Gerhard Schröders neuer Job:36 Quadratmeter für den Ex-Kanzler

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"Er steht mir zur Verfügung": Der Verleger Michael Ringier holt sich Gerhard Schröder nicht nur als professionellen Berater ins Haus, sondern auch privat aufs Segelboot.

HANS-JÜRGEN JAKOBS / HANS LEYENDECKER

Früh stand er am Dienstag im Parlament auf und ging zur Nachfolgerin, um zu gratulieren. Dann verließ er rasch den Reichstag. Das Kreuz gerade, fester Schritt. Bloß nicht zurückblicken. Gerhard Schröder, gewesener Bundeskanzler, Jurist mit neuem Anwaltsbüro in Berlin und sechs Mitarbeitern - sowie einem lukrativen Job in der Medienindustrie.

Für Ringier gebe es nur zwei Kategorien von Menschen: "Die einen, mit denen man gerne eine Woche aufs Segelboot geht - und die anderen. Gerhard Schröder gehört zur ersten Kategorie." (Foto: Foto: Reuters)

"Der Tag danach" - der übliche Katzenjammer nach dem Machtverlust - fiel bei dem 61-Jährigen aus. Am Mittwoch schon bekamen die Manager des Ringier-Verlags, 16 Stunden vor der internationalen Presse, zu hören, womit sich Schröder in Zukunft unter anderem beschäftigt: Am 1. Januar 2006 wird er in außenpolitischen Fragen Berater des Schweizer Print-Konzerns: "Er steht mir und auch anderen Mitarbeitern zur Verfügung", sagt Eigentümer Michael Ringier. Sein Unternehmen ist in der Schweiz mit Titeln wie dem Boulevardblatt Blick oder der Schweizer Illustrierten so sehr eine Macht, dass die Branche gern über "Springier" lästert. Vor allem in Osteuropa hat Ringier zuletzt gute Gewinne gemacht. Ein Exportschlager heißt sinnigerweise Cash. In Deutschland verlegt er freilich nur das Salon-Magazin Cicero.

Gerhard Schröder wird nun ein Büro im 5. Stock der Verlagszentrale in Zürich haben. Geplant ist, dass er sich dort ein, zwei Tage in der Woche aufhält. Von der Dufourstraße sind es nur ein paar Schritte zum Zürcher See, das Haus der NZZ liegt schräg gegenüber. Es ist eine schöne, etwas teure Welt, und doch nicht Provinz. Noch ist Schröders vierfenstriges Büro nur 36 Quadratmeter groß: überlegt wird, ob es vergrößert werden soll. Seine Etage ist vollbehangen mit Kunst.

Eine Rolle bei der Zürcher Verlobung hat indirekt auch der ehemalige Stern-Reporter Heiko Gebhardt gespielt. Der enge Schröder-Vertraute arbeitet seit 2002 für den Ringier-Verlag: Er sitzt im Beirat von Cicero und entwickelte für den Sonntags-Blick die Beilage "Sie und Er". "Wie kommst Du mit denen in der Schweiz zurecht?" hat ihn Schröder gelegentlich gefragt - und Gebhardt nahm ihn mal in die Berliner Wohnung von Ringiers Doyen Frank A. Meyer mit. Da saß dann der Verleger persönlich.

Ringiers erster Journalist Meyer hatte in seiner TV-Sendung Vis a Vis den Deutschen erstmals interviewt, als dieser noch Ministerpräsident war; später gab es in Schröders Kanzlerzeit ein weiteres Gespräch. Als Meyer - mit Ringier und Top-Leuten des Verlags - in einer Berliner Bar den 60. Geburtstag feierte, kam selbstverständlich auch der Kanzler. Und in der Wahlnacht des 18. September saß der formulierfreudige Eidgenosse im Kanzleramt und wetterte über die "Flat-Tax-Journalisten" - also über jene lieben Kollegen, die am liebsten eine schwarz-gelbe Regierung auf Steuerkurs des Paul Kirchhof gesehen hätten. Auch Magazine wie Stern und Spiegel, die Schröder einst zu seinem Milieu zählen konnte, waren von politischer Wechsellust erfasst; Ringier jedoch hielt die Treue.

Der Kanzler und der Verleger sind sich 2003 beim Filmfestival von Locarno nahe gekommen; seit 20 Jahren versammelt Ringier-Publizist Meyer im Rahmen des Filmfestivals Größen aus Politik und Wirtschaft. So hockten Schröder und Ringier also auf dem luxuriösen Landsitz Castello del Sole und mochten sich. Sie schmauchen gern Zigarren und reden über die Kunst des 20. Jahrhunderts. Ringier, der charismatische Erbe eines großen Verlags, schätzt russische Avantgardisten wie Malewitsch. Schröder, der gewiefte Aufsteiger aus sozialen Niederungen, hält es mit aktuellen Werken, etwa von Jörg Immendorff. Wenn Frau Doris sonntagabends daheim in Hannover Sabine Christiansen schaut, blättert er lieber in Kunstkatalogen.

Der Schweizer Job eröffnet Schröder ganz neue Chancen. Ringier will in Ländern wie China und Vietnam weiter expandieren, da nutzen die Kontakte des Sieben-Jahre-Kanzlers. "Es ist mit Sicherheit hilfreich, wenn er auf unserer Seite steht", sagt der Verleger. Er werde "die ein oder andere Tür öffnen können". Zudem wird die private Finanzplanung des SPD-Politikers leichter. Das Reiheneckhaus in Hannover muss abbezahlt werden, Schröders Mutter wird unterstützt, die Familie kostet. Für alles reicht die Pension bei weitem nicht. Mit dem Abschied aus dem Kanzleramt hat sich Schröders Einkommen vermutlich halbiert. Die Modalitäten seines neuen Vertrags aber sind so geheim wie eine BND-Akte. "Er war als Kanzler ein bescheidener Mensch und wird dies auch in Zukunft sein", sagt Michael Ringier.

Der Zürcher Presse-Chef sei "eine der großen Verlegerpersönlichkeiten in Europa", kommentiert Schröder: "Er ist weltoffen." Auch lobt der Altkanzler die Schönheiten Zürichs. "Schröder passt mit seiner Liberalität zu unserem Unternehmen", urteilt Top-Journalist Meyer.

Irgendwas muss dran sein an der Beziehung zwischen Macht und Medien. Irgendein prickelnder Reiz, der Politiker nicht loslässt von dem Schlag der Zeilen, der in Artikeln verdichteten Realität.

Die SPD-Größe Helmut Schmidt beispielsweise, der die Republik zwischen 1974 und 1982 leitete, ging zum Hamburger Wochenblatt Zeit. Der Herausgeber hielt viele Jahre lang intern Vorträge zur politischen Weltlage und ließ den Leser freilich etwas seltener an seinen Analysefähigkeiten teilhaben.

Schmidts christdemokratischer Nachfolger Helmut Kohl wiederum schloss im Frühjahr 1999 - nur wenige Monate nach der verlorenen Wahl - einen Beratervertrag mit dem konservativen Münchner Medienunternehmer Leo Kirch, den er seit langem gut kannte. Kohl hatte mit seinem Sohn Walter die Ludwigshafener "Politik und Strategie Beratung P&S GmbH" gegründet. Diese Firma schloss einen Vertrag mit Kirchs Taurus Beteiligung GmbH & Co KG, der am 18. Mai 1999 begann. Jährliches Honorar: 600 000 Mark, zuzüglich Mehrwertsteuer. Spesen extra. Es ging um "Beratung zu aktuellen sowie strategischen Entwicklungen in Deutschland und Europa", aufgeteilt in "Standard-Beratung" (zwölf Gespräche) und "situative Beratung", womit "persönliche Gespräche oder telefonische Besprechungen oder schriftliche Ausarbeitungen" gemeint waren. An Werbeaktionen und PR-Arbeit war nicht gedacht.

Das geschäftliche Verhältnis endete mit einer Pleite: Am 28.März 2002 teilte Kirch der Kohl-Firma mit, dass sich sein Unternehmen "in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten" befinde. Die Banken forderten ein "drastisches Kostensenkungsprogramm", davon seien auch "sämtliche Beraterverträge" betroffen. Er bedaure deshalb, Kohl mitteilen zu müssen, dass das Beratungsverhältnis "nicht aufrecht erhalten" werden könne - und nunmehr "vertragsgemäß" mit dem 17. Mai 2002 ende.

Mit einem solchen Ende muss Schröder nicht rechnen. Ringier meldete für das Jahr 2004 das beste Ergebnis seiner Verlagsgeschichte: 55,6 Millionen Schweizer Franken (plus 29 Prozent) bei 1,1 Milliarden Franken Umsatz.

Verleger Ringier sagt über den Schröder-Coup, es sei "irgendwie auch immer klar gewesen, dass wir etwas zusammen machen". Für ihn gebe es nur zwei Kategorien von Menschen: "Die einen, mit denen man gerne eine Woche aufs Segelboot geht - und die anderen. Gerhard Schröder gehört zur ersten Kategorie."

© SZ vom 25.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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