Frauen gegen Männer:Wo ist Alice Schwarzer oder: Der Markt wird es nicht richten

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Was das Geschlecht angeht, steht man das ganze Leben nur auf einer Seite. Das macht ein bisschen intolerant. Die Fronten sind klar: Der Mann geht arbeiten, die Frau bekommt die Kinder. Oder?

PETRA STEINBERGER

"Jeder Mann", lautet ein alter Satz, "hat eine Mutter." Dieser Satz bezeichnet die wohl wahrhaftigste Schnittstelle zwischen den Geschlechtern, in der die Wurzel allen Übels liegt - oder jenen Punkt, von dem aus jener ewige Vorwurf bewältigt werden könnte: Du verstehst mich nicht!

(Foto: N/A)

Wer jung ist, wird alt, Gesunde können auch mal krank werden, und heutzutage ist kein Job mehr ganz sicher. Genau das unterscheidet den uralten Zwist zwischen Männern und Frauen - was das Geschlecht angeht, steht man das ganze Leben nur auf einer Seite (bis auf sehr wenige Ausnahmen, die wir in diesem Beitrag rücksichtslos übersehen). Die Zustände der Welt werden Männer wie Frauen immer nur aus ihrer Perspektive betrachten, und selbst mit viel Empathie (eine womöglich eher weibliche Eigenschaft) werden sie sich dem anderen Geschlecht nur bedingt annähern. Das macht per definitionem ein bisschen intolerant.

Was keines der beiden Geschlechter davon abhält, ständig über das andere zu urteilen, es zu analysieren oder zu kritisieren; und die Unterschiede, ob real oder eingebildet, politisch kräftig auszuschlachten - wenn es diese Unterschiede gibt. Aber darin besteht ja der alte Streit.

"Die Mutter macht in ihrer Familie Karriere"

Beginnen wir mit ein paar hässlichen Zahlen, die die Stellung der Frauen und die angestrebte Gleichstellung der Geschlechter betreffen. Laut "Gender Gap Index" der OECD liegt Deutschland beim Lohnunterschied auf Platz 20 von 58, bei staatlichen Betreuungseinrichtungen für Kinder auf Platz 28. Frauen verdienen durchschnittlich zwölf Prozent weniger als Männer im gleichen Job. Nur zehn Prozent der Führungspositionen, heißt es im jährlichen Mikrozensus für Deutschland, waren im März 2004 mit Müttern besetzt. Männer mit Kindern sind auf derselben Karrierestufe mit 23 Prozent vertreten. In der Altersgruppe zwischen 30 und 45 Jahren können Frauen ähnlich erfolgreich sein wie Männer, manchmal sind sie sogar erfolgreicher - solange sie keine Kinder haben. Und 40 Prozent der Mütter kehren nicht wieder an ihren Arbeitsplatz zurück.

Fahren wir fort mit jenem Zitat von Paul Kirchhof, das der CDU inzwischen in jeder Wahldebatte um die Ohren geschlagen wird, jenen Satz, den er vor ein paar Jahren im Vorwort eines Buches geschrieben hat: "Die Mutter macht in ihrer Familie Karriere, die nicht Macht, sondern Freundschaft verheißt, nicht Geld, sondern Glück bringt." Etcetera. Fraglos ist das ein recht konservatives Familienbild. Aber wieso, fragt man sich, soll das junge, moderne Frauen noch berühren, die doch längst erkannt haben, dass die Realität heute ganz anders abläuft? Dass Frauenidentität inzwischen weit mehr ist als die einer Mutter?

Aber das Dasein als Mutter, selbst wenn es nur ein möglicher Lebensentwurf ist, wenn es nur als Option gedacht und vielleicht gar nicht angestrebt wird, gehört eben immer noch dazu bei fast allem, was das Verhältnis von Frauen und Männern in der Öffentlichkeit wie im Privaten berührt. Sei es, dass eine Frau überhaupt eingestellt wird, weil sie noch keine Kinder hat. Sei es, dass sie ebenso schnell wieder entlassen wird, gerade weil sie keine hat - im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen, die Kinder zu Hause haben und das, was der Frau gerade fehlt: eine ordentliche Hausfrau.

Zuhausebleiben und Kinderkriegen

Das ist weltweit so. Auch in den Industrieländern des Westens, und mal wird mehr, mal weniger Aufhebens darum gemacht. Was in Deutschland jedoch einzigartig ist, sind die ökonomischen und politischen Realitäten, die sich aus einer bestimmten, recht fixierten Vorstellung von Frauen ergeben haben, die eben auch Mütter sein können, aber vor allem sein sollen - siehe Kirchhof. Und diese Realitäten kommen immer dann besonders zum Tragen, wenn es, wie in diesen Zeiten, um Verteilungskämpfe zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen geht.

Frauen sollen, ja müssen arbeiten, sagen die einen, die an die Zukunft denken und daran, dass bei zunehmendem Bevölkerungsschwund auch die kreative Ressource Frau angezapft werden könnte. Dumm nur, wenn sie dann schwanger werden, was das einen Betrieb kostet...

Frauen müssen mehr Kinder kriegen, sagen die anderen, sonst wird es mit dem Bevölkerungsschwund noch ärger. Dann wird es allerdings problematisch mit der Karriere, weil sie entweder all die Kinder betreuen müssen, die noch keinen Krippenplatz haben oder in einen Ganztageskindergarten gehen oder eine Ganztagesschule, und das sind die meisten. Oder weil sie die Kinder durch ihre berufliche Abwesenheit zu verwahrlosten, traumatisierten Asozialen verkommen lassen, wie das im Rest Europas offensichtlich der Fall ist, besonders in Schweden und Frankreich.

Außerdem hat das Zuhausebleiben und Kinderkriegen den Vorteil, dass die Stellen der Frauen für den männlichen Teil der Gesellschaft frei werden, theoretisch zumindest, weswegen dieses Argument gern in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit vorgetragen wird wie heute oder dann, wenn Männer von großen Abenteuern oder Kriegen zurückkommen wie in den fünfziger Jahren.

Besonders aufgeklärte Visionäre sagen inzwischen, dass man es Frauen doch ermöglichen sollte, beides gleichermaßen zu vereinigen, Kinder und Karriere - wenn sie es denn wollen. Dabei vergessen die meisten deutschen Politiker bequemerweise zu erwähnen, dass gerade solche einzigartigen deutschen Konzepte wie das Ehegattensplitting dazu geführt haben, dass Frauen, zumal welche mit Kindern, an den heimatlichen Herd geradezu zurückgestoßen werden, weil es dazu verführt, nicht mehr zu arbeiten.

(Foto: N/A)

Aber daran rührt lieber keiner, hat doch das Verfassungsgericht das Splitting empfohlen, um die Ehe zu schützen. Im Jahr 1957. Ein Drittel aller Frauen mit Kindern bleibe ganz zu Hause, hat neulich eine junge Autorin in der Zeit festgestellt, ein weiteres Drittel arbeite halbtags, gerade 3,7 Prozent schafften es, Chefin zu werden, und 1,6 Prozent der Männer nähmen Erziehungsurlaub. Toller Erfolg der Emanzipation, ärgert sich die Autorin, sollen tatsächlich Yoga- und Selbsterfahrungskurse das Ergebnis sein?

Männer arbeiten wacker, Frauen stehen sich selbst im Weg

Ist doch alles machbar, sagen die wenigen Vorzeigefrauen, die beides geschafft haben, wie Ursula von der Leyen. Ohne ihnen ihre großartige Leistung damit absprechen zu wollen: Für die meisten ist das kein gangbarer Weg, denn diese Frauen haben sich gegen die Bedingungen in Deutschland durchgesetzt, die es den meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen außerordentlich schwer macht, neben Männern zu bestehen.

Aber vergessen wir mal die Kinder, vergessen wir mal die fragwürdige Aussage, dass alle Frauen irgendwann welche wollen (es gibt tatsächlich ein Leben ohne sie). Wo und wie nun stehen sich Frauen und Männer gegenüber? Da stellt sich heraus, dass Männer wacker vor sich hinarbeiten wie eh und je, während Frauen sich oft selbst im Weg stehen auf dem Weg nach oben oder überhaupt irgendwohin. Dass sie weniger, oder einen anderen Ehrgeiz besäßen als Männer, dass sie schneller aufgeben, und das sogar manchmal ganz gern, ja dass sich Frauen gegenseitig herunterziehen würden, sollte eine es wagen, den Kopf zu weit hinauszustrecken. Viele männliche Manager sehen das negativ.

Positiv formuliert sind Frauen eben andere Dinge im Leben ebenso wichtig wie die Karriere, außerdem sind Frauen teamfähiger, kommunikativer als Männer - alles Qualitäten, die in der modernen Dienstleistungsgesellschaft immer notwendiger werden. Das sagen Unternehmensberater. Und das wissen die drei, vier großen internationalen Firmen wie IBM oder Hewlett-Packard, die tatsächlich so etwas wie eine erfolgreiche Frauenpolitik betreiben - weil sie festgestellt haben, dass Firmen, die Frauen besonders fördern, auch geschäftlich erfolgreicher sind.

Ideale des 19. Jahrhunderts

Moment! Wir reden fast ausschließlich von den Frauen. Wo sind die Männer in dieser Auseinandersetzung? Nun, sie sind vor allem, und wenn keine Wahlen sind, sehr, sehr still. Warum auch sollten sie sich äußern, haben sie doch vor allem zu verlieren: Arbeitsplätze, Karrieremöglichkeiten, Freizeit (im Haus). Das glauben viele von ihnen zumindest.

Vielleicht würden sie anders denken, wenn man ihnen vorrechnete, dass Frauen, die an ihrer Seite arbeiten, eben auch ein schönes Stück zur gemeinsamen Altersversorgung beitragen könnten. Oder dass es ganz angenehm wäre, wenn sie mehr Zeit mit ihrer Familie und, ja, ihren Kindern, verbringen würden, ohne dass sie im Betrieb gleich als Weichei dastehen würden - denn ein Mann nimmt keinen Erziehungsurlaub, jedenfalls nicht, wenn er noch mal Karriere machen will, so hält man es in vielen deutschen Firmen (und schon wieder geht es um die Kinder).

Es passiert nur nichts. Bisher. Sobald einmal Kinder da sind, wird in Deutschland bis heute trotz aller Rhetorik eine gesellschaftliche und soziale Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau gefördert, die den großbürgerlichen Idealen des 19. Jahrhunderts entspricht, mitsamt goldenem Käfig und ein paar feministischen Ausrutschern (in den ostdeutschen Ländern passiert das weniger, was an kommunistischer Indoktrination liegen muss). Der große Graben zwischen den Geschlechtern resultiert nun mal aus der Realität der Reproduktion, und solange eine derart veraltete Frauen-Männer-Dichotomie in Deutschland existiert, werden sich mehr und mehr Frauen, ökonomisch völlig konsequent, für die eigene Karriere entscheiden - wer mag es ihnen verdenken?

© SZ vom 06.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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