Filmfest:Sehnsuchtsbilder

Lesezeit: 2 min

Auch das queere Kino ist auf dem Filmfest München vertreten: Das Spektrum reicht vom jugendlichen Coming-out bis zur interkulturellen Dreiecksgeschichte

Von Klaus Kalchschmid

Erzählungen vom Coming-out eines 15-, 16- oder 17-Jährigen sind im queeren Kino nicht selten und doch immer wieder sehenswert und spannend, wenn sie originell gedacht und gemacht sind und von überzeugenden jungen Hauptdarstellern gespielt werden. So in Jakob M. Erwas Verfilmung des gleichnamigen Romans "Die Mitte der Welt" von Andreas Steinhöfel: Da ist der schüchterne Phil (Louis Hofmann), den der neue, brutal hübsche Klassenkamerad Nicholas (Jannik Schümann) schlicht umhaut; und als der ihn dann auch noch küsst und nach dem Sport unter die Dusche zieht, schwebt Phil auf Wolke 7. Doch der überwältigende und wunderbar natürlich gefilmte Sex mit dem ersten Mann muss nicht unbedingt die große Liebe bedeuten; vor allem, wenn da auch noch die beste Freundin fordernd mitmischt. Am Ende hat jemand erschütternden Traumata aus der eigenen Kindheit mit der Zwillingsschwester ins Auge geschaut und ist mehr als ein Stück reifer geworden.

Auch in "Slash" des US-Amerikaners Clay Lifor erreichen am Ende die durchaus parodistisch gemeinten homoerotischen Science-Fiktion-Fantasien und seine entsprechenden Texte im Netz die nackte Realität von Neil (Michael Johnston), der seinen 16. Geburtstag herbeisehnt. Doch bis dahin gilt es, den peinigend verständnisvollen Eltern auszuweichen und damit fertig zu werden, dass die erste nicht virtuelle Begegnung mit einem Mann an der ominösen Minderjährigkeit scheitert. Entsprechend schillernde Kostüme verstecken und offenbaren geheime Sehnsüchte, die man vor allem der besten Freundin anvertraut.

"Closet Monster" des Kanadiers Stephan Dunn erzählt Kindheit und Heranwachsen von Oscar (Connor Jessup), zu dem sein Hamster - mit der charmant-verführerischen Stimme von Isabella Rossellini - so lange spricht, bis ihn in seinem schönen Baumhaus der Junge küsst, in den er sich verliebt hat, seit der sein gebrauchtes T-Shirt ausgeliehen hat. Mit dem Verlust der Kindheit geht auch der Hamster in einem kleinen Boot auf große Fahrt. Erneut ist der Protagonist ein Scheidungskind, konkurriert die beste Freundin mit dem ersten Liebhaber, der wieder nicht der letzte bleiben wird.

"Te prometo anarquía" des Mexikaners Julio Hernández Cordón nimmt die Liebe zwischen zwei jungen Skatern, Miguel und Johnny, die sie auch als Freunde zusammenschweißt, als selbstverständlich, weshalb das auch in ihrer Jungs-Gang kein Thema ist. Der eigentliche Film erzählt hauptsächlich und doch leider nur nebenbei von etwas, was man Blutspende- oder auch Organspende-Mafia nennen könnte - und versagt darin gänzlich.

Auch "Ralé" aus Brasilien, gedreht im Amazonas und wie vom frühen Werner Schroeter inspiriert, ist mehr Trash und wildes Musical als ernstzunehmender Film; darin aber sehr lustig und schräg - bis hin zur ausgelassen zelebrierten Hochzeit eines älteren Mannes mit einem Jüngeren in Kriegsbemalung! Regisseurin Helena Ignez hat sichtlich Spaß an allem, was ihr die Darsteller anbieten und spielt auch im eigenen Film lustvoll mit.

"Caracas" - zu Recht ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen in Venedig - nimmt uns mit auf eine faszinierend bitter-schmerzliche Reise zu einem Stricher, dessen 50-jähriger Freier keinen Körperkontakt duldet, was schließlich in Brutalität und Aggression mündet, aber auch zunehmend in eine immer stärkere Bindung. Mit tödlichem Ende. Ebenfalls in der Reihe "International Independents" läuft "West North West": eine in langen Einstellungen und meist in dunklen Räumen gedrehte subtile Dreiecksgeschichte zwischen zwei Japanerinnen und einer Iranerin in Tokyo. Keinerlei nackte Haut, geschweige denn Sex zeigt Takuro Nakamura. Dafür ist eine einsame Begegnung in einem Schwimmbecken, sind Tanz oder Essen und Trinken in einer Bar oder ein ersehnter und schließlich doch verweigerter Kuss mit Erotik aufgeladen. Denn der Regisseur erzählt anhand der kulturellen Unterschiede mit ungemein viel Einfühlungsvermögen von zärtlich zugewandten Begegnungen.

Filmfest München, bis 2. Juli, alle Programminfos unter www.filmfest-muenchen.de

1 / 3
(Foto: Filmfest München)

"West North West" thematisiert eine subtile Dreiecksgeschichte zwischen zwei Japanerinnen und einer Iranerin.

2 / 3
(Foto: Filmfest München)

"Die Mitte der Welt" ist auf dem Filmfest in München zu sehen.

3 / 3
(Foto: Filmfest München)

Begehren zwischen Fantasie und Realität zeigt der Film "Closet Monster".

© SZ vom 24.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: