Fröttmaning, hinter dem WM-Stadion:Hier liegt ein Dorf begraben

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In der Arena im Norden Münchens beginnt in der nächsten Woche die Weltmeisterschaft. Für die meisten ist Fröttmaning nur ein Name. Doch für einige Menschen war der Ort ein Zuhause. Bis er verschwand.

Bastian Obermayer

Ihr Wagen steht an einem Feldweg voller Schlaglöcher, parallel zur Freisinger Landstraße, Luftlinie etwa 800 Meter vom Fröttmaninger Stadion entfernt. Es ist schon dunkel, lange wird sie nicht mehr bleiben. Zu Hause wartet ihr Mann. "Kein einziger Freier, nicht einer", sagt Sissi*, hebt die Hände und lässt sie aufs Lenkrad fallen. Vielleicht hätte sie ja doch noch einen Tag länger bei ihren Enkeln bleiben sollen, die sie am Wochenende besucht hat. Sissi ist 65. Sie steht seit fast vierzig Jahren auf dem Fröttmaninger Straßenstrich.

Das, was da hinter´m Friedhof so bedrohlich rot leuchtet, ist die neue Allianz-Arena. (Foto: Foto: Ulrike Myrzik)

Auf dem Beifahrersitz liegt eine Plastikschachtel mit Feuchttüchern, auf der Rückbank stapeln sich zerfledderte Klatschmagazine: Für Sie, Neue Post, Freizeit Revue. "Das Schlimmste an dem Beruf ist das Warten." Sissi sieht ein bisschen so aus, wie man sich eine Puffmutter vorstellt, mit ihren pechschwarz gefärbten Haaren, der grellen Schminke und dem Leopardenfelljäckchen über der üppigen Brust.

Auf dem Fröttmaninger Strich sind die Huren gemeinsam mit ihren Freiern alt geworden. Einer kommt immer mit dem Bus, packt an der Haltestelle sein Gehwägelchen aus und schiebt sich hinüber zu den Autos. Alle, die hier anschaffen gehen, leben von Stammkunden, das hat sich durch den Bau der Arena nicht geändert und das wird auch durch die Weltmeisterschaft nicht anders, meint Sissi: "In der Stadt macht ein Club nach dem anderen auf, die holen Mädchen aus dem Osten, die werden da Schichtdienst machen. Aber zu uns verirrt sich keiner. Nach den Spielen fahren doch alle vom Stadion wieder in die Stadt zurück." An diesem Abend brennt auch nur noch in einem Geländewagen Licht, der etwas weiter in Richtung Wald und Müllberg parkt. Hinter dem Müllberg kann man das rote Leuchten der Arena schimmern sehen.

Im sechsten Stock des Fröttmaninger Stadions steht Peter Kerspe, 57, graue Haare, dunkler Anzug, in seinem Büro und schaut auf die Uhr. Der Geschäftsführer der Allianz Arena hat, wie immer, viel zu tun. Die Übergabe des Stadions an die Fifa steht an, eine Menge Dinge müssen noch erledigt werden, die Liste der Fifa ist lang: alle Werbetafeln abdecken, alle Logen leeren, den Rasen erneuern, einen äußeren Sicherheitsring schaffen. Das so genannte Hospitality Center muss fertig gestellt, zusätzliche Pressetribünen gebaut werden. Die Cateringfirma kommt mit eigenem Geschirr, eigenen Leuten, eigenem Konzept. Und, und, und. "Ein riesiger logistischer Aufwand", sagt Kerspe und klappt seinen Laptop mit einer geübten Handbewegung zu. Gerade wurde der leuchtende Schriftzug der Arena abmontiert, der Lkw-Anhänger mit den riesigen blauen Buchstaben steht abfahrbereit. Für die Dauer der Weltmeisterschaft heißt die Allianz Arena dann "FIFA WM-Stadion München". Anfangs, als der Bau noch nicht stand und die Namensrechte noch nicht verkauft waren, sagte man noch "Fußballstadion Fröttmaning". Damals arbeitete Peter Kerspe in Berlin, die Familie lebte aber in München. "Die A9 war meine Rennstrecke zum Flughafen." Er fuhr oft dort vorbei, wo jetzt die Allianz Arena steht, abgefahren ist Kerspe nicht. Da war ja nichts, nicht einmal eine Ausfahrt.

Zwischen der Fröttmaninger Arena und dem Fröttmaninger Straßenstrich, fast genau in der Mitte sogar, da lag Fröttmaning. Das Dorf, in dem in der kommenden Woche die Weltmeisterschaft eröffnet wird. Das Dorf, das es nicht mehr gibt. Sein Schicksal war bereits besiegelt, als der angrenzende Müllberg der Stadt Mitte der fünfziger Jahre mehr und mehr Platz beanspruchte. Die vier Bauernhöfe wurden abgerissen, Schutt und Abfall an ihre Stelle geschoben. Übrig blieb nur die Kirche und der Name: für den Straßen-strich, den es seit 1947 gibt, den U-Bahnhof, die Autobahnausfahrt. Auch eine neue Gebrauchtwagen-Niederlassung und ein großer Baumarkt haben sich nach dem einstigen Dorf benannt. Die Arena wurde in das Nichts eines verschwundenen Dorfes gesetzt, das selbst die Kartografen und Vermessungsbeamten der Stadt München schon lange nicht mehr kennen. In ihren Akten finden sie nur die Ziffer 12/21, für den Platz, an dem die Heilig-Kreuz-Kirche steht.

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