Film "The Fog of War":Eine Reise ins Innere des Krieges

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Man kann immer nur ein kleines Stückchen Welt begreifen - der ehemalige US-Verteidgungsminister Robert S. McNamara und elf Lektionen des Lebens in Krisenzeiten.

Von Susan Vahabzadeh

Man muss seinen Gegner einschätzen können, das gehört zu den Dingen, die Robert S. McNamara im Leben hat lernen müssen. In Errol Morris Film' "The Fog of War: Eleven Lessons from the Life of Robert S. McNamara" sagt er das, als er die Kubakrise, aus seiner Sicht eine Erfolgsstory, vergleicht mit dem Vietnamkrieg: Damals haben wir uns hineinversetzen können in die anderen, wir wussten, was sie wollten.

Robert S. McNamara im Film "Fog of War"- (Foto: Foto: ddp)

Aber in Vietnam machte die eine Seite Weltpolitik und die andere Seite befand sich im Bürgerkrieg. Errol Morris, der seine Filme macht wie ein poetischer Detektiv, hat selbst ein sehr gutes Gespür für sein Gegenüber - kann ihm Raum lassen und widersprechen, ohne je hämisch zu werden.

Die Mechanismen des Krieges

Das ist eine gute Grundlage, um am Beispiel eines Mannes, mit dem man wenig gemeinsam hat, die Mechanismen des Krieges zu erkunden, vom Zweiten Weltkrieg über die Kubakrise bis nach Vietnam. Morris findet im Gespräch mit McNamara, Verteidigungsminister unter Kennedy und Lyndon B. Johnson, Kleinigkeiten am Rande, auf die man so schnell nicht kommt, die einen daran erinnern, dass man immer nur ein kleines Stückchen Welt und ein kleines Stückchen Zeit erfahren und begriffen hat: Am Anfang, als McNamara erzählt von seiner Kindheit, fällt ihm ein, wie er als kleiner Junge nicht rausdurfte, weil eine Grippewelle tobte. 600.000 Tote.

Morris reitet nicht herum auf diesem Detail. Aber die Geschichte spukt einem im Kopf herum, wenn es später um die Toten von Tokio geht im Zweiten Weltkrieg - McNamara hat damals schon im Pentagon gearbeitet. Oder noch später, wenn ihn Morris fragt, wie viele Soldaten schon gefallen waren in Vietnam, als die Ära McNamara und die Amtszeit von Johnson zu Ende gingen.

Morris lässt einmal, ein fieser kleiner Kommentar, Zahlen auf Japan herabschweben wie sehr langsame Bomben, ein wundervoll absurdes Bild, das länger nachhallt als alle Fakten und Zahlen, die er zusammengetragen hat...

In Lektion Nummer neun heißt es: Um Gutes zu tun, kann es nötig sein, sich auf das Böse einzulassen. Wie war das mit den Brandbomben, will Morris wissen, als es um Tokio geht. Ich hätte mich fragen lassen müssen, antwortet McNamara, ob es moralischer ist, die Zivilisten der Gegenseite zu schonen und eigene Soldaten zu opfern. Auf diese Frage gibt es keine Antwort, und schon gar keine, die man in Zahlen ausdrücken könnte. Hat McNamara tun müssen, was er tat?

Morris, der für "The Fog of War"im Februar einen Oscar bekommen hat, gehört zu jenen Filmemachern, die lieber sehr schwierige Fragen stellen als einfache Antworten zu geben - der Film, der dabei herausgekommen ist, ist zugleich Vietnamkriegsgeschichte und ein offener Brief ans Washington der Gegenwart.

Kein abstrakter Entscheidungsträger

"The Fog of War" ist eine Reise ins Innere geworden für McNamara, der in den letzten Jahren zunehmend bereit ist, seine Rolle im Vietnamkrieg hinterfragen zu lassen, und für den Vietnamkriegsgegner Morris, der sich einem Gegenüber annähert, mit dem er sich nicht einig werden kann, das er einmal selbst als den Feind gesehen hat. Seine Haltung zu Vietnam, sagt Errol Morris, hat sich nicht geändert durch die Nähe zu McNamara, höchstens seine Haltung zu McNamara, der am Ende kein abstrakter Entscheidungsträger mehr ist, sondern ein Mensch mit Schwächen und Emotionen.

Morris hält für falsch, was er damals für falsch hielt. Man merkt "Fog of War" dennoch an, dass Morris nicht vorher wusste, wie er dieses Gespräch hinterher empfinden würde, wobei McNamara die elf Lektionen schon vorher niedergeschrieben hatte. Vor allem aber ist "Fog of War" mehr als nur eine Verfilmung von McNamaras Erinnerungen.

Eine andere Dimension

Morris schafft es, sich die elf Lektionen zu eigen zu machen, sie für sich selbst zu nutzen und ihnen damit eine andere Dimension zu geben. Michael Moores "Fahrenheit 9/11", den anderen großen politischen Dokumentarfilm dieses Jahres, hat sich Morris gar nicht angesehen - nicht, dass er etwas hätte gegen Moore. "Aber glauben Sie, dass es da etwas für mich zu entdecken gibt?" Morris gehört einer ganz anderen Schule des Dokumentarfilms an, er prägt seine Filme auf eine andere Art.

Der amerikanische Kritiker Roger Ebert hat einmal über Morris geschrieben, er sei ein Filmemacher in der Größenordnung von Hitchcock oder Fellini - und selbst, wenn man das für ein kleines bisschen übertrieben hält: Er dokumentiert nicht einfach eine Geschichte, er zieht einen in Bann mit dem, was er aus der Geschichte macht. Seine Gedanken wandern assoziativ, er verliert sich in einem Schneegestöber oder er lässt, während McNamara noch spricht, die wunderschöne, angespannt-traurige Musik von Philip Glass immer wieder Emotionen herbeizaubern, die man viel langsamer vergisst, als die Dinge, die nur im Kopf abgespeichert sind. Lektion Nummer zwei lautet: Rationalität wird uns nicht retten. Auch auf diese Weisheit macht sich Morris seinen eigenen Reim.

© SZ vom 1.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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