Freies Theater:Sterben dauert

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Die graduelle Entblößung bestimmt die Dramaturgie des Nicht-Dramatischen von Alexeij Sagerers "Liebe mich! Wiederhole mich!" (Foto: oh)

Alexeij Sagerers Memento Mori "Liebe mich! Wiederhole mich!"

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Was lernt man hier über das Sterben? Die Windelhose sitzt noch post mortem. Der Mann liegt da wie zuvor und doch anders. Die Wangen sind eingefallen, der Körper sieht leichter, fragiler aus. Aber man hat ihn versäumt, den letzten Schnaufer. Nun ist er einfach so verlöscht, ohne Agonie. Kein Totenblumenpflücken. Johannes Oppenhauers leises Sterben ist seine letzte gemeinsame Produktion mit ProT-Mann Alexeij Sagerer, den er beauftragt hat, seinen Tod zu filmen. Sie waren Bierkämpfer im Leben wie auf der Bühne. Das kann man nachlesen auf der Homepage des ProT. Alexeij Sagerer hat also die 13 Lebenstage bis zu dessen Ableben am 17. Oktober 2012 mit der Filmkamera begleitet. Eine intime, eine prekäre und eine höchst persönliche Angelegenheit, die der Theatermann, selbst schon in den Siebzigern, öffentlich zu teilen sich dann entschlossen hat.

An die Stirnwand eines schlauchartigen Raumes in der "Säulenhalle" der Post an der Arnulfstraße wird der Film vom Sterben des todkranken Mannes projiziert. Eine Frau, deren Stimme man hörte, die man aber nicht sah, hatte dem Dahinscheidenden noch kurz zuvor den Tee bereitet, nach dem er verlangte mit starker Stimme aus geschwächter Brust. Sie verkörpert das Leben, das aus dem Mann schwindet. Jung ist sie, gerade mal 18 Jahre alt, als er sie wenige Monate vor seinem Tod heiratet. Denn, man weiß es ja, ein Kerl kann gar nicht alt und schäbig genug werden, als dass es ihn, oft erfolgreich, nicht noch nach einer gelüstete, die Leben weiter geben könnte: Es träumt die Gans vom Kukuruz. Und so setzt sich nun in Alexeij Sagerers Memento Mori "Liebe mich! Wiederhole mich!" der Reigen von Leben und Tod fort mit der Absicht existenzieller Dringlichkeit, die an diesem Abend jedoch seltsam gedrosselt zu sein scheint.

Eros und Thanatos besetzen die beiden Pole des Spielorts, verbunden durch einen roten hölzernen Steg, an dessen Seiten die Zuschauer sitzen. Sie sehen, drehen sie, je nachdem auf welcher Seite sie sitzen, den Kopf nach rechts oder links, entweder den Film oder schauen geradaus auf einen der jeweils fünf Monitore. Darauf sind zwei von drei Frauen im Bild oder auch nur Ausschnitte von ihnen, Hände, Stoff, bloße Körperteile, von oben gefilmt von einer splitternackten dritten, die am anderen Ende des Ganges, den keine der drei jemals zu Ende Richtung Sterbefilm geht, sich befindet. Dort sind die beiden Frauengemächer mit hölzern gerahmten Fenstern. Dort wartet die schöne junge Braut ganz in Weiß unter Spinnweb-zartem Schleier, begleitet von einer Brautjungfer in weißem Satin, die sich bald entkleiden und aus einem zu einem Haufen aufgetürmter Müllsäcke Erde aufschütten wird, wo sie, erst barfüßig, dann in blutroten Pumps in Kraftpose ein ums andere Mal ihren roten Slip vom Bauch dehnen, ihn herunter- und wieder hinaufziehen wird.

Das Bräutchen, es entkleidet sich erst gegen Schluss des Stückes von ziemlich genau 110 Minuten, ganz langsam, als wartete ihr greiser Bräutigam, sanft die Lochstickerei ihre Kleides streichelnd. Ihre Hand gleitet zum nackten Schoß, nachdem der Mann schon tot ist, und bedeutet, was man tiefsinnig oder nur blöd finden kann - das Vorwärts in den Uterus beim Sterben.

Inzwischen sind auch schon etliche Zuschauer, wenn auch nur temporär, sanft entschlafen. Andere haben bereits auf Zehenspitzen den Spielort verlassen. Denn das einzig Dramatische, das einem an diesem wach hält, ist, was aus den Lautsprechern dröhnt. Nicht die Dauerschleife neapolitanischer Liedchen, auch nicht Wagners Tristan-Vorspiel, sondern das zweimalige Crescendo eines akustischen Höllenfeuersturms, der einem tosend in Ohren und Eingeweiden schmerzt. Als der zur Halbzeit das erste Mal abbricht, aber ist aus "Liebe mich! Wiederhole mich!" endgültig die Luft raus. Der Tod? Das Sterben? Es ist, was es ist, lernen wir. So banal.

© SZ vom 26.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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