Freie Szene:Potenz-Theater

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Sie versuchen, mit dem Theater Hoch X einen Begegnungsraum zu schaffen: Ulrich Eisenhofer, Susanne Weinzierl, Benno Heisel und Ute Gröbel (v.l.). (Foto: Stephan Rumpf)

Das Hoch X, eine Spielstätten-Utopie

Von Jennifer Gaschler, München

Freie Szene in München? Selbst dem geneigten Theatergänger fällt es schwer, mehr als drei Spielorte zu nennen. Und Produktionen, die von der freien Produktion auf die großen Theater überschwappen? Nonexistent. Das soll sich im Theater Hoch X ändern, das im Haus des ehemaligen I-Camps am Samstag, 17. September eröffnet. 2015 schrieb die Stadt München die subventionierte Spielstätte neu aus, den Zuschlag bekamen Ulrich Eisenhofer, Ute Gröbel, Benno Heisel und Susanne Weinzierl, die bereits seit mehreren Jahren in wechselnden Positionen in der Münchner Kulturszene tätig sind.

Seit Januar bauen und konzipieren die jungen Theatermacher das in die Jahre gekommene Gebäude um, und bei einer ersten Besichtigung zeigt sich: Hier ist viel passiert. Wo der Theaterraum bisher eine minimalistische Black Box war, ist er nun wieder unterteilt in Guckkastenbühne und Zuschauerraum - beides lässt sich aber je nach Inszenierung egalisieren. Das Foyer schmückt nun eine schallschluckende Holzdecke, damit dort auch Lesungen oder Konzerte stattfinden können. Das klingt nach dem, was es ist: ein Multifunktionshaus, ein Segen für die freie Szene, die an akutem Spielstätten- und Infrastrukturmangel leidet. Damit die volle Bandbreite repräsentiert wird, sieht der Spielplan bunt aus: Theater- und Tanztheater, Performances, Klangexperimente, Kunst im öffentlichen Raum, Konzerte, Workshops und sogar einmal im Monat Kindertheater. Auch die Festivals wie "Dance" oder "Rodeo" werden das Hoch X als Spielstätte nutzen.

"Theater ist aber auch eine sehr ortsbezogene Kunst", sagt Gröbel, "in diesem 133 Jahre alten Haus gibt es noch viel Vergessenes und Verschüttetes - das wollen wir ausgraben und uns dessen bewusst sein, wenn wir hier avantgardistische Kunst machen". Den ersten Fund haben die vier bereits gemacht: Bei den Umbauarbeiten kam ein Orchestergraben zum Vorschein. Mit der Historie von Viertel und Theater setzt sich dann auch die Eröffnungsinszenierung "Audiogramm" auseinander, die in einer szenischen Installation die Klangspuren erforscht, die vor Ort hinterlassen wurden.

Am Projekt Hoch X hängt aber auch eine grundsätzliche Kritik an der örtlichen Szene: "Das ist so absurd, dass München zwar ein Riesenpotenzial hat, durch die Akademie-Absolventen zum Beispiel, aber die meisten nach ihrem Studium abwandern, weil hier zu wenig in der freien Produktion passiert. Wir haben kein Kampnagel, kein HAU, da ist die Stadt noch sehr rückständig", sagt Heisel. Ein Produktionszentrum soll das Theater deshalb werden, mit Proben- und Arbeitsräumen, organisatorischer Unterstützung und professioneller Kommunikation. "Wir bauen darauf auf, was das I-Camp hier erschaffen hat, wollen dem ganzen aber noch einen neuen Spin geben, noch mehr in die Stadt hineinwirken", sagt Heisel, "ein Begegnungsraum für Kunstschaffende sein und die unabhängigen Spielstätten vernetzen". "Und ein lebendiges Zentrum für die freie Münchner Szene sein - genau so eins, das wir selbst immer vermisst haben", fügt Gröbel hinzu. Das klingt noch nach Utopie, aber die Theaterleiter und ihr Haus scheinen auf einem sehr guten Weg.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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