Filmprojekt in Berlin:"Auf die Toilette gehe ich alleine!"

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20 Berliner werden einen Tag lang mit der Kamera begleitet. Einer davon ist Klaus Wowereit - der Wert auf einen Rest Privatsphäre legt.

Stephanie Sartor, Berlin

Thomas Kufus steht am Fenster eines zinnfarbenen Backsteinhauses und blickt nach Osten. Es ist 6.22 Uhr am Morgen. Eine blutrote Sonne geht über der Lehrter Straße in Berlin auf. Kein Regen. Kufus ist erleichtert. Denn was er die nächsten 24 Stunden überhaupt nicht gebrauchen kann, ist schlechtes Wetter. Immerhin ist sein Team von Freitagmorgen um 6 Uhr bis Samstagmorgen zur selben Zeit in den Straßen von Berlin unterwegs. Kufus, Geschäftsführer der Filmproduktion Zero One, ist Produzent des Mammut-Projektes "24h Berlin". 80 Filmteams sind einen Tag und eine Nacht in Berlin unterwegs, um ein authentisches Porträt der Millionenmetropole zu zeichnen. Dabei werden 20 ausgewählte Protagonisten, die den roten Faden der Geschichte bilden, im Alltag begleitet. Genau ein Jahr später wird das Ergebnis als 24-Stunden-Programm im Fernsehen zu sehen sein.

Für Berlin tut er alles: Klaus Wowereit ist einer der Protagonisten im Filmprojekt "24h Berlin". (Foto: Foto: ddp)

Auch Klaus Wowereit ist schon wach. Noch ist es für ihn ein ganz normaler Morgen: Frühstück, Nassrasur, Zähneputzen. Doch kaum aus dem Haus, wird er auch schon verkabelt. Wowereit ist einer der Protagonisten des Projekts. Ein Tag Wowereit hautnah - vom morgendlichen Treffen mit der Kanzlerin bis zum Gartentreff der SPD am Abend. Das gab es bisher noch nie, auch wenn es laut Wowereit schon einige Journalisten versucht haben. Das Projekt mir seiner Stadt als Hauptdarstellerin findet er natürlich klasse. Nur eine Bedingung hat der Berliner OB: "Privat bleibt privat - auf die Toilette gehe ich alleine!"

In der Kommandozentrale in der Lehrter Straße herrscht hektisches Treiben. Von hier aus werden die Teams gesteuert. Mitarbeiter von Zero One, rbb und Arte, die das Projekt gemeinsam stemmen, schwirren durcheinander, an allen Rechner wird getippt, ein Kellner bringt im Minutentakt Kaffee - stark und schwarz. An einer Pinnwand hängt ein Stadtplan, gespickt mit weißen Fähnchen. Knapp 400 Filmemacher sind im Einsatz -Techniker am PC, die am Ende mit 1000 Stunden Material zu kämpfen haben werden, Regisseure und Betreuer der 12 Talkpoints, die über die ganze Stadt verteilt sind.

Ein Abenteuer mit unsicherem Ausgang

Denn auch das ist "24h Berlin": Menschen, die aus dem Bauch heraus vor der Kamera erzählen. Außerdem kann jeder Berliner mit seiner eigenen Kamera Filme drehen und dann im Internet hochladen. Genau das macht den Reiz aus. Volker Heise, der das Konzept entwickelt hat, sagt: "So ist das Projekt von Anfang an auf ganz unterschiedliche filmische Vorgehensweisen angelegt, um am Ende eine Vielzahl von Blickwinkeln zu bekommen." Diese Widersprüche seien es, die das Projekt ausmachen. Sie seien zugleich inhaltliches wie formales Konzept. Was bei dem Mix aus professionellen Kamerateams und Amateur-Handy-Filmern herauskommen wird, weiß Volker Heise noch nicht. "Ein Projekt also, das wie jedes richtige Abenteuer seinen Ausgang nicht kennt", sagt der Grimme-Preis-Träger.

Ein Teil dieses Abenteuers ist Philipp. Mit seiner roten Rikscha wirkt er fremd in den Häuserschluchten rund um den Potsdamer Platz. Und das ist er eigentlich auch. Philipp kommt aus Frankreich, lebt erst seit kurzem in Berlin. Am Talkpoint erzählt er seine Geschichte, von seiner Heimat, seinem Studium und wie er auch heute noch die Unterschiede zwischen Ost und West spürt. Dazwischen klingelt mehrmals das Handy. Philipp muss wieder arbeiten. Neun Stunden lang fährt er heute Berlintouristen durch die Stadt. "Ich finde es total spannend, meine Geschichte im Fernsehen erzählen zu können. Dabei bin ich doch ein ganz normaler Typ", sagt Philipp noch, bevor er wieder in die Pedale tritt.

Das Leben eines Bürgermeisters

Mittlerweile ist Klaus Wowereit samt Kamerateam zur Pressekonferenz im Cinestar-Kino am Potsdamer Platz erschienen. Fit sieht er aus, nur um das Team macht er sich Sorgen: "Ich hoffe, dass sie das heute durchhalten. Das Leben eines Bürgermeisters, der ja angeblich nur auf Partys geht, ist ziemlich anstrengend." Das ist aber nicht sein einziges Problem: "Ich hoffe, ich vergesse nicht, dass ich verkabelt bin und einfach drauf los plappere. Manche Dinge sollte die Öffentlichkeit dann doch nicht hören", sagt er und verschwindet zum nächsten Termin.

Conni Robe steht hinter ihrer Kamera am Talkpoint am Alexanderplatz. Ihre Schicht dauert noch bis 22 Uhr. Jetzt ist es früher Nachmittag. Vor ihr sitzt Axel, einer der 20 Protagonisten, die Hose hochgekrempelt, den Fahrradhelm neben sich auf der Bank. Seine Fahrradhandschuhe lässt er an. Den ganzen Tag sei er schon unterwegs. Shopping. Der Rentner hat alles abgeklappert - den Ku`Damm rauf und runter ist er mit seinem Mountainbike geradelt. Gekauft hat er aber nichts. Erst will er im Internet Preise vergleichen. Axel kommt aus Stuttgart, studiert hat er in Leipzig. Nach Berlin hat es ihn dann der Liebe wegen verschlagen. Seine Augen leuchten, wenn er davon erzählt. Das tun sie auch, wenn er von seiner Liebe zu Berlin spricht, von den Theatern und Museen, vom kosmopolitischen Mix und seinem Lieblingsbezirk Tegel. Was er an der Stadt nicht möge, wird er gefragt. Seine Miene verfinstert sich: "Die Berliner Schnauze ist oft böse, aggressiv und beleidigend", sagt er. "Das Wort ´Bitte´ spricht kaum mehr einer aus. Dann schwingt er sich auf sein Rad und verschwindet im Getümmel.

Mit dem DJ durch die Partymetropole

Es ist Nacht geworden. Thomas Kufus ist noch immer in der Kommandozentrale. Natürlich werde er bis 6 Uhr durchhalten. "Ich kann mich doch nicht hinlegen und schnarchen, während das ganze Team arbeitet", sagt Kufus. An Schlaf ist auch im Berliner Club Tresor nicht zu denken. Paul van Dyk, internationaler Top-DJ und zugleich Pate und Protagonist von "24h Berlin" legt in den alten Fabrikgemäuern auf. Bis 6 Uhr am Morgen wird DJ Dyk im Tresor auflegen - die Kameras werden dabei sein. Harter Techno-Sound, graue Stahlträger, die in pinkes Laserlicht getaucht werden, bebender Boden - natürlich ist die Stadt auch eine Partymetropole. Ein Steinchen, das bei der Komplettierung des Stadtmosaiks nicht fehlen darf.

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