Flagge zeigen: ja!:Schwarz-Rot-Gold hat nichts mit Chauvinismus zu tun

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Fußball verlangt Anteilnahme. Anteilnahme drückt sich aus. Man zeigt, wem man die Daumen drückt, und wählt dazu die typischen Embleme. Nur Griesgrame verwechseln diese freigesetzte Begeisterung dann mit Gesinnung.

Bernd Graff

Leben wir in Zeiten der Globalisierung? Ja, wir leben in Zeiten der Globalisierung. Globalisierung auf den Fußball bezogen heißt: Nationalspieler verdienen oft im Saison-Alltag ihr Geld eben nicht in den Nationen, deren Pass sie haben und für die sie in der WM auflaufen dürfen.

Sind das alles verirrte Nationalisten, Chauvinisten, Ewiggestrige, die politisches Sentiment und Ressentiment in die schönste Nebensache der Welt bringen? (Foto: Foto: dpa)

Und Globalisierung heißt auch, dass dieser Saison-Alltag der Vereinsmannschaften eben von Spielern aus aller Herren Länder bestritten wird. Stadt-Mannschaften, die sich etwa zu Bundesligabeginn vor über vierzig Jahren aus dem "Schreiner von um die Ecke" und dem "Industriegehilfen aus der Seitenstraße" und dem "Möbelpacker aus dem Stadtteil Wunnebüttel" zusammensetzten, laufen heute mit Spielern aus Brasilien, Frankreich, Ghana und den USA auf. Ach ja, manchmal ist noch ein Spieler aus der namensgebenden Stadt zugegen.

Das alles ist völlig in Ordnung.

Es besagt nur eines: Nationalmannschaften in Zeiten der Globalisierung sind auch nur eine zusammengewürfelte Truppe, die nach zwei Kriterien zusammengesetzt sind: Spielstärke und einer als marginal zu bewertenden Staatsangehörigkeit. Nationalmannschaften sind demnach als "Mannschaften der Nation" eine Illusion.

Und jeder Fan, der bei Verstand und Trost ist, weiß das. Fußball taugt eben nicht zum Ausleben von nationalistischen Gefühlen - und falls, das will keiner bestreiten, dennoch einige Dumpfbacken das gute Abschneiden einer einzelnen Mannschaft mit der Superiorität eines Staates über alle anderen gleichsetzen, dann haben diese Dumpfbacken den Fußball nicht verstanden. Fußball ist Sport, ein faszinierender Sport, aber kein Mittel gegen Minderwertigkeitsgefühle ganz anderen Ursprungs - schon deshalb, weil Chauvinisten sich dann fragen müssen, warum ihre mutmaßlichen Nationalhelden ihren Nationen im Zeitraum zwischen zwei WMs nur allzu oft und gern den Rücken kehren, um im Ausland besser Fußball zu spielen. Aber diese Frage zu stellen, sind Chauvinisten eben meist zu dumpfbackig.

Und doch sieht man während dieser WM überall National-Fahnen in Händen der Fans. Man sieht in Landeskolorit geschminkte Gesichter und absurde Hutkonstruktionen, die irgendwie auf Länderfarbe getrimmt sind. Autos fahren wimpelgeschmückt durch die Straßen und manche Landestochter trägt wenig mehr als die Fahne, in die sie sich gehüllt hat.

Sind das alles verirrte Nationalisten, Chauvinisten, Ewiggestrige, die politisches Sentiment und Ressentiment in die schönste Nebensache der Welt bringen?

Dorthin, wo es ganz sicher nicht hingehört? Nein, das sind sie nicht. Es sind Fans, die mitfiebern und ihrem Team die Daumen drücken. Und diesem Fieber, dieser im Wortsinn: Anteilnahme zumeist ausgelassen und fröhlich Ausdruck verleihen. Und, ja doch, sie wollen auch zeigen, wem sie die Daumen drücken. Vielleicht wählen sie die übergestreiften Mannschaftstrikots ja auch einfach nur, weil sie so klasse aussehen.

Am Tag, als die Bayern gerade Deutscher Meister 2006 geworden waren und sich in einem Korso auf den Münchner Marienplatz zu bewegten, war die Leopoldstraße gesäumt von Menschen in Bayern-Trikots. Das war vor wenigen Wochen. Nun sieht man auf eben dieser Leopoldstraße dieselben Menschen deutsche Fahnen schwenken, wenn Deutschland spielt und womöglich auch noch gewinnt.

Und - haste nicht gesehen - wenige Stunden zuvor waren dort Mexikaner in Landesfarben unterwegs und anschließend Italiener und Franzosen und Brasilianer. Und das Beste: Am Tag der WM-Eröffnung waren alle diese Teambekenner gleichzeitig auf dem Marienplatz.

Welch ein Fest der Farben!

Ein ausgelassenes Fest, in dem alle von einem einzigen Gedanken beseelt wurden: Endlich ist Fußball-WM, endlich geht es los. Chauvinisten wären aufeinander geprallt - hier wurde gemeinsam gefeiert. Auch wenn, das soll gar nicht herunter gespielt werden, es immer Dumpfbacken gibt, die eine solche Feier für die probate Gelegenheit halten, ihren lallend-politverkorksten Murks aus den Bierstuben nach draußen zu tragen.

Allen also, die beim Anblick nationaler Farben den Brodem altvaterländischer Gesinnung und irre geleiteten Patriotismus zu verspüren meinen, sei der rheinische Karneval in Erinnerung gerufen: Da ist es längst selbstverständlich, dass bunteste Uniformen zuhauf aufeinander treffen. Ja, das waren einmal militaristische Anspielungen an Besatzungsmächte zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Was aber bleibt davon heute? Wie wird es wahrgenommen? Es ist Spaß an der Freud. Hauptsache bunt. Hauptsache enthusiastisch. Nur Griesgrame verwechseln freigesetzte Begeisterung mit Gesinnung.

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