Georges Adéagbo:Geister gegen Waffen

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Der Künstler aus Benin bekommt einen fragwürdigen Preis - und zeigt seine Werke in Hamburg. Wie immer beschäftigt ihn ein wilder Kulturmix.

Von Till Briegleb

Einen kleinen Kritikbrocken konnte Georges Adéagbo sich trotz des feierlichen Rahmens nicht verkneifen. Das Werk, das er für die Verleihung des Finkenwerder Kunstpreises am 31. August angefertigt hatte, sah zwar aus wie die von ihm bekannten Vitrinen für Kulturcollagen. Aber in dem Kasten, den er als Gegenleistung für die Würdigung zu geben hatte, lag auch das Buch "Die Waffenbrüder" - als Hinweis darauf, dass das Preisgeld von 20 000 Euro von einem Absender stammt, der Europas zweitgrößter Rüstungskonzern ist: die EADS, zu der die Hamburger Airbuswerke als lokaler Zahler des Geldgeschenks gehören. Auch Neo Rauch, Candida Höfer, Daniel Richter, Ulla von Brandenburg oder Christian Jankowski sind bereits in die Gunst dieser Zuwendung gekommen.

Das kleine moralische Dilemma, ob man als Künstler einen verlockenden Preis annehmen darf, der von einem Waffenhersteller bezahlt ist, löst Adéagbo mit diesem Hinweis in dezenter Manier. Denn das Metier des in Benin und Hamburg lebenden Künstlers ist nicht das Anprangern. Mit seinen ausufernden Materialsammlungen, die Objekte unterschiedlicher Kulturkreise in Beziehung setzen, erwartet er vom Betrachter, seine eigenen Verknüpfungen herzustellen.

Man kann diesen wilden Gospel der Kulturbeziehungen als Versöhnungsgeste verstehen

Die anlässlich der Preisverleihung im Kunsthaus Hamburg eröffnete Ausstellung "À la rencontre de l'art" - die aktualisierte Fortschreibung einer früheren Schau zum Thema "Deutschland vor dem Krieg und Deutschland nach dem Krieg" - vereinigt zum Beispiel in einer Vitrine Bayrische Witzesammlungen, einen goldenen Pierrot, einen Artikel über Baschar al-Assad und ein englisches Taschenbuch zu Hitlers Kriegszielen mit schwarzen Kasperlepuppen und einer Dokumentation über Aids in Afrika. In einer anderen Vitrine versammelt der inzwischen 75-jährige Künstler Buchtitel wie "Verhandlungsstrategien für Frauen", "Panzerjäger brechen durch!", "Die Christen - Expedition zu einem unbekannten Volk" und "Griechische Lyrik" mit Hawaiihemd, einem Seidel von Hacker-Pschorr und einer afrikanischen Zeremonien-Maske, die man für 14,99 Euro im Internet bestellen kann.

Eindeutigkeit ist hier nicht zu finden, Anliegen allerdings schon. Denn Georges Adéagbo ist interessiert an Missverständnissen, an Fehlübersetzungen und Deutungen, welche die Stärke klarer Aussagen verwirren. Sein langer Fries aus locker zusammengestellten Fundsachen setzt Schallplatten von Peter Maffay, Cliff Richard und den Wildecker Herzbuben in Beziehung zu gemalten Kirchentafeln, die von den Verbrechen des Kolonialismus erzählen. Jules Vernes "Mondfahrt" liegt neben "Mein Kampf" und Mireille Mathieus Single "Hans im Glück". Das Schockfoto auf der LP "Band für Afrika" steht im Kontext von Gerhard Richters Memento mori "Schädel", dem knieenden Hitler-Zwerg von Maurizio Cattelan, Stickbildern mit holländischen Windmühlen und einem Foto des Künstlers vor einem Barockpalais.

Und so spinnt sich die Erzählung von der verkorksten Verständigung die Wände entlang, stellt Verwandtschaften her zwischen Weltliteratur, afrikanischen Schnitzwerken, Nazi-Schund und Popkultur, als würde die eine Bildaussage beim Verständnis der nächsten helfen. Dieser subjektive globale Kulturquerschnitt ist aber vielmehr eine Aufmerksamkeitsmaschine gegen Denkverbote und vorschnelle Einschätzungen. Spielerisch stellt Adéagbo immer wieder neu die Frage nach möglichen Zusammenhängen.

Und obwohl hier keine Antworten geboten werden, ist man als Betrachter versucht, diesen wilden Gospel der Kulturbeziehungen als Versöhnungsgeste zwischen Fremden zu verstehen. Oder als Gegenbild zu den Eurofightern, die von Airbus Defence and Space hergestellt werden, damit die saudi-arabische Luftwaffe Jemen bombadieren kann. Auch hier geht es um Zusammenhänge, die mancher vielleicht nicht wahrhaben möchte.

Adéagbo, der durch den absurden Zufall in Benin entdeckt wurde, dass ein Taxifahrer 1993 den französischen Kurator Jean-Michel Rousset beim falschen Künstler in Cotonou, nämlich bei ihm, absetzte, und der danach sowohl auf der Venedig-Biennale 1999 und 2009 wie der Documenta 2011 seine plastischen Bildatlanten entwickelte, komponiert seine Weltgeschichte nicht vordringlich nach den Regeln westlicher Inspiration. Geister spielen in Adéagbos Welt eine so sprechende Rolle wie Autoren. Die Geister des Ortes müssen zu ihm sprechen, sagt Adéagbo. Die Geister im Kunsthaus haben offensichtlich gut zu ihm gesprochen. Was die Geister auf der Preisverleihung bei Airbus zu ihm gesagt haben, das bleibt sein Geheimnis. Mit Waffen wird es schon irgendwas zu tun gehabt haben.

G eorges Adéagbo. À la rencontre de l'art , Kunsthaus Hamburg, bis 8. Oktober.

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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