Filmfest im Wandel:Baden in Bildern

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Das 36. Filmfest München wird heiß: Das Publikum darf sich auf Sommer, Sonne und Stars freuen. Doch hinter den Kulissen stehen Umbrüche an.

Von Josef Grübl

Wozu braucht es Filmfestivals überhaupt noch? Diese Frage könnte von allen möglichen Menschen kommen, von Fernsehverkäufern zum Beispiel, den Netflix-Bossen oder regulären Kinogängern, die während der Festivalzeit in ihren Stammkinos keine Dinosaurier oder Sternenkrieger sehen können. Sie alle haben aber gar nicht nachgefragt, zumindest nicht öffentlich. Das erledigte Diana Iljine schon selbst: Die Chefin des Filmfests München stellte bei der Programmpressekonferenz Anfang Juni ihre eigenes Tun infrage. Es war allerdings eine rhetorische Frage, denn selbstredend hatte sie eine passende Antwort parat. Gerade in der heutigen Zeit seien Filmfestivals wichtiger denn je, so Iljine. Es sei gut, wenn Menschen zusammenkommen, die sich sonst niemals treffen würden, und miteinander reden, vielleicht sogar hitzig debattieren - jedenfalls besser, als wenn sie sich online beschimpfen oder sonst irgendwie voneinander abgrenzen.

Dann sagte die Filmfestchefin noch einen Satz, der nach so vielen gemeinschaftsstiftenden Worten beinahe unterging: "Festivals werden auch gebraucht, wenn es das Kino etwas schwerer hat." Damit drückte sie sich sogar noch vorsichtig aus: Das Kino steckt in der Krise, künstlerisch wie kommerziell. Während Hollywood nur noch das Selbe vom Selben herstellt und es Sequel, Prequel, Spin-off oder Was-auch-immer nennt, wird weltweit zwar mehr produziert (der günstigeren digitalen Technik sei Dank), allerdings oft am Publikum vorbei. So kamen im vergangenen Jahr laut Filmförderungsanstalt (FFA) 233 deutsche Spiel- und Dokumentarfilme in die Kinos, von denen aber nur 42 die ohnehin schon niedrig angesetzte Schwelle von 100 000 Besuchern überschreiten konnten. Der Begriff Nischenprogramm gilt längst für die große Masse an Produktionen. Die Deutschen, seit jeher als Kinomuffel verschrien, haben die Bequemlichkeit von Streaming-Diensten wie Amazon oder Netflix entdeckt. Dort schauen sie Serien, in denen Schauspieler zu sehen sind, die vor ein paar Jahren noch in Kinofilmen mitgespielt haben.

Wozu braucht es also noch Kinos, wenn sich der Zuschauer ohnehin sein eigenes Programm zusammenstellt? Gefühlt ist alles nur noch einen Klick entfernt, die Sehgewohnheiten haben sich geändert, die Aufmerksamkeitsspannen auch. Wenn die Institution Kino bestehen möchte, muss sich etwas ändern. Derzeit werden viele Diskussionen geführt, mal geht es um Flatrate-Modelle in Multiplexen, die ohnehin vom Popcorn- oder Cola-Verkauf leben, dann wieder um doppeldeutige, auf die Jugend zielende Kino-Werbesprüche ("Darkroom der großen Gefühle"). Kino solle wieder ein Ereignis werden, da sind sich alle einig, das sieht man auch an den vielen Event-Programmierungen, Opernübertragungen oder Kinotouren mit Schauspielstars. Und hier kommen auch wieder die Filmfestivals ins Spiel, wo ja jede einzelne Vorstellung ein Ereignis zu werden verspricht. Deshalb gibt es auch immer mehr davon: Wurden vor fünf Jahren deutschlandweit etwa 350 Filmfestivals gezählt, sind es heute bereits mehr als 400.

"Filmfestivals werden auch gebraucht, wenn es das Kino etwas schwerer hat." Diana Iljine, Filmfestchefin

Das Filmfest München gibt es seit 1983, es ist nach der Berlinale das zweitgrößte Festival im Land. Im vergangenen Jahr kamen in zehn Tagen 81 500 Besucher - und das bei strahlendem Sommerwetter. Sind im regulären Kinobetrieb die Temperaturen hochsommerlich (wie zuletzt schon den ganzen Frühling über), wirkt sich das dagegen massiv auf die Zahlen aus: Weniger Zuschauer als am vorletzten Aprilwochenende 2018 gab es zuletzt im Jahr 2006 - und das war während der Fußball-WM. Zum Filmfest kommen die Zuschauer aber, trotz der parallel stattfindenden Weltmeisterschaft in Russland. Und trotz eines anspruchsvollen Programms, das argentinische Regisseurinnen mit einer Retrospektive feiert (den Namen Lucrecia Martel dürften nur wenige Zuschauer vorher gekannt haben) oder Filmemacher aus Brasilien, Belgien oder Bangladesch. Die meisten Filme kommen regulär nie ins Kino, man wird sie auch kaum beim Streaming-Dienst seines Vertrauens finden. Dafür braucht es das Fachwissen eines Filmfests. Die Kuratoren sind gut vernetzt, sie holen Nachwuchstalente und etablierte Stars des Weltkinos nach München, diese kommen gern, nicht nur des sommerlichen Wetters und der entspannten Stimmung wegen. Deshalb kann man sie hier auch so hautnah erleben wie sonst auf kaum einen anderen Filmfestival.

Wozu man Festivals braucht? Diese Frage beantwortet sich spätestens hier. Es gibt aber noch jemanden, der das Filmfest braucht, auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht anders herum aussieht: Der neue bayerische Ministerpräsident Markus Söder möchte mit der Bundesregierung nicht mehr nur über Flüchtlingsfragen streiten, sondern zeigt sich auch in Kulturfragen angriffslustig. Bei einer Pressekonferenz im Gasteig sagte er vor einigen Tagen: "Wir werden uns nicht mit Platz zwei zufrieden geben." Der Wettbewerb mit der Berlinale solle "kompetitiver werden", dafür kündigte er eine großzügige Aufstockung des Festival-Budgets um jährlich drei Millionen Euro an. Dafür soll das Filmfest bereits 2019 zu einem "internationalen Medienfestival" ausgebaut werden. "Das wird am Geld nicht scheitern", sagte Söder.

In Zukunft sollen also neben Filmen und Serien (die das Filmfest ohnehin seit Jahren schon im Programm hat) auch Games, Animation und Virtual Reality eine Rolle spielen. Bayerische Firmen, die in diesem Bereich tätig sind, gibt es bereits, jetzt müssen sie nur noch sinnvoll miteinander in Verbindung gebracht werden. Das ist eine gute Sache, Begegnung und Diskurs sind ja stets zu begrüßen, nicht nur in Zeiten wie diesen. Doch wird das treue Filmfest-Publikum sein Festival in den nächsten Jahren überhaupt noch erkennen? "Film bleibt der Nukleus", betonte Diana Iljine beim Termin mit Söder. Das Filmfest macht sich fit für die Zukunft - und nur die Pessimisten und Verweigerer sagen vielleicht noch: "Braucht's das?"

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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