Georg-Büchner-Preis für Josef Winkler:Die Katastrophen der katholischen Dorfkindheit

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Da hätten die Österreicher ihre Revanche: Der wichtigste deutsche Literaturpreis geht, wie heute bekannt wurde, an den Österreicher Josef Winkler.

Der österreichische Schriftsteller Josef Winkler ("Menschenkind") erhält den Georg-Büchner-Preis 2008. Das teilte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung heute in Darmstadt mit.

Winkler, am 3. März 1953 als Sohn eines Bauern in Kamering in Kärnten geboren, lebt in Klagenfurt.

Winkler befasst sich vor allem mit seiner beengten Kindheit als Sohn einer patriarchalisch-konservativen Bauernfamilie in Kärnten. Seine Themen kreisen um Tod, Homosexualität und Katholizismus.

Die Jury erklärte zu ihrer am Montag gefällten Entscheidung, Winkler habe "auf die Katastrophen seiner katholischen Dorfkindheit mit Büchern reagiert, deren obsessive Dringlichkeit einzigartig ist."

Produktives Element einer Hassliebe

Die Akademie erklärte, was Winkler seit seinem ersten Roman "Menschenkind" aus dem Jahr 1979 in einer barock-expressiven Sprache immer neu anklage, bilde zugleich "das produktive Element einer Hassliebe, in der Blasphemie und Frömmigkeit, Todessehnsucht und Todesangst sich zu einem bewegenden Abgesang auf eine untergehende Welt vereinen".

Winklers neuere Bücher erweiterten nach der eindringlichen Beschreibung seines Aufenthaltes in Rom ("Friedhof der bitteren Orangen", "Natura Morta") seinen dichterischen Kosmos noch um die fremde Nähe Indiens.

Winkler wuchs im ländlichen und tief-katholischen Kärnten auf. Sein Werk spiegelt die Ambivalenz zwischen der dörflichen Enge und seinem eigenen Lebensentwurf wider.

Mit der Schriftstellerei nebenbei angefangen

Geboren wurde Winkler 1953 in dem Ort Kamering, wo er die Volksschule besuchte. Nach drei Jahren Handelsschule war er zunächst in einer Oberkärntner Molkerei angestellt, besuchte dann die Abendschule und arbeitete gleichzeitig in einem Verlag, der Karl-May Bücher herausgibt. Danach wechselte er auf einen Verwaltungsposten der Klagenfurter pädagogischen Hochschule und begann nebenbei zu schreiben.

Seit 1982 arbeitet er als freier Schriftsteller und ist Lehrbeauftragter der Uni Klagenfurt. Im Sommersemester 2007 hatte er die Poetikdozentur an der Universität in Frankfurt am Main inne. Winkler wurde unter anderem schon mit dem Kranichsteiner Literaturpreis (1990), dem Bettina-von-Arnim-Preis (1995) und dem Alfred-Döblin-Preis (2001) ausgezeichnet.

Zum Schreiben animierte ihn der Selbstmord zweier befreundeter Jungen in seinem Heimatdorf, den er als Verzweiflungstat zweier geächteter Homosexueller deutete. Das Ereignis habe bewirkt, dass "meine Sprache wie ein Geschwür aufbrach", erklärte Winkler.

Hass gegen das Dorf, den Vater und die Kirche

In seinen ersten Romanen "Menschenkind", "Der Ackermann aus Kärnten" (1980) und "Muttersprache" (1982) setzte er sich mit seinen Kindheitserfahrungen auseinander, mit seinem Hass gegen das Dorf und seine Bewohner, gegen den Vater, die Kirche und die Schule, dem Schweigen der Mutter und seinen Ängsten.

1982 erschien von ihm "Muttersprache". Während eines zweijährigen Aufenthaltes in Rom schrieb Winkler seinen Italien-Roman "Der Friedhof der bitteren Orangen" (1990). Über seine Beziehung zur Literatur Jean Genets, der ihn bereits in jungen Jahren tief beeindruckte, berichtet Winkler in der essayistischen Prosa "Zöglingsheft des Jean Genet" (1992).

Darauf folgte ein längerer Aufenthalt in Indien. Im Roman "Domra. Am Ufer des Ganges" (1996) beschreibt er die Arbeit der Domra, der den Unberührbaren zugehörenden Kaste der indischen Einäscherer.

Alfred-Döblin-Preis 2001

Seine Novelle "Natura morta" über das römische Alltagsleben wurde 2001 mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet wurde. 2007 veröffentlichte er "Roppongi. Requiem für einen Vater". Für September ist das nächste Buch angekündigt: "Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot".

Der Büchner-Preis gilt als bedeutendste deutsche Literaturauszeichnung. Er ist mit 40.000 Euro dotiert und wird Winkler am 1. November in Darmstadt überreicht. Der Preis wurde 1923 in Erinnerung an den Dramatiker Georg Büchner (1813-1837) geschaffen.

Er wird alljährlich an deutschsprachige Autoren verliehen, die sich durch ihre Arbeit um die deutsche Literatur verdient gemacht haben. Preisträger der vergangenen drei Jahre waren Martin Mosebach, Oskar Pastior (posthum) und Brigitte Kronauer. Zu früheren Preisträgern gehören unter anderen Erich Kästner, Max Frisch, Paul Celan, Elfriede Jelinek und Heiner Müller.

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