700 Folgen "Tatort":Langsam ist es egal

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Simone Thomalla und Martin Wuttke sind als neue Leipziger "Tatort"-Kommissare nicht mehr eindeutig ostdeutsch. Wozu auch?

Else Buschheuer

17 Jahre schluppte griesgrämig Peter Sodann als Tatort-Kommissar Bruno Ehrlicher durch die Botanik, kauzig-übelgelaunt, sächselnd, auf patente Weise ewiggestrig - wenn man auf so was steht. Er war unverkennbar ein Ossi und versuchte auch gar nicht erst, was anderes zu sein. Warum auch?

Sie ist auch ein bisschen seine Mutti: Die neuen Tatort-Kommissare Saalfeld (Simone Thomalla) und Keppler (Martin Wuttke) für Leipzig. (Foto: Foto: ap)

Nun kommt die nächste Ermittler-Generation: urban, stylish, weltoffen. Glattgebügelt, werden die Kritiker sagen, die Ecken und Kanten sind weg, werden die Kritiker sagen. Stimmt das? Trifft das auf Simone Thomalla, 43, und Martin Wuttke, 46, zu, auf das neue Tatort-Team des MDR?

Eva Saalfeld heißt die frisch beförderte Kommissarin, und sie wird eingeführt als jemand, der sich in der Leipziger Kripo bereits seinen Platz erkämpft hat.

Schwungvoll, leutselig, kollegial

Ihr erster Auftritt ist schwungvoll, leutselig, kollegial. Ihre warme Stimme, ihr offener Blick aus braunen Augen nimmt für sie ein. Sie schüttelt ihren uniformierten Kollegen die Hände, durchmisst tatbereit das Präsidium.

Nicht stöckelnd wie Hannelore Elsner als Kommissarin, sondern gut abrollend, auf flachen Schuhen, die man zwar nicht als Waffen nutzen, mit denen man aber gut Verfolgungsjagden aufnehmen kann.

Am Leipziger Hauptbahnhof fährt währenddessen ein ICE ein, aus Berlin, nehm ich mal an, und spuckt ein Männchen mit einem Rollenkoffer aus. Das Männchen hat schütteres dunkles Haar und ein baschkirisches Prinzengesicht. Es ist Hauptkommissar Keppler, in Nadelstreifen, aber casual, krawattenlos. Umschnitt auf Saalfelds Hosenbeine im Präsidium. Auch sie trägt Nadelstreifen. Zufall?

Man gönnt ihr den Aufstieg

Jemand wirft Saalfeld einen Glückwunsch zu. Zur Beförderung. Auf dem neuen Schreibtisch eine Karte mit "Toi Toi Toi". Umseitig: "Deine Kollegen vom K11". Sie ist beliebt. Man gönnt ihr den Aufstieg.

Währenddessen entspinnt sich natürlich ein Fall, ein Mord mit seinen Folgen, sonst wär's ja kein Tatort. Von Kinderschändern ist die Rede, von Hexenjagd, von Todesstrafe, aber hier geht es um die Chemie und Dynamik des neuen Ermittlerduos.

Wir sehen, wie Eva Saalfeld ihrem neuen Kollegen den Schreibtisch einrichtet, während sie auf seine Ankunft wartet. Und daran, wie sie den Schreibtisch einrichtet, merken wir: Sie kennt ihn. Sie kennt ihn gut. Und er scheint eine kleine Meise zu haben. Drei Schreibblöcke zieht sie aus der Tasche ihrer braunen Lederjacke, legt sie exakt nebeneinander und einen - ebenfalls mitgebrachten - Füllfederhalter parallel darüber.

Schon sitzt er in der Straßenbahn

Keppler läuft jetzt durch den Leipziger Hauptbahnhof. Schrobschrobschrob mit dem Rollenkoffer die Treppe runter. Da klingelt sein Handy, und er hat den ersten Fall an der Backe. "Wo ist das?", fragt er knapp und, pling, schon sitzt er in der Straßenbahn.

Kein Streifenwagen holt ihn ab, den neuen Herrn Kommissar, wohlgemerkt, kein Taxi nimmt er sich auf Kosten der Steuerzahler, nein, er fährt Bus und Bahn. Guter Mann! Mit seinem ollen Rollenkoffer zwischen den Beinen. Er nimmt Witterung auf mit der neuen Stadt.

Die Art, wie Keppler die Welt anschaut, wird gut von der Kamera gezeigt. Er erlebt sie ausschnitthaft, selektiv, wie ein Autist. Er tritt manchmal regelrecht weg und träumt, er sieht Dinge, die sonst niemand sieht und behält sie für sich.

Die zugewandte Art ist nicht die seine

Am Tatort angekommen, erkennt er von weitem Eva Saalfeld, die ihre Kollegen schon wieder herzt und mit Aufmerksamkeiten überschüttet. Die freundliche, zugewandte Art seiner neuen Partnerin, die, wie wir nun durch einen Nebendialog erfahren, auch seine frühere Ehefrau ist, ist nicht seine.

Er ist ein Außenseiter. Was die anderen von ihm denken, ist ihm wurscht. Aber seine Augen leuchten, als er Eva sieht. Er lächelt sogar. Obwohl Lächeln in seinen Gesichtsschnitt mimisch gar nicht eingebaut zu sein scheint. Vielleicht war sie, damals, als sie ein Paar waren, sein Tor zur Welt?

Eva Saalfeld hat Keppler nun auch gesehen, beobachtet, wie er sie beobachtet, holt tief Luft und kommt ihm entgegen.

Hallo, Keppler. Ein Händedruck. Verlegenheit beidseits. Tach, Eva. Genug gesehn? Nie genug gesehen.

Seine Macken

Sie ziehen sich aufs sichere Terrain zurück, aufs Dienstliche. Saalfeld informiert Keppler vom Fall. Man merkt, sie respektiert ihn, ihn und seine Macken. Sie nimmt ihn ernst. Sie lässt ihm Raum. "Ich hab die Spurensicherung draußen gelassen. Deinetwegen."

Sie ist auch ein bisschen Kepplers Mutti. Drückt ihm den Dienstausweis in die Hand, ermahnt ihn, ihn nicht zu verschusseln. Sie waren drei Jahre verheiratet, und es ist zehn Jahre her. Aber die Rollen sitzen noch.

Keppler schlägt den Händedruck seines neuen Kollegen Wenzel von der Abteilung KTU (Kriminaltechnische Untersuchungen) aus, was ziemlich grob ist, selbst für einen Sozialphobiker. "Man gewöhnt sich dran", wird Eva Saalfeld später dem jeweils Verprellten zuraunen. Wie jedes prima Mädel möchte sie Harmonie, dass Kepplers Können anerkannt wird. "Keppler ist nicht hier, um freundlich zu sein, sondern um seine Arbeit zu machen."

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum Leipziger Tatort-Kommissare nicht mehr sächseln müssen.

Wenzel darf erst die Spuren am Tatort sichern, wenn Keppler sich selbst ein Bild gemacht hat, wenn Keppler grünes Licht gibt. Wenzel ist aber eingeschnappt, weil Keppler ihm nicht die Hand geben wollte und wendet sich, obwohl dies Kepplers Fall ist, immer wieder an Eva Saalfeld. Die ist ja auch viel netter.

"Seh' ich aus wie Keppler?", ranzt die ihn an.

Keine Tussi

Ganz und gar nicht. Sie ist natürlich auch viel hübscher, aber keine Tussi, eher der lässig-elegant-kumpelhafte Typ. Keppler ist der Intellektuelle, ein Schuss Dr. House, ein Schuss Columbo, ein Schuss Liebling Kreuzberg, er ist der, der mit Charisma punktet ("Schwarz gewinnt", wirft er im Vorbeigehen seinem neuen Wirt zu, der am Tresen Schach spielt, und hat natürlich recht).

In Keppler leben Sodanns Ecken und Kanten weiter - und sie erreichen ein neues, über die Provinz hinausweisendes Niveau.

Ein Solo für den Ermittler

"Ich bin dann mal weg", sagt Saalfeld, aber Keppler hört sie gar nicht. Er hockt neben der Leiche, kriegt ein Gitarrensolo und einen einminütigen schick geschnittenen Profiler-Videoclip, in dem er sinniert und Kreidekreise macht, in dem er Gegenstände hochhält und tief versinkt in das, was da passiert sein könnte. Das könnte sein kleiner Tanz werden, Kepplers Solo sozusagen, in jeder Episode.

Erst, als Keppler ausgetanzt hat, darf Wenzel von der KTU die Spuren sichern. Somnambul steht Keppler im Halbdunkel und starrt ihn an. "Stehen Sie schon lange da?", fragt Wenzel. "... nee", sagt Keppler und rührt sich nicht. "Is irgendwas? Haben wir was verkehrt gemacht?", fragt Wenzel. "...nee", sagt Keppler und rührt sich nicht.

Eva Saalfeld ist die schwierigere Rolle. Sie muss ausgleichend wirken, sie muss Kepplers Eskapaden erden. Er ist der bindungsunfähige Lonely Wolf, sie die tüchtige, bodenständige, gestandene Frau.

Zündstoff ist angelegt

Er wohnt in einer schrabbeligen Pension ("Geene Nutten uffn Zimmer und Radio bloß bis Zehne", sagt der Herbergswirt), Saalfeld hat einen Liebhaber (der sehr blauäugige Gerichtsmediziner - Zündstoff ist also auch angelegt) und Familienanbindung (in der ersten Folge lernen wir ihre Mutter und ihren Neffen kennen).

Beide können auch laut werden, beim Verhör zum Beispiel. Aber während Saalfeld, angelehnt an den Klassiker von Joschka Fischer, selbst dann höflich bleibt, wenn sie schimpft ("Ich werde mir nicht die Blöße geben, Sie ein Arschloch zu nennen..."), ist er das Männchen fürs Grobe. Brüllt beispielsweise einen Zeugen, der im Chor singt, unvermittelt an: "Mit wem verkehren Sie denn, mein lieber Herr Gesangsverein?"

Die Konstellation - geschiedenes Paar ermittelt zusammen - ist gut. Es sind noch Gefühle da, und immer hofft der Zuschauer insgeheim auf Sex mit dem Ex. Das sollte aber, um die Spannung zu halten, bitte nie, niemals passieren, nicht mal im Vollsuff!

Man nimmt Saalfeld und Keppler die schiefgegangene Liebesgeschichte ab, auch die ironische Vertrautheit, die manchmal aus gescheiterten Ehen wächst.

Verbindend

Simone Thomalla, die Fernseh-Schauspielerin, und Martin Wuttke, der Theatermann, haben eine Gemeinsamkeit. Wuttke ist in Gelsenkirchen geboren, Thomalla lebt dort seit 2000 als, wie Zeitungen es gern verniedlichen, "Rudi Assauers Dauerfreundin", aber es gibt auch eine, sagen wir, globale Eigenschaft, die sie verbindet: Sie gehören zur assimilierten Generation, der man nicht mehr ansieht, anhört, anmerkt, ob sie aus der DDR oder der BRD stammt.

Thomalla, gebürtige Leipzigerin, ginge ohne weiteres als Westfrau durch, Wuttke, seit Jahren erfolgreicher Arturo Ui im Berliner Ensemble, könnte genauso gut ein Ossi sein - es ist egal. Langsam ist es egal. Und deshalb ist dieser Wechsel den Zeichen der Zeit geschuldet.

Sie sprechen beide Hochdeutsch, mit kleinem Berliner Einschlag, und es ist auch absolut nicht vonnöten, dass zwei Ermittler, nur weil sie in Leipzig arbeiten, sächseln müssen. Im Gegenteil, es wäre hübsch, wenn, ganz contra-zyklisch, stattdessen ein im Saarland ermittelnder Tatort-Kommissar sächseln würde. Einfach so. Weil längst zusammengewachsen ist, was zusammengehört.

"Und du glaubst, ihr funktioniert zusammen, jetzt so, als Team?", fragt der Gerichtsmediziner, Saalfelds sehr blauäugiger Geliebter, skeptisch. "Das wird sich zeigen", antwortet Eva Saalfeld.

Wir glauben: ja.

Else Buschheuer wurde 1965 in Eilenburg bei Leipzig geboren. Zwischen 2001 und 2005 lebte sie in New York. 2001 erschien ihr Roman Masserberg, für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) moderiert sie die Sendung Kino Royal und betreut eine Radio-Kolumne (Die Gladiatorin des Alltags/MDRFigaro). 2005 zog Buschheuer nach Leipzig.

© SZ vom 21.05.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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