. Krieg oder Frieden?

Dirk Nocker, Johannes Terne und Gert Voss am 14. Dezember bei den Proben zu "Wallenstein" in Wien. (Foto: Foto: ap)

Alles nur eine Fingerübung. Genauso leichtfertig setzt Gert Voss freilich seine Rolle aufs Spiel, denn viel mehr als die Nummer mit dem Marschallstab ist ihm nicht eingefallen zu der Figur, die er darstellt. Der Balanceakt gefällt ihm vielmehr so gut, dass er ihn später noch einmal wiederholt.

Voss' Wallenstein ist aus dem morschen Holz der Edelroutine geschnitzt. Ach, immer diese Hauptrollen! Allzu geübt, doch nicht mehr recht flink auf den Beinen, apportiert er Stock und Stück. Das Kräftemessen zwischen ihm und Klaus Maria Brandauer, der im Sommer in Berlin den Wallenstein spielte, war vorab zum Fernduell zweier Großmimen stilisiert worden. Doch wenn das ein Zweikampf gewesen sein sollte, dann der zweier Tanzbären um die größere Leichtfüßigkeit darin, einen schweren Helden auszutanzen. Und um es gleich zu sagen, der schwungvoller federnde und fintenreichere Brandauer ging als Sieger vom Platz, mit erhobener Tatze. Dabei war er für die Rolle nur die zweite Wahl, nachdem Peter Steins Wunschbesetzung abgewunken hatte: eben jener Gert Voss, der nun in Wien aus der Riesenrolle komödiantisches Kleinholz macht.

Die Lust, Krieg zu spielen

Es war das Jahr, in dem die alten Männer des deutschen Theaters die Lust überkam, Krieg zu spielen. Die pikanten Rochaden zwischen Berlin und Wien ließen das Schiller-Jahr selbst noch in der Klatschpresse nachbrennen. Denn mehrmals wurden die Pferde gewechselt, und diese Vorgeschichte ist mindestens so verschlungen wie die Intrigen in Schillers "Wallenstein".

Zuerst war da Peter Stein mit seinem milden Wahn, die siebeneinhalbtausend Verse und elf Akte, die Schiller in der "Wallenstein"-Trilogie in Stellung gebracht hat, ungekürzt in einer Berliner Brauereihalle zu spielen, als offene Feldschlacht des gekränkten Bildungsstolzes. Mitten im Problemkiez Neukölln sollte sich die deutsche Kulturnation wieder aufrichten. Bereits ein halbes Jahr davor, im Oktober 2006, wollte Andrea Breth in Wien mit einer Aufführung aller drei Teile vorgeprescht sein, veranschlagte Spieldauer: acht Stunden.

In Berlin rasselte Stein mit dem Säbel und sprach vom "Blutzoll" der Deutschen im Dreißigjährigen Krieg, dem zwei Drittel der Bevölkerung zum Opfer fielen, woraus Stein die historisch waghalsige These ableitete, nur so sei die verspätete Normalisierung der Deutschen zu erklären. In Wien raspelte Breth Süßholz und sagte, sie könne nun mal "von dem Burschen" nicht lassen, Schiller nämlich, mit dem sie sogar einen fiktiven Briefwechsel unterhielt, um auf die Augenhöhe des gewaltigen Stoffes zu kommen.

Rap an der Rampe

Breth musste dann doch von dem Burschen lassen, nach drei Monaten brach sie krankheitshalber die Proben ab. Thomas Langhoff übernahm und blies seinerseits den für München geplanten "Wallenstein" ab. Von der ursprünglichen Wiener Besetzung ist vor allem Gert Voss in der Titelrolle geblieben, die er bei Stein abgelehnt hatte, abgeschreckt von dessen waffenstarrender Entschlossenheit, in die Pluderhosen der historischen Korrektheit zu steigen. Damit machte Voss den Weg frei für den anderen Burgschauspieler, seinen Ensemblekollegen Klaus Maria Brandauer, der die Gelegenheit beim Schopf und den Stier bei den Hörnern packte.

Auch Langhoff nahm den Fehdehandschuh auf, indem er wissen ließ, die Trilogie ungekürzt zu spielen, empfände er als Feigheit vor dem Feind. Das war naturgemäß auf Steins "Wallenstein"-Totalitarismus gemünzt. Die Frage: "Kürzen oder nicht kürzen?" begann den Theaterstaat zu spalten. Wie Langhoff nun den Abend beginnen ließ, zeugte allemal von Revanchelust und einer Frechheit, die schönste Hoffnungen weckte.

Der erste Teil, "Wallensteins Lager", dauert nicht wie bei Stein eine Stunde, sondern gerade mal fünf Minuten. Langhoff fasst den Text in einem Rap zusammen, den Wallensteins Söldner an der Rampe absingen. Wo Stein mit Heerscharen von knebelbärtigen Komparsen eine antiquarische Bierzeltstimmung im Kunstschnee aufkommen ließ und doch den Sinn des Vorspiels schuldig blieb, gelingt es Langhoff, die Anomie des Krieges in einer einzigen Testosteron-Wolke zu verdichten.

Leider hält der dann vierstündige Abend nicht, was der schwungvolle Anfang verspricht. Das liegt zum Teil an der Strichfassung, die einen zwar nur 15 Minuten statt zwei Stunden auf Wallensteins ersten Auftritt warten lässt, aber viel zu ergebnisorientiert ist, um längere Spielzüge zuzulassen. Steins Inszenierung erinnerte stark an die Plastinate Gunther von Hagens. Jede Zeile hatte er herauspräpariert, aber dabei dem Stück die Flüssigkeit entzogen und durch eingespritzten Kunststoff ersetzt, um es museumsreif zu schießen.

Steins Textkörperwelten. In Langhoffs Säurebad dagegen bleiben nur die Knochen des Handlungsgerüsts. Ein Betonskelett ist auch die Bühne von Bernhard Kleber, auf der sich die Stahlrippen bis ins Unendliche verjüngen. Die Ausstattung verlegt die Handlung in die Zeit des Zweiten Weltkrieges, das Stück heißt nun: "Die letzten Tage im Führerbunker" und ist pures Infotainment. Guido-Knopp-Theater.

Wie im Adventskalender

Statt dem katholischen Kaiser in Wien weitere Siege zu erkämpfen, liegt Wallenstein im böhmischen Winterlager und verhandelt mit dem Feind. Die Schlingen, in denen sich der wankelmütige Warlord verfangen soll, sind schon ausgelegt, doch noch zögert der Kaiser, das schärfste Schwert des habsburgischen Absolutismus einzuschmelzen. Auf die Probe stellen will man Wallenstein und seine Streitmacht schwächen. Die Troupiers meutern, längst bilden sie einen Staat im Staat, der sich an nichts gebunden fühlt als an ihren Soldatenvater Wallenstein.

Ob aber der Söldnerführer nur für sich selbst ficht oder für eine europäische Friedensordnung nach 16 Kriegsjahren, lässt Schiller offen. Und zwar drei Teile und drei Tage lang, welche die Handlung umfasst. Langhoff führt in Wien tatsächlich nur einen wackeren Stellvertreterkrieg. Dass ihn das Stück seit Jahrzehnten umtreibe, wie er sagte, hat er gründlich verborgen. Alles wirkt eher wie Dienst nach Vorschrift. Schwere Säbel verdrängen den "Zauberschlag der Kunst" (Schiller). Die Inszenierung ist nicht satisfaktionsfähig.

Statt raumgreifenden Aufmarschtheaters will Langhoff die Intimität einer Kriegsbestie, das Kammerspiel in den Hinterzimmern der Macht, bei den Alpha-Tieren. Club-Sessel, Bigband-Swing und zierliche Säulen aus Zigarettenrauch bilden den Hintergrund rampennaher Kamingespräche. Die Tiefe der Bühne bleibt ungenutzt. Man ahnt, warum sie mit Rampen und Traversen verbarrikadiert wurde: um den Raum zu verkleinern.

Kindskopf, Nickelbrille, Twinset

Auf den Korridoren eilen die Ordonanzen hin und her, mit jeder Drehung der Bühne öffnet sich ein Genrebildchen wie im Adventskalender, zeigt Landser beim Suppefassen oder mit der Liebsten unter der Laterne. Vorne aber wird Geschichte gemacht, ganz en famille. Voss gibt den charismatischen Caudillo als Mafioso und Soldatenväterchen der Klamotte, jovial Cognacs und Monologe schwenkend. Er spielt nicht die Rolle, sondern er spielt mit der Rolle - aber nicht mit seinen Bühnen-Partnern, dem mimischen Bodenpersonal.

Wallensteins Gegenspieler Octavio ist bei dem aus Berlin als Gast engagierten Dieter Mann ein gusseiserner Parteisoldat und Schreibtischtäter, ohne dass man erführe, wie er wurde, was er ist. Den Tyrannenmörder Buttler spielt Ignaz Kirchner als einäugigen Rächer aus dem Gruselkabinett, während die schurkischen Illos, Terzkys und Isolanis teils grauere, teils rauere Haudegen sind. Petra Morzés Gräfin Terzky ist zu selbstverständlich Wallensteins Vertraute, von der er sich auf der Sessellehne sitzend den Kindskopf waschen lässt. Christian Nickel gibt den Max, der an "der Väter Doppelschuld" zerbricht, als hochherzigen Schreibstubenhocker mit Nickelbrille. Edel-entsagend bleibt seine Liebe zu Pauline Knofs Thekla, die so farblos bleibt wie ihr Twinset.

Bis der zögerliche Feldherr endlich den Waffenrock zuknöpft und Nägel mit Köpfen macht, sind seine Mörder bereits gedungen. Doch da ist der Theaterabend leider schon lange tot. Wie hätte Andrea Breth sich wohl geschlagen? Wir werden es nie erfahren.

© SZ vom 21.12.2007/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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