Fritz Senn:Fröhliche Wissenschaft

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Fritz Senn, geboren am 1. Januar 1928 in Basel, ist seit 1985 Leiter der James Joyce Foundation in Zürich. (Foto: Keystone Bally/dpa)

Der ehemalige Lektor der Verlage Diogenes und Haffmans ist seit Langem Nestor einer weltweiten Gemeinde passionierter Leser und Erforscher des Werks von James Joyce. Nun feiert er seinen neunzigsten Geburtstag.

Von Volker Breidecker

Zürich, Augustinergasse 9: "Visitors welcome." Der gastfreundliche Hinweis auf einer Tafel neben dem Portal eines barocken Wohngebäudes lädt neben den Gästen des ebenfalls dort residierenden Museums Strauhof neugierige Passanten und Besucher aus aller Welt dazu ein, der im oberen Geschoss des Hauses niedergelassenen Internationalen James Joyce Foundation aufzuwarten. Das schwere Portal öffnet sich schon bei leiser Berührung wie von selbst, und steigt man am Ende der ersten Etage die laut knarzende hölzerne Stiege ganz nach oben, so steht man sogleich mitten im betriebsamen Reich des Joyce-Forschers und begnadeten Philologen Fritz Senn. Eintritt frei.

Der gebürtige Basler und ehemalige Lektor der Verlage Diogenes und Haffmans ist seit langem der legendäre Nestor einer quirligen, weltweit miteinander vernetzten Gemeinde passionierter Leser und Erforscher des Werks von James Joyce. Zwischen Laien und Experten gibt es in seinem Reich keine akademischen Unterschiede. Die Räume der von ihm geleiteten Stiftung beherbergen eine große Bibliothek, das Archiv und eine pittoreske Sammlung von Erinnerungsstücken an Joyce, der im Laufe seines Lebens mehrmals in der Stadt an der Limmat Obdach und Asyl gefunden hatte.

Für Senn und die Stiftung begann alles mit einem irischen Pub, der mitsamt Mobiliar von Dublin in die Zürcher Pelikanstraße überführt wurde, und mit einer enorm angewachsenen Forschungsbibliothek, die der sprachbegabte Autodidakt und Joyce-Enthusiast über die Jahre zusammengetragen hat. Heute ist diese Bibliothek die europaweit bedeutendste Sammlung von Werken von und über Joyce in allen Weltsprachen. Und seit der Stiftungsgründung im Jahr 1985 wird hier nicht nur geforscht, sondern unter Senns Anleitung auch intensiv gelesen, von viermal wöchentlich tagenden Lesegruppen aus Laien und Liebhabern. Jeweils zwei Gruppen lesen hier über Jahre hinweg Seite für Seite und Wort für Wort den "Ulysses" und den ungleich schwierigeren, auf den ersten Blick unverständlichen Roman "Finnegans Wake". Allein für den "Wake", wie er unter Eingeweihten genannt wird, sind im Verfahren des "close reading" - eines "langsamen Lesens", wie es Friedrich Nietzsche lobte - ganz elf Jahre veranschlagt, und danach geht's wieder von vorne los, zum Teil in bekannter Runde.

Daneben veranstaltet Senn, der mit Joyce-Lesern in aller Welt korrespondiert und Mitherausgeber der Frankfurter Ausgabe ist, seit Jahrzehnten ebenfalls legendäre, alljährliche August-Workshops zu einem im voraus festgelegten Thema oder Motiv aus dem Werk von Joyce. Darüber sprechen in heiterer Runde ausgewiesene wie nachwachsende Joyce-Forscher aller Kontinente. Und auch dabei geht es recht unakademisch zu, weil das Verlesen gefürchteter "Papers", also schriftlich ausgearbeiteter Vorträge, zugunsten der freien Rede strikt untersagt ist.

Fritz Senn, mit schalkhaftem Humor begabt, führt ein offenes Haus, wie es nirgends sonst noch einmal zu finden ist, eine Wunderkammer strenger Gelehrsamkeit und fröhlicher Wissenschaft. Die Stadt Zürich, deren an Lifestyle-Kultur orientierte Präsidial- und Kulturbehörde die Stiftung noch vor wenigen Jahren aus dem Haus vertreiben wollte, verdankt Fritz Senn ungleich mehr als dieser dem städtischen Grundbesitzer, dem erst ein internationaler Proteststurm um die Ohren wehen musste, ehe er von einigen seiner kurzsichtigen Pläne wieder abließ.

Fritz Senn, der Türöffner zu alledem, wurde an einem Neujahrstag geboren. Nun wird er neunzig. Eines seiner geflügelten Worte lautet: "Je alter, desto Ego".

© SZ vom 29.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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