Figurentheater:Herr Berni und die Wahrheit

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Der österreichische Puppenspieler Nikolaus Habjan bekommt Morddrohungen, seit er darauf hingewiesen hat, wofür Norbert Hofers Kornblume im Knopfloch stehen könnte

Von Christiane Lutz

Nach der letzten Wahl in Österreich hat es Nikolaus Habjan nicht mehr ausgehalten. Auf seiner Facebook-Seite teilte er ein Bild des siegreichen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer (FPÖ), auf dem der eine Kornblume im Knopfloch trägt. Für Habjan und viele andere steht fest: Damit ist das Erkennungszeichen der Nazis gemeint, welches zu der Zeit benutzt wurde, als die NSDAP und ihre Symbole in Österreich verboten waren. "Liebe Hofer-Wähler/-innen! Ihr habt einen bekennenden Nationalsozialisten gewählt. Ihr Trotteln!" schreibt der Künstler recht eindeutig dazu. In der Kommentarspalte hagelt es Beleidigungen, sogar Morddrohungen habe er erhalten, sagt Habjan. Für den österreichischen Puppenspieler und Kunstpfeifer aber besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass er laut werden muss. Dass er sich nicht brechen lassen will.

So wenig, wie sich Friedrich Zawrel hat brechen lassen. Die Person, der Habjan ein ganzes Theaterstück gewidmet hat: "F. Zawrel - erbbiologisch und sozial minderwertig." Zawrel war Opfer des Kinder-Euthanasie-Programms in der Klinik "Am Spiegelgrund" bei Wien. Er wehrte sich, ein Arzt stellte das Todesurteil aus, eine Krankenschwester rettete ihm das Leben. Zawrel war 15 Jahre alt. Nach dem Krieg geriet er auf die schiefe Bahn. War nach wie vor vorbestraft, weil er sich den Ärzten widersetzt hatte. Zawrel fand keinen richtigen Job, wurde kleinkriminell - und stand schließlich vor Gericht wieder dem Arzt gegenüber, der ihn einst in den Tod schicken wollte: Heinrich Gross.

Vielleicht ist die Unfassbarkeit der Grausamkeit nur in der leichten Distanz auszuhalten, die das Puppenspiel ermöglicht. (Foto: Valentin Habjan)

"Man muss sich das vorstellen", sagt Habjan, "der Arzt, ein Kaliber eines Mengele, der 800 Kinderleben auf dem Gewissen hat, der arbeitet nach dem Krieg einfach weiter, wird sogar mit Preisen ausgezeichnet." Friedrich Zawrel war erst gar nicht entzückt, als er erfuhr, dass Habjan seine Geschichte dramatisieren wollte. "Er glaubte, dass Kasperltheater und seine Biografie nicht recht zusammen passten", sagt Habjan über das erste Gespräch. Doch er willigte ein. 30 Stunden Tonbandaufnahmen und jede Menge Kürzungen später war das Stück fertig, im Frühjahr 2012. Seitdem spielt Habjan es immer und immer wieder. Bis zum Tod von Zawrel Anfang 2015 telefonierte Nikolaus Habjan vor jeder Vorstellung mit ihm. "Ich habe ihm versprochen, das Stück zu spielen, so lange es geht." Obwohl er erst 28 ist, hat er das Gefühl, mit dieser Arbeit eine der intensivsten seiner Karriere geschaffen zu haben.

Die Arbeit mit den großen, traurig schauenden Puppen macht es für Habjan leichter, auf der Bühne brutal zu sein - verbal oder körperlich. Immer ist eine Distanz da. So ist es seinem Herrn Berni, ein von ihm erschaffener, pöbelnder Rechter, auch gestattet, Zuschauer zu beleidigen, was Habjan selbst sich niemals trauen würde, auch nicht als Kabarettist. Der Zuschauer schaut auf die Puppe, nicht auf den Puppenspieler.

Der Nationalsozialismus, die Rechten, das Vergessen: Das sind die Themen, die Nikolaus Habjan bewegen. "Manche sagen mir: Was willst du mit dem alten Zeug? Es sei 2016, irgendwann müssten wir doch die Vergangenheit mal hinter uns lassen. Das ist Quatsch. Zum einen hat meiner Meinung nach nie eine richtige Aufarbeitung des Nationalsozialismus stattgefunden. Zum anderen ist das Thema so aktuell. Man muss ja heute nicht mal mehr die Zauberformel vor einen rassistischen Kommentar stellen, dieses: Ich bin ja echt kein Nazi, aber. . ."

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Habjan sieht sich als Künstler im Auftrag, die Geschichte aufzuarbeiten. "Friedrich Zawrel war zwar immer genervt, wenn jemand von Erbschuld geredet hat", sagt er. "Ich trage keine Schuld, das weiß ich, aber ich trage Verantwortung."

F. Zawrel - erbbiologisch und sozial minderwertig , Dienstag, 3. Mai, 19.30 Uhr, Auditorium des NS-Dokuzentum, Brienner Str. 34

© SZ vom 03.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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