Gallery Weekend:Verlockung des Spiegelraums

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Die amerikanische Künstlerin Signe Pierce beschäftigt sich in Videos, Installationen und Performances – hier ihre Arbeit „Uploading My Consciousness Into Unreality“ (2018) – mit dem Übergang von Digitalem und Körperlichem. (Foto: Signe Pierce und Eigen+Art Lab)

Berlin feiert die jährliche Leistungsschau seiner Kunstszene. Am anregendsten sind die Ausstellungen der (wenigen) Künstlerinnen.

Von Astrid Mania

Es ist 2019, und das Gallery Weekend präsentiert sich als eine Domäne weißer Männer. Obwohl die ursprünglich veröffentlichte Künstlerliste noch weniger Frauen und Nicht-Weiße verzeichnete, bestreiten männliche weiße Künstler jetzt immer noch rund drei Viertel des diesjährigen Programms. Das entspricht, leider, in etwa den Verhältnissen in den deutschen Galerien. Doch die Debatte findet statt, Protestaktionen sind geplant. Man muss nicht einmal den Proporz bemühen - die Ausstellungen der Künstlerinnen gehören eindeutig zu den aufregenderen auf einem Weekend, das allerdings schon spannendere Präsentationen zu bieten hatte. Eine Auswahl.

Das Orakel spricht kybernetisch

Anne-Mie van Kerckhoven ist eine der wenigen Künstlerinnen, deren Werk mit den Jahren immer jünger wirkt und relevanter wird. Durch welche erkenntnishaften Filter, so fragt es, ist eine Annäherung an die Welt überhaupt möglich? Ihre von Hand wie am Computer generierten Werke beantworten dies mit philosophischen Zitaten ebenso wie mit psychedelischer Rauschhaftigkeit. Durch beides scheint immer wieder der (weibliche) Körper hindurch.

Er ist auch Bezugspunkt dieser Ausstellung, in der minimalistische Elektro-Musik, auch dies ein Projekt der Künstlerin, für zunehmende Beunruhigung sorgt. Hier ist nicht der Mensch Herr über Philosophie, Wissenschaft, Technik und Mythos. Hier verhält es sich beinahe umgekehrt. Alles ist ein Myzel, das Bildwelten organisch durchwuchert oder sich als technoide Tentakeln darüber legt. Sind wir im Posthumanismus angekommen? Das Orakel der Anne-Mie van Kerckhoven jedenfalls spricht kybernetisch. Seine Antwort für uns Heutige lautet: eins oder null.

Anne-Mie van Kerckhoven: Unweit von dir. Galerie Barbara Thumm, 27. April bis 1. Juni.

Alles Kunststoff

Am Swimmingpool sitzen, die Füße im funkelnden Wasser, Schatten unter fruchtschweren Bäumen - ein Urlaubsparadies und ein Klischee und eine Lüge. Hinter den Mauern der Hotelanlage ist die Welt eine ganz andere. Doch die Bilder in den Köpfen und den Katalogen glänzen unbeirrt. Und so ist alles Kulisse, Simulacrum in der Installation von Sol Calero, die zu den vier Nominierten für den Preis der Nationalgalerie 2017 gehörte. Das verheißungsvolle blaue Wasser, in dem wir stehen, ist lediglich auf den Boden der Galerie aufgemalt; die Stühle, Markisen, die Pflanzen, die Blumen und Früchte: alles nur Kunststoff. Ein begehbares Klischee.

Doch in die Anklage mischt sich auch Heiteres. In die Kritik an den Denk- und Wunschschablonen, die wir von Europa aus auf ferne Länder legen, fügen sich Gemälde aus Kindheitserinnerungen an die Großmutter ein, auch sie Künstlerin, an ihr freiheitliches, sinnenfrohes Schaffen. Hat das Klischee also doch in Teilen seine Berechtigung? Die Ausstellung bleibt dankenswert ambivalent.

Sol Calero: Archivos Olvidados. ChertLüdde, 27. April bis 15. Juni.

Von Geburt an digital

Die Kamera im Nacken, die eigene, gesichtslose Rückenansicht in die Endlosigkeit fortgespiegelt. Eine unheimliche Echokammer, nervös vibrierender und doch auch verlockend-schimmernder Spiegelraum im Discolicht. Die Installation "Reflexxxions" (2019) der 1988 geborenen amerikanischen Künstlerin Signe Pierce steht am Übergang von Digitalem und Körperlichem. In ihren Werken, Videos, Installationen, Performances, Projektionen verflüssigt und vervielfältigt Pierce das Bild vom Ich. Manchmal schaut es auch zurück.

Sie arbeitet zu Fluch und Segen der neuen Techniken und Medien. Sie sind Vehikel für unseren Selbstausdruck, aber sie dringen auch, oft unerwünscht, in unsere Privatsphäre, belästigen uns mit Werbung, überwachen uns lückenlos. Pierce gehört zu einer Generation, die, wie sie sagt, schon mit der Geburt in die digitale Matrix eintritt und im Prinzip ewig darin weiterleben kann. In ihrer Kunst findet sie die Bilder für diese aufregende, beunruhigende Welt, halb Utopie, halb Dystopie.

Signe Pierce: Reflexxxions. Eigen+Art Lab, 24. April bis 15. Juni.

Altarbild vom Auto

Eine Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde? "Deep Adaptation" nennt Frieda Toranzo Jaeger ihre Ausstellung nach dem Essay des britischen Nachhaltigkeitsforschers Jem Bendell. Dieser beschreibt die gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels und überlegt, welche Anpassungsleistungen er uns abverlangen wird. Ist die Katastrophe unausweichlich? Bei Jaeger steht sie als Möglichkeit im Raum, und doch herrscht hier eine seltsam schwebende Zeitlosigkeit zwischen Retro-Paradies, Beinahe-Gegenwart und Zukunft.

Das Auto mit all seinen sozialen, ökologischen und technologischen Implikationen bietet den Rahmen dafür: Mal werden auf den Gemälden Autositze zur Spielwiese für weiblich-erotisches Begehren inmitten einer Art Garten Eden, mal wird auf einer Art Altarbild das Fahrzeug zum Raumschiff, mit dem wir die Erde verlassen. Flucht in die Zukunft und in das All. Doch unserer Geschichte und unserer Kultur entkommen wir nicht. Das Raumschiff hat berühmte Werke aus der Kunstgeschichte mit an Bord. Die Kunst entkommt sich nicht. Sie bleibt ihr eigener Referenzraum.

Frieda Toranzo Jaeger: Deep Adaptation. Galerie Barbara Weiss, 27. April bis 15. Juni.

Leinwand in Glassarg

Das konzeptuelle Werk des 1947 geborenen Südkoreaners Kim Yong-Ik ist hierzulande kaum bekannt. Dabei befragt es die westliche Moderne, auch und besonders aus einer asiatischen Perspektive. Das klingt womöglich nach intellektualistischen Exerzitien, tatsächlich sind Kim Yong-Iks Arbeiten zart und berührend. Auf einer unbetitelten Arbeit von 1994 etwa haben die akkuraten Kim'schen Großpunkte, hier in Schwarz, sonst häufig auch in Weiß, ihr strenges geometrisches Raster verlassen. Befreit wandern sie über einen Untergrund aus braunen Schlieren. Euklidisches legt sich über Erdiges.

Kim befindet sich in einem steten Dialog mit seinen Arbeiten, er denkt sie und führt sie fort. Manche frühere Leinwand hat er vor wenigen Jahren erst in eine Art Glassarg gebettet und diesen mit seinen Reflexionen beschriftet. Es ist eine Form der Selbst-Musealisierung, jedoch keine narzisstische, sondern eine, die Kommentar und Abschied vom Glauben der Moderne an sich selbst ist. Gerade dadurch wirkt diese Kunst so lebendig. Eine Entdeckung.

Kim Yong-Ik: This is not the answer. Barbara Wien, 27. April bis 27. Juli.

© SZ vom 27.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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