George Michael: Neues Album:Der Herr klingt gerne lau

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George Michael, unser Mann von allen Ufern und der ewig Missverstandene des Pop, kehrt nach acht Jahren ins laute Tandaradei-Geschäft zurück. Wer auf eine Blamage des Altsstars gehofft hatte, wird weiter warten müssen: Sein Timbre ist zu 100 Prozent in Kaschmir gehüllt.

DIRK PEITZ

Es ist alles ein großes Missverständnis. Würde George Michael wohl sagen, wenn er denn reden würde, zum Beispiel mit Journalisten. Das aber tut er immer seltener, und wenn, dann redet er meist nicht über seine eigentliche Beschäftigung, die Musik.

Die Synthesizerflächen sind so behutsam übereinander gelegt, als handele es sich um Stoffbahnen aus hundert Prozent Kaschmir. (Foto: Foto: Sony)

Sondern nur um den immer nächsten Skandal rund um seine Person richtig zu stellen. Das endet oft in Erklärungsmustern, die auch von den drei anderen großen Figuren des Pop, die während der achtziger Jahre zu Superstars aufstiegen, regelmäßig benutzt werden: Verfolgte sind sie, gejagt von den Medien, den Plattenfirmen oder gar von der Politik und ihr angeblich willfährig ergebenen staatlichen Institutionen.

Michael Jackson, Madonna, Prince und George Michael singen seit den neunziger Jahren in unterschiedlichen Tonlagen immer wieder dieses Verschwörungslied.

Man mag das als pathologischen Reflex von erfolgreichen Popsängern auf den Schock deuten, den sie erleiden, wenn sie realisieren, das ihre Karriere womöglich in die Spätphase eingetreten ist; oder nur als Pop-Ausprägung der PR-Strategie totaler Selbstvermarktung, die Aufmerksamkeit um jeden Preis produziert - auch um den, dass die eigene Person in der öffentlichen Wahrnehmung immer obskurer erscheint.

Prince jedenfalls sang sich als "Symbol" von seiner Plattenfirma frei und musikalisch direkt ins Nirgendwo. Madonna überzog das Tempo ihrer beständigen Image-Wechsel zuletzt so arg, dass ihre Musik nicht mehr hinterherkam. Und Michael Jackson - der ist ein ganz eigener Fall.

George Michael hingegen, der vierte große Überlebende der achtziger Jahre, scheint künstlerisch von all dem skandalösen Wirbel um ihn unbehelligt zu sein. Das zeigt sich nun erneut, wenn jetzt sein neues Album "Patience" erscheint, das erste mit neuem Songmaterial seit "Older" aus dem Jahr 1996.

Was hat man dem 40-jährigen Michael in den letzten zwanzig Jahren nicht alles nachgesagt. Als bloßer Teenie-Schwarm galt er während seiner Zeit als Sänger von Wham!, was sich 1987 mit seinem ersten Soloalbum "Faith" änderte: Wegen der darauf enthaltenen Kopulationsaufforderung "I Want Your Sex" warf man ihm vor, er ignoriere die Aids-Gefahr - obwohl der Song und sein Video ziemlich eindeutig für lustvoll praktizierte Monogamie warben.

George Michaels Reaktion auf die Anwürfe und seinen anhaltend miserablen Leumund bei der Popkritik: Seine nächste Platte nannte er "Listen Without Prejudice". Zugleich kündigte er an, er werde sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen.

Was jedoch folgte, waren weitere öffentliche Blamagen. Zunächst verklagte der Sänger seine Plattenfirma Sony erfolglos wegen "professioneller Sklaverei". 1998 dann wurde er nach einer Festnahme wegen "unzüchtigen Verhaltens" auf einer öffentlichen Toilette in Los Angeles als homosexuell geoutet.

Schließlich erklärte ihn die US-Presse zum Terrorsympathisanten und "Pop-Perversen" (New York Post). In dem Comic-Video zu "Shoot The Dog" hatte er angesichts der amerikanisch-britischen Pläne für den späteren Irak-Krieg Tony Blair als Schoßhund George W. Bushs darstellen lassen - während Michael als Trickfilm-Village-People mit Premiersgattin Cherie ins Bett stieg.

Michael behauptete, hinter all der Presseschelte stecke der Medienmulti Rupert Murdoch. Die Kampagne sei so massiv, dass er aus Furcht vor gewalttätigen Reaktionen einer aufgestachelten Öffentlichkeit nicht länger in seiner Wahlheimat USA leben könne.

Es schien, als habe sich spätestens da die gängige Superstar-Hybris bei George Michael in Paranoia verwandelt. Was sein künstlerisches Schaffen endgültig zu überdecken begann. Denn, und darin liegt tatsächlich ein Missverständnis: Mit "Listen Without Prejudice" und "Older" sowie einer Barjazz-Sammlung von Coverversionen war er zu einer Art letzten Großästheten des Pop aufgestiegen.

Daran ändert sich auf "Patience" nichts. George Michael, so scheint es, hat sich einen Soundkanon des Angenehmen, Luxuriösen, Modernen angelegt, von dem er bloß noch Updates produziert: Die neue Platte wirkt kompositorisch wie eine Doublette von "Older".

Nur dass die klanglichen Zeitspuren - angejahrte Keyboard- oder Drum-Sounds -, die das Vorgängeralbum mit dem Abstand von acht Jahren heute aufweist, wegpoliert und durch neue ersetzt wurden.

Das wirkt auf die Dauer etwas maniriert: Die Synthesizerflächen sind so behutsam übereinander gelegt, als handele es sich um Stoffbahnen aus hundert Prozent Kaschmir. Die Akustikgitarren klingen so zart, als seien sie mit frisch manikürten Fingern gezupft.

Und Michaels Stimme verlässt, selbst wenn ihm eine Passage zu pompös zu geraten droht, nie die Sphäre des Wohltemperierten.

In gewisser Weise übersetzt George Michael so die Logik von Männermode-Machern in Popmusik: Weil sich ein Herrenanzug nicht wirklich neu erfinden lässt, ändert man nur gelegentlich die Breite des Revers und die Anzahl der Knöpfe. In diesem Sinne sind Michaels Lieder alle von Gucci: sexy, nobel, einfach unwiderstehlich. Michaels simpler Kunstgriff besteht darin, die tendenzielle musikalische Gleichförmigkeit zum notwendigen Gerüst für klangliche Schönheit zu erklären.

Um sie dann auch noch textlich überzucodieren. Der Ich-Erzähler bei George Michael ist der Gesinnung nach ein Hedonist, ein materiell längst saturierter Beziehungsflaneur, der sich nach nichts mehr sehnt, außer nach dem, was er nicht hat - Liebe. Ein hoffnungsloser Fall, der ahnt, dass keine romantische Errettung mehr seine existenzielle Verzweiflung heilen wird.

So bleibt er ein ältlicher Beobachter in einem Pop-Arkadien, das ansonsten mit jungen, schönen, von den Enttäuschungen des Lebens noch unberührten Modestreckenkreaturen bevölkert ist. Ob das Edelkitsch ist? Selbstredend. Aber eingeschweißt in makelloses Musikdesign.

Selten wird George Michael auf seiner neuen Platte explizit autobiografisch. So etwa beim letzten Lied, der Ballade "Through". Da ist von Grausamkeiten und Hass die Rede, die er habe ertragen müssen, und so tritt nun auch bei ihm wie zuvor bei Michael Jackson der Popkünstler im eigenen Werk als verfolgte Unschuld auf. Um Selbstläuterung zu beschwören, im Zwiegespräch mit Gott: "Oh god, I'm sorry, I think I'm through, I know I'm through." So kannte man den Sänger bislang nicht, zuvor versteckte er persönliche Einschnitte - etwa den Tod seines Lebensgefährten Anselmo Feleppa im Jahr 1994 - hinter dezenten Metaphern. Aber vielleicht ist das wieder nur ein Missverständnis.

© SZ v. 11.03.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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