"Flick Collection":Plötzlich im Kreis der Gerechten

Lesezeit: 3 min

Ein Berliner Symposion über den Sammler Flick und die Verantwortung der Museen.

Von Arno Orzessek

Als die Herrschaften längst gegangen waren, war der Eröffnungsabend der Friedrich Christian Flick Collection noch nicht zu Ende. Vorbei an einer wahnhaft großen Zahl polizeilicher Mannschaftswagen zogen die Gäste der Late-Night-Preview in den Hamburger Bahnhof ein - und viele schleunigst wieder hinaus. Denn in fahler Kehraus-Stimmung mutiert moderne Kunst und zumal ein so naiv-prometheisches Ding-Kuddelmuddel wie Jason Rhoades' dominanter "Schöpfungsmythos" leicht zum frustrierenden Krempel. Die Mitternachts-Show suggerierte, dass der Glanz der Gesellschaft die Kunst erleuchtet und nicht umgekehrt.

Leichtfuß-Rhetorik

Wenn das auch nur die halbe Wahrheit ist, wird man nicht bezweifeln können, dass Friedrich Christian Flick mit seiner Collection Gesellschaftspolitik macht und familiäre Image-Profite abräumt. Er hat es selbst oft genug gesagt ("hellere Seite"), wenn auch stets in typischer Leichtfuß-Rhetorik. Nun haben reiche, narzisstische und ewigkeitsgierige Sammler Deutschlands Museen seit jeher groß gemacht.

Nur bleibt im Fall Flick die Frage: Soll da einer mit Hilfe der Kunstwerke und der Staatlichen Museen zu Berlin Zukunftspolitik betreiben dürfen, ohne dass im geheiligten Bezirk der Ausstellung selbst die Hintergrundmotive, die nun einmal in den Abgrund der deutschen Geschichte führen, kenntlich gemacht werden?

Genuiner Akt der Aufklärung

Auf dem Symposion "Die Macht der Sammler und die Verantwortung der Museen", veranstaltet von ebenjenen Staatlichen Museen, überwog die Ansicht, dass die Feuilleton-Debatte und das historisch-kritische Begleitprogramm bereits ein positiver Effekt der Ausstellung seien - und diese damit ein genuiner Akt der Aufklärung. Es sei die Entscheidung der Moderne gewesen, so Kunsthistoriker Horst Bredekamp, "dass Kunst sich versammeln darf", jede Sammlung also "freigestellt" sei von der etwaigen Unappetitlichkeit ihres Zustandekommens, es sei denn, die Kunstwerke selbst stünden auf Seiten von Gewalt und Verbrechen.

Gerade ihre "Autonomsetzung" erzeuge die politische Wirkung der Kunst, glaubt Bredekamp. Und was die Last der Geschichte angehe, sei der grandiose Louvre als Napoleons Beute-Museum "bis unter die Decke mit Blut gefüllt".

Da gab es viel Klatschen und wenig Buhrufe. Friedrich Christian Flick, der abwesend anwesende Kunsttäter, wurde nicht nur aus der Schusslinie gerückt, sondern in den Kreis der Gerechten eingemeindet. Zeit-Herausgeber Michael Naumann versuchte, sich in Mick Flicks "Seele zu versetzen" und fragte sich, warum die Berliner Politiker den Sammler nicht gleich fürsorglich gewarnt hätten: "Du wirst jetzt ein Leben lang mit der Debatte zu tun haben."

Auf das Geld gut verzichten

Für Naumann geht es beim Flick-Komplex nicht darum, erneut das "Dritte Reich" und dessen ersten Rüstungsschmied zu durchleuchten, sondern den Sündenfall der jungen Bundesrepublik. Ihn interessiert, warum Friedrich Flick, nachdem er - was übertrieben ist - "ruiniert" aus der Feste Landsberg kam, innerhalb kürzester Zeit erneut ein fabelhaftes Vermögen erwerben konnte.

Tatsächlich wäre das eine produktive Perspektive und würde auch Kultursenator Thomas Flierl gefallen, der die "Verantwortung der deutschen Industrie" bei Gelegenheit zum Gegenstand von "Reflexion und Nachdenken" machen möchte.

Es kam zum Zwischenfall. Eine kurzgeschorene, junge Frau griff sich Bredekamps Podiums-Mikrofon und beklagte wild entrüstet, dass die Herrenrunde den Sammler Flick "vom Täter zum Opfer" befördern würde. Sie scheiterte auf ganzer Linie. Michael Naumann verfiel in edelproletarisches Kampf-Duzen ("Was willst du eigentlich?") und das Publikum trieb die argumentativ restlos Überforderte mit tosendem Beifall für den einschreitenden Diskussionsleiter Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zur Tür hinaus. Als Stachel im Fleisch blieb Schriftsteller Rafael Seligmann zurück.

Er unterstellte Bundeskanzler Schröder, mit der Eröffnungsrede der Ausstellung den "Koscher-Stempel" aufgedrückt zu haben und forderte in jedem seiner sechs Wortbeiträge vom Kunstsammler Flick "Menschlichkeit und Mitgefühl", also prompte Einzahlung in den weitgehend ausgezahlten Zwangsarbeiter-Fonds - dann möge der Widerborstige seine Kunst in Ruhe herzeigen.

Allein, Seligmann war miserabel vorbereitet. Er verwechselte Mick und Muck Flick, hatte auch keine Ahnung, was die Ex-Zwangsarbeiter selbst denken und schmetterte selbstgerecht: "Ich trete für Humanität ein." Eine Psychoanalytikerin aus dem Publikum wandte das Möllemann-Argument auf Seligmann an und warf ihm vor, antisemitischen Ressentiments Vorschub zu leisten. Auch sie wurde gründlich abgebürstet. Triumphierend jedoch durfte Naumann die deutsche moralische Verklemmung belächeln.

Wenn Flicks Schwester Dagmar Ottmann von Mick Fonds-Zahlungen fordere, bestätige das in erster Linie die Rede von der "Familien-Bande". Und wenn Flick nur auf Druck der Gesellschaft zahlen wolle, könne man "auf das Geld gut verzichten". Ob Naumann das wohl mit den greisen Zwangsarbeitern abgesprochen hat?

Conclusio: Die "freigestellten" Kunstwerke Flicks haben die kritische Debatte ausgelöst und die Debatte fegt nun moralische Restzweifel an der Ausstellung hinweg. Man kann den Sammler für seine erinnerungspolitischen Tricks offenbar nur bewundern.

© SZ vom 24.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: