Fußballer-Autobiografien (1):Das Buch Effe

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Ein Mann, ein Tattoo, ein Wortschwall: Das Buch "Ich hab's allen gezeigt" von Stefan Effenberg ist nicht das Alte Testament des Bösen - sondern das Neue der völligen Ahnungslosigkeit.

IJOMA MANGOLD

Weihnachten 1973 bekommt der fünfjährige Stefan Effenberg von seinen Eltern eine kleine Plastikgitarre geschenkt. Er ist überglücklich und schlägt den ganzen Tag auf die Saiten ein. Für seine Eltern ist das nicht das reine Vergnügen. Irgendwann verliert sein Vater die Geduld: "Er nahm das Teil und drosch es mir auf den Arsch. Die Gitarre ging sofort zu Bruch, und ich fing voll an zu heulen. Damit war meine frühe Karriere als Gitarrist zu Ende. Wer weiß - vielleicht würde ich heute sonst Dieter Bohlen Konkurrenz machen und wäre Popstar geworden statt Fußballprofi."

SZ v. 09.05.2003 (Foto: N/A)

Fast drei Jahrzehnte später, seine Karriere als Fußballprofi neigt sich dem Ende entgegen, entdeckt Stefan Effenberg erneut seine musische Seite. Diesmal ist es die Malerei. "Ein neues, riesengroßes Hobby von mir!" Mit Staffelei, Leinwand, Farben und Pinsel zieht er sich oft in ein Zimmer zurück und malt. Es ist eine Tätigkeit, bei der er gut entspannen und seiner Phantasie freien Lauf lassen kann. Dabei spürt er, dass er sein neues Leben im Griff hat und nicht - wie viele Fußballprofis nach dem Ende ihrer Karriere - in ein Loch fallen wird. Auch seiner neuen Freundin gefällt diese Seite an ihm. Sie wünscht sich, er möge sein erstes Bild für sie malen. "Ich malte ein Riesenherz in einem wunderschönen Farbton." Claudia Strunz ist gerührt. Sie hat Tränen in den Augen. Es sei die schönste Liebeserklärung, die er ihr habe machen können. "Ehrlich gesagt, ich fand das Bild auch klasse, und Claudias Lob bestärkte mich darin, weiterzumalen."

Es sind dies die beiden beschaulichsten Szenen in Stefan Effenbergs Autobiografie "Ich hab's allen gezeigt". (Ich hab's allen gezeigt. Mit Jan Mendelin. Ruetten & Loening Verlag, Berlin 2003. 319 Seiten, 19,90 Euro.) Zu sagen, auf den restlichen Seiten ginge richtig die Post ab, trifft die Sache aber auch nicht. Zwar gibt es ständig "Krawall ohne Ende", immer muss irgendeiner "den dicken Max spielen wollen", dann beginnt ein "richtiges Affentheater", "Riesenzoff" ist los und irgendwer macht einen "Heidenaufstand". Aber weil bei jedem Riesenzoff eh immer die anderen Schuld haben, erscheint "Effe" allenfalls als von asozialer Biederkeit.

Das haben wir nicht gewollt. Im Vorwort hieß es noch, er habe nicht vor, sich als Engel darzustellen. Zum Teufel aber hat es definitiv nicht gereicht. Seine Autobiografie ist insofern ein Offenbarungseid: Nichts vom eigensinnigen Individualisten, der den Konventionen einer verspießerten Öffentlichkeit den Stinkefinger zeigt, nichts vom bad boy, der sich schmutzig macht, aber dafür in einer Nacht mehr erlebt als andere in ihrem ganzen Leben. Statt dessen nur quengelige Rechthaberei. Die Wahrheit ist eher ein Effenberg, der mit Otto Waalkes bei dessen Lieblingsitaliener ein Würfelspiel spielt: Wer eine Zwei würfelt, muss einen Ramazotti auf Ex kippen...

Die höchste Aufgabe eines solchen Buches, nämlich unsere niedrigsten Bedürfnisse zu befriedigen, unserem voyeuristischen Affen Zucker zu geben - verfehlt. Keine schamlosen Enthüllungen, kein skandalöser Geheimnisverrat, keine grandiosen Ungerechtigkeiten, keine schlimmen Fingereien. Es ist eher so, als würde man, um einen Striptease zu sehen, sich in die Dünen hinterm FKK-Strand schleichen: Da fallen dann zwar auch alle Hüllen, aber sie offenbaren nur, was man schon vorher ahnte: Müdes, mürbes Fleisch, gut abgehangene Bierbäuche.

Die Welt, wie Stefan Effenberg sie sieht, besteht aus drei Grundfiguren: Die seriösen Profis, die dicken Maxe und die Medien. Die seriösen Profis gehen ihrer Arbeit nach und bringen Leistung. Wenn sie sich aber einmal verdientermaßen abends etwas entspannen wollen (bei "lecker Bierchen"), funken die Dickmaxe dazwischen und riskieren eine große Lippe. Die Profis versuchen dann, die Provokation halbwegs im Rahmen einer Verhältnismäßigkeit der Mittel beizulegen, aber schon sind die Medien zur Stelle und hängen ihnen und nicht den Dickmaxen alles mögliche Ungeheuerliche an. "Haben die keine anderen Sorgen?"

Aber der Profi Effenberg kennt das Spiel. Er weiß, wie die Medien ticken. "Die Headline ,Stefan Effenberg schlichtet in der Disko einen Streit' würde niemand schreiben. Viel zu langweilig und bringt nichts für die Auflage!" Als Sportler ist man ja heutzutage quasi automatisch auch Medientheoretiker und mit allen Wassern Baudrillards gewaschen - und weiß deshalb, dass es so etwas wie eine ontologisch verbürgte Wirklichkeit nicht gibt, sondern nur jene Wirklichkeitskonstruktionen, die die Medien erzeugen. Nur die Gerichte haben das noch nicht ganz begriffen. Immer wieder mal wollen diese in der simulierten Medienwelt eine reale Faust gesehen haben. Für solche epistemologischen Naivitäten muss dann meistens Effenberg die Zeche zahlen.

Das Problem hängt aber auch damit zusammen, dass die Gerichte Verantwortlichkeit enger fassen, als Stefan Effenberg dies für sinnvoll hält. Für Effenberg befindet sich der Bereich seines kontrollierten Ichs irgendwo in der Mitte seiner guten Seele. Von dort nach außen gehend, nimmt die Verantwortlichkeit dann rasch ab. In den Peripheriezonen seiner Person, also vor allem bei den Ausläufern seiner Extremitäten herrscht manchmal ein wenig Anarchie, machen sich die Hände zu unautorisierten Strafexpeditionen auf oder holen seine Füße zu Tritten gegen einen betrunkenen Penner aus. Aber das kann man ihm als Person eigentlich nicht mehr wirklich zurechnen, findet der Hanseat Effenberg. Einmal im Münchner P1, man kommt gerade vom Oktoberfest, kippt ihm eine Frau ein Glas Champagner ins Gesicht. "Es brannte wie Hölle". Effenberg reißt seine Arme hoch, um sich zu schützen. Dabei müssen seine Hände irgendwie die Dame unsanft berührt haben. Weil seine Fußball-Kumpels als Zeugen vor Gericht kneifen, muss er zahlen: "Die teuerste Verarschung meines Lebens."

Das dämonische Blau seines zornigen Blickes, wie es uns von dem Buchumschlag anschaut, ist reine Bildbearbeitung. Effenbergs Furchtlosigkeit hat wenig mit Kühnheit zu tun. Es gilt eher Beans Johnny-English-Definition: "Er hat keine Angst, er hat keine Furcht, er hat keine Ahnung". Mit unseren Projektionen sind wir an den Falschen geraten. Vielleicht ist doch eher Mario Basler der wahre Effenberg.

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