Frankreich:Es nützt nichts

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Nach den Regionalwahlen wird deutlich, dass sich das politische System in einer Legitimationskrise befindet.

Von Clemens Pornschlegel

Der französische Grünen-Abgeordnete Noël Mamère brachte es nach dem ersten Wahlgang der französischen Regionalwahlen am letzten Sonntag auf den Punkt. Zur Freude bestehe kein Anlass, auch wenn das rot-grüne Bündnis gewonnen und die Rechte einen Denkzettel bekommen habe.

Frankreich bleibt das Land mit der stärksten rechtsradikalen Partei in Europa. Jean-Marie Le Pens "Nationale Front" hat es nach dem ersten Wahlgang auf 15 Prozent der abgegebenen Stimmen gebracht, in über der Hälfte der Regionen liegt der Schnitt um die 18, in der Picardie und an der Côte d'Azur verbuchen die Rechtsradikalen Ergebnisse von über 22 Prozent.

Das heißt, dass knapp ein Fünftel der französischen Wähler sich in Parolen wiedererkennt, die ebenso hässlich wie eindeutig sind : Frankreich den Franzosen, Araber raus, Schluss mit der Europäischen Union, Wiedereinführung der Todesstrafe, weg mit dem ganzen Kosmopolitenpack. Ein Fünftel grinst mit, wenn antisemitisch gepöbelt und Auschwitz zum "Detail" erklärt wird. Ein Fünftel ist davon überzeugt, dass eine internationalistische Verschwörung gerade dabei ist, die Nation zu liquidieren. Das Ergebnis des Front National lässt sich jedenfalls nicht zu einem Protestwahlphänomen kleinreden, auch wenn aufgrund des französischen Wahlrechts keine Region an die Rechtsradikalen fallen wird. Le Pen wiederholt sein Wahlergebnis aus der letzten Präsidentschaftswahl, was bedeutet, dass sich der Rechtsradikalismus stabilisiert und sich an der Situation wohl in absehbarer Zeit auch nichts ändern wird. Dazu sind die Ergebnisse der Nationalen Front über die Jahre hinweg viel zu konstant. Dazu ist die Partei inzwischen viel zu gut in der französischen Gesellschaft verankert.

Krieg gegen die Intelligenz

Rest-Europa mag es vielleicht noch nicht ganz klar sein. Der rassistische Nationalismus ist in Frankreich zum festen Bestandteil des politischen Alltags geworden. Gewalt gegen Juden gehört zu diesem Alltag. Der Rassismus liegt nicht hinter, sondern vor uns. Noël Mamère übertrieb nicht, als er von einer Krise der Demokratie sprach. Die Krise lässt sich in Zahlen ausdrücken.

Es genügt, die Stimmen all derer einmal zusammenzählen, denen am gegenwärtigen System nichts mehr liegt. Dazu gehören erstens diejenigen, die es für sinnlos halten, überhaupt noch zu wählen und denen auch das gute Abschneiden der Le-Pen-Partei egal ist. Sie " glauben nicht mehr an die Politik ", wie es in den Medien heißt. Jedenfalls nicht an die, die ihnen geboten wird.

Zweitens gehören dazu diejenigen, die sich die Abschaffung der Republik offen zum Ziel gesetzt haben, also die rechtsradikale Front auf der einen Seite, die trotzki-stalinistischen Linksextremisten auf der anderen Seite. Die einen träumen von der nationalen, die anderen von der internationalen Revolution.

Zusammengenommen bringen es die drei Gruppierungen auf annähernd 50 Prozent der Wählerschaft. Die demokratischen Parteien erreichen mithin lediglich noch die Hälfte des Wahlvolks. An der sozialen Realität der anderen Hälfte geht ihre Politik offenbar nachhaltig vorbei. Die Situation lässt wenig Interpretationsspielraum. Wenn fast die Hälfte der Wähler vom politischen System, in dem sie leben, nichts mehr wissen wollen, dann hat man es mit einer Legitimationskrise zu tun. In Frankreich schwelt sie bereits seit längerem, ohne dass das Gros der Politiker sie als solche bewusst wahrnehmen würde.

Der bisherige Höhepunkt war die Präsidentschaftswahl vom Frühjahr 2002, als die Franzosen plötzlich nur noch die Wahl hatten zwischen Le Pen, dem Faschisten, und Chirac, dem Demokraten. Der Neogaullist ging mit tatkräftiger Unterstützung der Linken als Sieger aus dem Duell hervor und brachte es dabei zu einem Wahlergebnis, das man nachgerade als "sowjetisch" bezeichnen könnte. Selbst Wladimir Putin schafft es nicht in solche Prozenthöhen. Chirac konnte damals sagenhafte 82 Prozent der Stimmen einheimsen.

Spätestens nach dieser katastrophalen Ausnahmewahl, in der nur ein demokratisch akzeptabler Kandidat zur Wahl stand, hätte es der gesamten politischen Klasse gut angestanden, ein wenig Ursachenforschung für das Desaster zu betreiben. Sie hätte sich die Frage stellen können, ob die Republikverdrossenheit nicht doch etwas mit den endlosen Korruptionsaffären zu tun hatte, in die alle politischen Parteien verstrickt waren.

Sie hätte sich die Frage stellen können, ob es einem demokratischen System auf Dauer gut tut, wenn seine Berufspolitiker die staatlichen Institutionen als ihr Privateigentum betrachten. Sie hätte sich fragen können, ob der paramilitärisch strukturierte Verwaltungsapparat nicht doch etwas wenig Platz für die Ausbildung demokratischer Strukturen lässt. Sie hätte sich auch fragen können, ob die Reformblockaden im Bildungsbereich nicht doch etwas mit der Verdrossenheit der Jungwähler zu tun hat. Und man hätte sich noch eine ganze Menge weiterer Fragen stellen können.

Am Ende ließ man es lieber bleiben und simulierte Normalität. War da etwas passiert? Nein, nichts war passiert.

Die Affären wurden abgewickelt, und Jacques Chirac fing das Regieren in einem Stil an, der sich vom Zustandekommen seiner wundersamen Mehrheit nicht mehr das Geringste anmerken ließ. Die Zeitschrift Marianne gebraucht dafür das Wort "monarchisch". Die Regierung Raffarin reformiert Frankreich seit zwei Jahren in lupenreiner MargaretThatcher-Manier, ohne dafür je ein Mandat bekommen zu haben. Sie bedient den Arbeitgeberverband, die Tabak- und Weinhändler, während die Wissenschaftler auf das Geld warten müssen, das ihnen budgettechnisch bereits zugewiesen ist.

Der Slogan vom "Krieg gegen die Intelligenz", so karikaturhaft er sich ausnehmen mag, bringt die Raffarinsche Politik in der Tat auf den Begriff. Es liegt auf der Hand, dass das nur begrenzt gutgehen kann. Das Regierungslager hat einsichtige Gründe, sich das relativ schlechte Abschneiden bei den Regionalwahlen zu erklären : die protestierenden Wissenschaftler, die unzufriedenen Künstler, die demonstrierenden Krankenschwestern, die frustrierten Lehrer, die verängstigten Arbeiter, die verarmten Arbeitslosen, nicht zu vergessen all die Familien, die während der Hitzewelle im letzten Sommer Opa oder Oma verloren haben, weil die Krankenhäuser heillos überlastet waren.

Und die wiedererstarkte Linke erkennt darin umgekehrt ebenso viele Gründe für ihr gutes Abschneiden. Trotzdem klingen alleWahlerklärungen merkwürdig hohl. Sie sind mit dem Wissen geschlagen, dass sie bei fast 50 Prozent sowieso auf taube Ohren stoßen und ihre politische Legitimation folglich schwach ist. Gleichzeitig müssen sie zusehen, wie der rassistische Nationalismus sich immer weiter durch die französische Gesellschaft frisst, ohne dass man wüsste, wie man ihn wieder hinausbekäme. Die republikanische Rechte mag mit Anti-Kopftuch-Gesetzen und Law-and-Order-Parolen kraftmeiern, wie sie will. Es nützt nichts. Die Linke mag die universellen Menschenrechte und die soziale Gerechtigkeit beschwören. Es nützt auch nichts.

Le Pen sitzt in der rechten Ecke, deliriert von jüdisch-kapitalistischen Weltverschwörungen, dichten Grenzen, sauberer Kultur und natürlichen Rasseunterschieden. Er verspricht den Arbeitslosen das nationale Heil, schlachtet das Ressentiment der Deklassierten aus und denunziert das so genannte System. Er tut es im Nadelstreifenanzug und sieht ganz normal dabei aus.

Derart normal, dass selbst eingebürgerte Marokkaner ihn wählen. Das Argument, mit dem sie es tun, gibt zu denken: "Hier sind doch sowieso alle rassistisch, die Sozialisten genauso wie die Chirac-Leute", sagt eine 38-jährige Arbeiterin, die sich bei Peugeot mit Zeitverträgen durchschlägt. Von Le Pen erhofft sie sich einen ordentlichen Arbeitsplatz.

© SZ v. 26.3.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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