Film: "Transamerica":Die Reise des verlorenen Sohnes

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"Desperate Housewife" Felicity Huffman spielt anrührend und lakonisch die Fast-Frau Bree in der Transsexuellenkomödie "Transamerica" - und ist dabei weit entfernt von schriller Travestie-Theatralik.

Rainer Gansera

Warum Shakespeare seine Stücke gern mit Hosenrollen garnierte, ist bekannt. Zu seiner Zeit durften nur männliche Darsteller auf die Bühne des elisabethanischen Theaters, eine sittenstrenge Einschränkung, die von den Theaterleuten lustvoll umfunktioniert wurde zur übersteigerten Travestie - sie ließen die von Männern verkörperten Frauen Hosen anziehen, um wiederum als Männer aufzutreten.

Vater und Sohn: Felicity Huffman als Bree und Kevin Zegers als Toby. Bree spart auf eine Geschlechtsumwandlung, Toby will Pornostar werden (Foto: Foto: DDP)

Felicity Huffman - inspiriert von klassischer Transgender-Lust

Zum Beispiel im "Kaufmann von Venedig", wenn die Ladys als Rechtsanwälte vor Gericht das Heft des Geschehens in die Hand nehmen und gegen alle Männersturheiten den Stimmen der Herzen Geltung verschaffen. Das Spiel im Spiel aktiviert die Vorstellungskraft des Zuschauers, das Geschlechterverwirrspiel bringt den Mechanismus der Identifikation ins Stottern.

Von solch klassischer Transgender-Lust scheint auch Felicity Huffman in dem Film "Transamerica" inspiriert, und sie bringt dabei lakonische Komik und anrührenden Ernst in eine wunderbare Balance. Sie spielt einen Mann, der unbedingt eine Frau werden will, einen Transsexuellen namens Stanley, der sich Bree nennt, eine Fast-Frau, die auf die definitive geschlechtsumwandelnde Operation wartet. Felicity Huffman, die man aus der TV-Serie "Desperate Housewives" als zwischen Panik, Ambition und Tablettensucht schwankende Suburbia-Hausfrau kennt, macht bewegend die Dringlichkeit deutlich, mit der Stanley seinem Mann-Körper entkommen will.

Bree hat einen Sohn, er ist Stricher und Ladendieb

Seit Kindertagen fühlt er sich darin fremd und falsch. Seit Jahren bearbeitet er ihn mit Hormonpräparaten, um sich in Lady Bree zu verwandeln. Da steht sie also im hautengen Kleidchen vor dem Spiegel und muss den verflixten Penis rabiat zwischen die Schenkel klemmen.

Ein paar Tage, bevor Bree von ihrer Therapeutin die Erlaubnis bekommt, den erlösenden chirurgischen Eingriff machen zu lassen, erfährt sie durch einen Anruf aus New York, dass sie Vater eines siebzehnjährigen Jungen ist. Er heißt Toby und ist das Produkt einer "tragisch lesbischen High-School-Nacht". Toby (Kevin Zegers), der seinen Vater nie kennen gelernt hat, treibt sich als Stricher und Ladendieb im Großstadtdschungel herum und ist verhaftet worden.

Die Therapeutin besteht darauf, dass Bree nach New York fährt und vor der Operation mit ihrer Vergangenheit ins Reine kommt. Bree gibt sich also als kirchliche Sozialarbeiterin aus, holt Toby aus der Zelle, besteigt mit ihm einen klapprigen Gebrauchtwagen und düst ab, Richtung L. A., wo Toby den Vater vermutet und als Pornodarsteller reüssieren will. Ein verrücktes Road Movie setzt sich damit in Gang, das, dem Genre gemäß, zur Selbstfindungsreise wird und dabei sein kurioses ödipales Szenario genüsslich durchspielt.

Der attraktive, coole Toby zeigt sich widerspenstig und herausfordernd. Bree verschweigt erst mal ihre Identität und spielt sich als Gouvernante auf: Sie versucht, von zaghaften väter-/mütterlichen Impulsen getrieben, dem Jungen Benehmen beizubringen: Wie man mit Messer und Gabel isst, kein Fastfood mehr, sondern vegetarische Kost, wie man sich einer gewählten Ausdrucksweise bedient...

In Rosa und Lila

Faszinierend, wie Felicity Huffman diesen Gouvernantenton entfaltet und durchhält - sie hätte dafür einen Oscar verdient, konnte sich aber gegen Reese Witherspoon nicht durchsetzen. Und das explosive Potenzial des Themas Transsexualität ging natürlich noch weit über die Brisanz der schwulen Cowboys in "Brokeback Mountain" und des Homo-Genies Capote hinaus. Huffmans Bree ist eine zimperliche, pingelige, altjüngferliche Frau, die genau darauf achtet, dass der Farbton des Lidschattens zum Rosa und Lila ihres Kostüms passt, und dass das Schminktäschchen wie ein Tabernakel der Weiblichkeit am Handgelenk baumelt. Raffiniert modelt sie ihre Stimme ins Monotone, lässt sie wie eine mühevoll verstellte Männerstimme klingen. Ihrem Gang verleiht sie das Püppchenartige, auf das Geishas hingedrillt werden.

Ganz im Gegensatz zur schrillen Travestie-Theatralik, wie sie Pedro Almodãvar seinen Transsexuellen in "Alles über meine Mutter" verleiht, will diese Bree so brav und proper erscheinen wie eine Hausfrau der fünfziger Jahre. Als würde diese Unscheinbarkeit, diese biedere Frauen-Normalität sie bewahren vor den schmerzhaften Erfahrungen des Angefeindet- und Ausgegrenztwerdens.

Das Schreckbild des unnachsichtigen Matriarchats

In der Antike oder in Stammeskulturen wurden Transsexuelle als geheimnisumwitterte Gestalten, die der Geisterwelt nahe sind, verehrt - im provinziellen Amerika, das Bree und Toby durchqueren, gelten sie als Monster. Und ganz besonders in den Augen von Stanleys eigenen wohlsituierten Middleclass-Eltern, bei denen er mit Toby Station macht. Die Mutter fasst ihm zur Begrüßung erst mal ungeniert und demütigend zwischen die Beine, und will Toby als Ersatz für den "verlorenen Sohn" adoptieren.

Diesem Schreckbild des unnachsichtigen Matriarchats konfrontiert sich ein transsexuelles Mutterbild, das Elemente beider Geschlechter zusammenbringt und die streng fixierten Parts versöhnt. Eine wunderbare Episode führt zum Indianer Calvin Two Gates (Graham Greene): eine in sich ruhende Vaterfigur mit Gitarre und Cowboyhut. Er macht Bree Avancen und deutet dabei an, dass er um ihr Geheimnis weiß. Woraufhin Bree innehält - erschrocken, geschmeichelt, gerührt - und tatsächlich errötet. Fast eine Liebesgeschichte, ein Moment utopischen Glücks.

TRANSAMERICA, USA 2005 - Regie, Buch: Duncan Tucker. Kamera: Tom Camarada. Schnitt: Pam Wise. Musik: David Mansfield. Mit: Felicity Huffman, Kevin Zegers, Fionnula Flanagan, Elizabeth Pena, Graham Greene, Burt Young, Calpernia Addams. Falcom, 103 Min.

© Süddeutsche Zeitung vom 15.03.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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