Filmkunst:Heiter weiter

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Die Beiträge der internationalen Wettbewerbe "Cinemasters" und "Cinevision" verhandeln harte Themen, geben sich dabei aber humorvoll.

Von Josef Grübl

Natürlich geht es selbst in den härtesten Autorenfilmer-Kreisen nicht ausschließlich nach Geistesgröße, nein, auch in der Filmkunst gibt es Moden. Waren vor einigen Jahren noch harte Sozialdramen der letzte Schrei, kommen viele Filme heute deutlich humorvoller daher, sowohl im nationalen als auch im internationalen Kino. Daneben gibt es seit einiger Zeit eine neue Begeisterung für Genrefilme: Predigten die Epigonen der "Dogma 95"-Bewegung noch lange ihre selbst auferlegten filmischen Keuschheitsregeln, gehen Filmemacher heute eher nach dem "Anything goes"-Prinzip vor. Es ist schon erstaunlich: Während sich die politische Weltlage zusehends verfinstert, werden die Filme immer heiterer. Haben ihre Macher vor den schlechten Nachrichten kapituliert und amüsieren sich sprichwörtlich zu Tode? Oder hat ihnen einfach irgendwer gesagt, dass Humor Türen (und Herzen) öffnet und man damit selbst die härtesten Themen anpacken kann?

Wenn man sich die Filme der internationalen Wettbewerbe auf dem Filmfest ansieht, kann man von Letzterem ausgehen. Es werden nach wie vor harte Themen verhandelt, es geht um Ausbeutung, Fluchtbewegungen oder sexuellen Missbrauch. Die Umsetzung ist aber freier, man könnte fast sogar sagen verspielter. So wie in der portugiesisch-französisch-brasilianischen Produktion Diamantino, die man beim besten Willen in keine Genreschublade stecken kann: Im Zentrum des Films stehen Fußballsuperstar Ronaldo (oder eine Art Doppelgänger von ihm), seine Auftritte in der Öffentlichkeit und seine Sexualität. Gleichzeitig geht es um die politische Lage in Portugal, um rechte Umtriebe und die Flüchtlingskrise. Diamantino ist ein Zwitter aus Fußballfilm, Science-Fiction-Story, Politthriller, surrealem Drama und Satire. Das mögen manche Zuschauer als Trash abtun, man kann sich aber auch darauf einlassen und sich seinen Reim auf unsere verrückte Welt machen.

Das asiatische Kino ist stark, mit Filmen von Jia Zhang-ke oder Hirokazu Kore-eda

Am verrücktesten ist die Welt ja derzeit wohl in China, wo Turbokapitalismus auf Kommunismus trifft und so ziemlich alles im Zeitraffer passiert. Das weiß auch Jia Zhang-ke, der in Asche ist reines Weiß eine irre, an die frühen Filme von John Woo erinnernde Gangstergeschichte erzählt, die hart ist und romantisch, voller Sehnsucht und gleichzeitig das epische Porträt einer sich rasant verändernden Gesellschaft. Wie schon in seinen früheren Filmen geht es dem Regisseur ( Still Life, A Touch of Sin) auch um die physischen Veränderungen in China, wo ganze Landstriche einfach weggeflutet werden.

Sein japanischer Regiekollege Hirokazu Kore-eda erzählt ebenfalls vom Wandel, allerdings innerhalb von Familien. Wobei er in Shoplifters den Familienbegriff erst einmal infrage stellt: Bei ihm leben sechs Menschen unter einem Dach, die Zeiten sind hart und der Wohnraum knapp, es gibt eine Großmutter, die nicht mit ihren Kindern verwandt ist und sogenannte Enkel, die klauen gehen. Wahlverwandtschaft ersetzt hier Blutsverwandtschaft, dafür gab es die Goldene Palme in Cannes.

Auch in Cannes prämiert, jedoch mit dem Hauptpreis der Reihe "Un certain regard", wurde das dänisch-schwedische Fantasydrama Border: Erzählt wird die Geschichte einer hässlichen Frau, die beim Zoll arbeitet und dank ihrer feinen Nase jeden Schmuggler erschnüffelt. Als sie einem noch hässlicheren Mann gegenübersteht, nimmt eine skurrile Liebesgeschichte ihren Lauf. Auch Border will sich nicht festlegen lassen und bedient sich verschiedenster Genremuster. In der norwegischen Westernkomödie Lake over Fire reiten die Cowboys auf Mopeds durchs Land und jagen Schweine in die Luft, im taiwanesischen Film The Great Buddha+, einer Mischung aus absurder Komödie, Drama und Found-Footage-Thriller, schauen sich zwei Männer die Aufnahmen einer Überwachungskamera an und entdecken dabei Absonderliches. Die Entstehung dieses Films ist auch sonderbar: Regisseur Hsin-Yao Huang erweiterte einen bestehenden Kurzfilm von ihm um zusätzliche Aufnahmen, das Ergebnis gewann auf asiatischen Filmfestivals gleich mehrere Preise.

Unbedingt noch zu erwähnen sei der koreanische Thriller Burning, der im Wettbewerbsprogramm von Cannes lief und von vielen als Favorit für die Goldene Palme gehandelt wurde: Regisseur Chang-dong Lee adaptierte eine Kurzgeschichte von Haruki Murakami, eine Frau steht zwischen zwei Männern, der eine träumt von der Schriftstellerei, der andere brennt irgendwann Gewächshäuser nieder. Der Funke ist da aber schon längst über gesprungen.

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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