Frankfurter Buchmesse:Nacht, klare Nacht

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Die diesjährige Literaturschau: Vom orientalischen Garten und dem Morgenduft der arabischen Aufklärung.

Von Volker Breidecker

Am zweiten Tag der Buchmesse trat Volker Neumann, der scheidende Messedirektor, aus dem Pavillon der arabischen Gastländer hinaus auf die Aussichtsplattform des Forums. Unter der strahlenden Nachmittagssonne lehnte er sich entspannt über der Brüstung und ließ seinen Blick über die von Besuchern umlagerten Springbrunnen schweifen, hinüber zu der kleinen Wüstenstadt aus weißen Zelten auf dem Freigelände vor den Hallen.

Und Neumann sah, dass die Messe gut war. Von hier oben betrachtet, glich sie jenem orientalischen Garten, von dem die Politiker in ihren Eröffnungsreden geschwärmt hatten.

Von der Realität eingeholt

Schon in der darauf folgenden Nacht verdüsterte sich das Bild, als auf dem Empfang des S. Fischer Verlags Gerüchte über einen blutigen Terroranschlag an der ägyptisch-israelischen Grenze aufkamen. Die grausame Realität des Nahost-Konflikts hatte eine Messe, die so viel politische Aufmerksamkeit wie selten zuvor auf sich gezogen hatte, wieder eingeholt. Denn in den ersten Tagen wurde dort ein wenig so verfahren, als gebe es den jüdischen Staat Israel gar nicht.

Amre Mousa, der Generalsekretär der Arabischen Liga, sprach bei der Eröffnung von der Errichtung eines "palästinensischen Staats auf palästinensischem Boden" und überließ es den Zuhörern, dessen Lage zu bestimmen. Applaus kam auch immer dann auf, wenn eine Forderung an andere Seiten erging, nicht aber wenn die arabische Welt selbst gefordert war, sich zu ändern.

Gegenüber dem Haupteingang der Messe hatten jüdische Studentenorganisationen einen mit israelischen und amerikanischen Fahnen beflaggten Proteststand errichtet und verlangten im europäisch-arabischen Verhältnis anstelle eines "kritischen Dialogs" einen "Regimewechsel". Viel wurde, auf den zahlreichen Diskussionsforen innerhalb wie außerhalb des arabischen Pavillons, über die Lage im Innern der Staaten der Region diskutiert.

Kritische weibliche Stimmen

Die kritischsten Stimmen kamen von Frauen, nicht nur von einer so prominenten Dissidentin wie der in Frankreich lebenden algerischen Schriftstellerin Assia Djebar.

Die Libanesin Fahima Charaffeddine forderte auf einem Podium, die Beziehungen von Politik und Religion in den arabisch-islamischen Ländern grundsätzlich in Frage zu stellen und eine religiöse Reform einzuleiten, wie sie schon einmal im 19. Jahrhundert auf der Tagesordnung stand, doch unvollendet blieb: "Seither sind wir zwar 150 Jahre weiter, haben uns aber nicht weiterentwickelt."

Unterstützt wurde sie von ihrem Landsmann, dem Soziologen Ahmad Beydoun, der es als notwendig ansah, die Frage der Menschenrechte und der Demokratie kulturell tiefer als in formalen Verfassungssystemen zu verankern: Im Zentrum müsse die Frage nach dem Individuum und seiner "citoyenneté" stehen, in Abgrenzung und im Widerstreit zu allen Bindungen an Stamm, Clan und Gruppe.

Der Hengst und die Bücher

So wehte in diesen Tagen der zarte Morgenduft der Aufklärung durch die Messehallen. Ohnehin kehrte die arabische Welt in Frankfurt ihre säkularsten Seiten hervor. Der Pavillon präsentierte sich als eine große, in Stille und gedämpftem Licht liegende Buchhandlung mit soliden Holzregalen, auf denen die Bücher dicht aneinander gereiht auslagen, nach Ordnungsprinzipien, die für den der Sprache Unkundigen nicht leicht nachvollziehbar waren.

Neben einer in Saudi Arabien erschienenen Übersetzung von Bob Woodwards Buch über George Bush und seinen Krieg stand ein Werk über "Shakespeare in seiner und unserer Zeit", gefolgt von einer in Beirut verlegten Übersetzung der kulturgeschichtlichen Schwarte "Das Zeitalter Napoleons" von Will Durant. So streng wie bei dieser Länderschau stand das Buch als Subjekt der Frankfurter Messe schon lange nicht mehr im Mittelpunkt.

Während die Folklore auf Darbietungen in den Zelten beschränkt blieb, war ein grelles Nebeneinander von Tradition und Hypermoderne vielen Ständen einzelner arabischer Länder in der Halle 6.1. anzusehen: Am Stand des Sultanats Oman wurde das in Gold gerahmte Staatsporträt der Herrschers von Flachbildschirmen flankiert. In romantischem Orientalismus schwelgten hingegen deutsche Verleger wie W. Georg Olms, der Seiner Heiligkeit, dem in vollem Ornat auf der Messe erschienenen Scheikh Dr. Sultan Bin Mohammed Al Quassimi, Emir von Sharjah, zum Dank für dessen Mäzenatentum bei der Edition der verdienstvollen Reihe "Documenta Arabica" einen auf verlagseigenem Gestüt gezüchteten Araberhengst übergab.

Da lächelte der Sultan und bedankte sich artig. Pferde für Bücher: Wenn das keine Anregung zur ökonomischen Gesundung der Verlagsbranche ist.

Der Emir von Sharjah ist auch Stifter eines kiloschweren, großformatigen Buchgeschenks über "Die arabische Welt im Spiegel der Kulturgeographie", das sich die Besucher am Ausgang des arabischen Pavillons kostenlos mitnehmen dürfen. Während auf der höher gelegenen Ebene des Forums die Schrift- und Buchkultur dominiert, fiel die eigentliche Schauseite eine Etage tiefer in diesem Jahr an Film & TV.

Neuester Schrei: das "Sehbuch"

Im Messe-Kino der 20th Century Fox werden Previews kommender Literaturverfilmungen gezeigt. Um die Ecke stehen in einer Gemeinschaftsausstellung mehrerer deutscher Verlage schon ganze Reihen von "Bücher(n) zum Verfilmen" bereit. Als neuester Schrei der Branche wurde das "Sehbuch" als Kombi-Produkt von DVD und Buch präsentiert.

Die DVD-Anbieter erhoffen sich nicht nur eine Marktexpansion, sondern über das Andocken an die Buchpreisbindung auch eine Verlangsamung des rapiden Preisverfalls ihrer Produkte. Ob diese Rechnung aufgeht?

Es wäre die Messesensation gewesen, hätte Assia Djebar den Literaturnobelpreis erhalten. Das Preiskomitee hatte sich in Frankfurt bereits nach ihr erkundigt. Eine Viertelstunde vor der Bekanntgabe zog sie, begleitet von einem Tross von Kameraleuten, in Halle 4.1. ein. Um 13 Uhr waren am Stand des Zürcher Union Verlags alle Kameras auf sie gerichtet. Da kam die Nachricht, und die Enttäuschung. Doch Djebar lächelte souverän, obschon ein wenig traurig.

Erstmals in diesem Jahr schließt die Messe bereits am (diesmal verkaufsoffenen) Sonntag. Alle Messegespräche werden im nächsten Jahr an derselben Stelle fortgesetzt, an der sie abbrachen. Es sei denn, man setzt ein, zwei Jahre aus. Im dritten Jahr merkt es dann auch keiner.

© SZ vom 9.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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