Filmkunst:So sehen Sieger aus

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Das Künstlerduo Gilbert & George stellt bei "Kino der Kunst" zwei seiner Filme vor und plaudert über sein provokantes Lebenswerk

Von Susanne Hermanski

Religion is almost dead, thank God." Ein Satz wie aus Stein gemeißelt - "die Religion ist fast tot, Gott sei Dank". Nichts anderes kann man erwarten von Gilbert & George, dem britischen Künstlerduo, das sich selbst seit einem halben Jahrhundert als lebende Skulptur inszeniert. Von diesen beiden Männern, die ihr eigenes Dasein und Anderssein als Gesamtkunstwerk in Szene setzen und mit ihren Performances stets gegen Engstirnigkeit, die Diskriminierung von Minderheiten und Homophobie angekämpft haben. Auch mit ihrer zentralen Performance "The Singing Sculpture", die sie erstmals als Studenten 1969 aufführten. Sie drehen sich dabei, in Bronzefarben angemalt, auf einem Tisch stundenlang im Kreis und singen zum verträumten Weltkriegsschlager "Underneath The Arches".

Der Filmemacher Philip Haas hat eine spätere Aufführung 1991 in New York mitgefilmt. Dieser Film und "The World of Gilbert & George" sind nun im Münchner Filmmuseum neu digital bearbeitet gezeigt worden. Für diesen Abend kamen die beiden Briten eigens aus London an die Isar. Zustande gekommen ist er dank einer Kooperation des Filmmuseums mit dem Festival "Kino der Kunst", die auf diese Weise wieder einmal ein "Zwischenspiel" unterm Jahr setzen konnte, und das Filmmuseum wiederum bei der aktuellen Reihe "Künstlerkino" unterstützt, in deren Rahmen bis Mitte Februar weitere Filme von Künstlern wie dem Street-Art-Meister Banksy und dem surrealistischen Exzentriker Salvador Dalí laufen werden.

Meister der Selbstinszenierung: Gilbert & George tragen bei ihrem München- Besuch im Bayerischen Hof wie immer Tweedanzüge nach eigenen Entwürfen. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Wort "exzentrisch" fällt allerdings nicht in der Aufzählung, mit der sich Gilbert und George in ihrem filmischen Selbstporträt "The World according to Gilbert & George" beschreiben. Dafür haben sie jede Menge anderer Attribute für sich parat, die sie im Wechsel-Sing-Sang herunterbeten: "Wir sind ungesund, depressiv, zynisch, leer, ausgebrannt, schäbig, verrottet, verträumt, schlecht erzogen, verroht, arrogant, intellektuell, selbstmitleidig, ehrlich, erfolgreich, hart arbeitend, tiefsinnig, erfolgsgeil, religiös, faschistisch, blutrünstig, provozierend, destruktiv, farbenfroh, verdammt, stur, pervertiert und gut. Wir sind Künstler."

Wenn Gilbert Prousch, geboren 1943 in Südtirol und George Passmore, geboren 1942 in Plymouth, einem vor dem Filmabend zum Gespräch im Bayerischen Hof gegenüber sitzen, ist von einem Großteil dieser Adjektive freilich nichts zu spüren. Nie würden sie vor einer Dame Platz nehmen, ihre Maßanzüge entblößen nichts, und ihre Antworten geben sie durchaus dem Gegenüber herzlich zugewandt. "We are both country boys", sagt George in feinstem Englisch - sie seien beide Burschen vom Lande - auf die Frage, wie sie mit den für Londoner ungewohnten Schneemassen hierzulande zurecht kommen. Besonders Gilbert ist Schnee aus seiner Kindheit im Übermaß gewohnt. Er ist in einem Alpental der Dolomiten aufgewachsen, unter ärmsten Verhältnissen und in einer Familie, die Ladinisch sprach. Bis heute hört man seinen klugen Ausführungen einen leichten Akzent an. Wie für George, seinen Kreativgefährten und Ehemann, der ebenfalls unterprivilegiert aufgewachsen ist, war es für Gilbert, den schwulen Jungen aus dem erzkonservativen Tal existenziell, den Weg in die Großstadt und als Künstler zu beschreiten.

Bittet man die beiden Männer um eine Zwischenbilanz, wie sich die Welt seither verändert hat in ihren Augen, antworten sie im typischen Wechsel. Gilbert: "Die Welt ist fantastisch." George: "Sie ist erfolgreicher denn je. Die Freiheit ist jetzt unbegrenzt." Gilbert: "Wir sind alle reich, zumindest in der westlichen Welt." George: "Wir sind wie verzogene Kinder. Wir können bis ans Ende der Welt fliegen und Milliarden von Bildern sehen, jederzeit." Gilbert: "Nur denken die Leute, sie seien unglücklich." Und wenn man dann nachfragt, was nach ihrer Ansicht verzogenen Blagen so blühe, dann sagen sie: "Die brauchen Bestrafung."

Sie beide aber haben den Spieß längst umgedreht, sie haben der Gesellschaft den Stachel gesetzt und fühlen sich durchaus als Sieger in diesem Spiel, das immer noch läuft. Hatten sie früher Probleme, als schwule Männer zu leben, werden sie heute dafür kritisiert, dass sie zu viele Jungs und Männer und so gar keine Frauen in ihrer Kunst abbilden. Das tut ein wenig verquast sowohl der "Kino der Kunst"-Chef Heinz Peter Schwerfel in seiner Moderation am Abend als auch eine Zuschauerin, die den beiden Künstlern bei der abschließenden Fragerunde trotzdem ihre Bewunderung ausdrückt. Sehen sie sich selbst als, na ja, plastisches Beispiel für ein gelebtes Europäertum, so sind sie trotzdem flammende Brexit-Anhänger, weil "wir den Unterschied lieben, nicht die Gleichmacherei, für die Brüssels Bürokratie steht", sagen sie. Ihre liberalen Fans treiben sie damit ebenso auf die Palme wie früher die Konservativen, denen sie sich einerseits in Tweed-Uniform assimilierten, andererseits mit nacktem Hintern förmlich ins Gesicht sprangen. Gleiches gilt für ihre Äußerungen zum Islam, die ihnen schon vor den großen Flüchtlingsbewegungen der vergangenen Jahre eintrug, "Faschisten" zu sein. Doch wie effektiv schlägt man ein mit dieser Allzweckkeule von Vorwurf, wenn sich die derart beschimpften selbst sarkastisch so titulierten?

Gilbert & George kann jedenfalls nichts erschrecken, schließlich sind sie selbst Virtuosen der Provokation. Die digitale Welt haben sie sich schon seit 20 Jahren einverleibt, die meisten Kunstwerke entstanden seither am Computer. "Und für die langweiligen Seiten des Digitalen, wie das Beantworten von E-Mails haben wir einen chinesischen Assistenten. Der ist schon seit einer Ausstellung in China 1983 bei uns und sieht immer noch aus, als wäre er elf Jahre alt", sagen sie. Wer etwas von ihren neueren Arbeiten sehen will, kann dies in einer Ausstellung im Neuen Museum in Nürnberg tun. Dort ist gerade ihr Werk "Fuckosophy for All" aus dem Jahr 2016 zu sehen. Es zeigt - wie fast alles, was sie tun und sind - die beiden selbst. Karikaturesk überzeichnet mit riesigen Köpfen. Der Stacheldraht am untern Bildrand prangert die grassierende Abschottungsmentalität Europas an. Denn was hilft die Kunst, wenn man sie nicht teilen will.

© SZ vom 12.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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