Festival:Musik für Gott, Musik für die  Menschen

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Die Tage Alter Musik in Regensburg waren wieder komplett ausverkauft. Und auch in diesem Jahr gelang wieder ein Coup: ein dreizehnsstündiger Monteverdi-Marathon.

Von Reinhard J. Brembeck

Kurz nach Mitternacht sind die letzten Töne des "Magnificat" in der kargen und halligen Dominikanerkirche verklungen. Das Publikum zeigt sich erschöpft, überglücklich, unendlich dankbar. Die Tage Alter Musik in Regensburg sind ein notorisch neugieriges Festival, das jetzt zum einunddreißigsten Mal stattfand; alle fünfzehn Konzerte über Pfingsten waren ausverkauft. Und diesmal ist auch wieder ein Coup gelungen: Das Festival hat mit Claudio Monteverdis "Marienvesper" eines der bekanntesten Stücke geistlicher Musik in einem dreizehnstündigen Hörmarathon völlig neu durchdacht und ihm zudem jene spirituelle und kathartische Dimension zurückgegeben, die im bürgerlichen Konzertalltag längst verloren gegangen ist.

Die Marienvesper wurde auf drei Konzerte verteilt. Monteverdis Musik - das zeigte sich im Kontrast zum restlichen Programm - spricht nicht so sehr zu den Menschen, sondern zu Gott. Und die zuhörenden Menschen staunen diese Sphärenharmonie wie eine Himmelserscheinung an. Im Jahr 1610 publizierte Monteverdi zu Ehren der Muttergottes seine erste große Sammlung von Kirchenmusikstücken, bestehend aus einer Mess- und einer Vespervertonung, sowie einigen geistlichen Konzerten. Vom Gesangssolo bis zur Zehnstimmigkeit mit oder ohne Instrumente findet sich hier jede denkbare Besetzung.

Monteverdis Einfallsreichtum, dem nur noch Johann Sebastian Bach Paroli bieten konnte, verblüfft selbst abgebrühte Kenner immer wieder aufs Neue. Es waren Aufführungen dieser Musik, in denen die Bewegung der "historischen Aufführungspraxis" einst heranreifte; keiner kommt an diesem Werk vorbei. Allerdings wird bei Aufführungen wie auf CD-Aufnahmen die altmodisch klingende Messe oft fortgelassen, während die geistlichen Konzerte nach den Vesperpsalmen eingefügt werden.

Aber es geht auch anders, wie der Musikforscher und Musiker Joshua Rifkin jetzt in Regensburg beglückend bewies. Rifkin, geboren 1944 in New York, ist vielleicht der größte Radikale unter den Dirigenten. Berühmt wurde er in den Achtzigerjahren, als er die These in die Welt setzte, dass die großen Vokalwerke Johann Sebastian Bachs nur von Sängersolisten aufgeführt wurden, die auch die Chorpassagen sangen. Bis heute wird Rifkin deswegen angefeindet, aber immer mehr Dirigenten schwenken auf diese Praxis ein. Wenig verwunderlich also, dass Joshua Rifkin jetzt auch - gegen eine weitverbreitete Praxis - Claudio Monteverdis Marien-Musiken nur mit einer exquisiten Solistentruppe aufführt. Denn wo ein Chor immer Weichzeichnung und Entindividualisierung meint, kann ein Solistentrupp sehr viel detailgenauer und lebendiger musizieren.

Vor allem aber zeigt sich in dieser Gesamtaufführung des Drucks von 1610, dass das Genie Monteverdi hier eine musikgeschichtliche Gesamtschau liefert. In der Messe erweist er seinen Vorgängern Reverenz, immer wieder verweist die Musik auf Josquin Desprez, den größten aller Renaissancekomponisten. Aber Monteverdi ist nicht altmodisch. Er tut nur so - und verbirgt unter dem Deckmantel des alten Stils die von ihm betriebene Avantgarde der absoluten Texthörigkeit. Deshalb fügt sich die Messe wundervoll stimmig zu den Vesperpsalmen, die die traditionelle venezianische Mehrstimmigkeit zur Vollendung führen - aber auch zu den geistlichen Konzerten, die in ihrer aufregenden Zerfaserung fester Formen eindeutig Musik der Zukunft sind, jedenfalls im Jahr 1610.

Joshua Rifkin ist aber nicht bloß ein rigoroser Forscher, sondern auch ein lebendiger Ensembleleiter, dem seine wissenschaftlichen Erkenntnisse letztlich nur die Basis sind für die edelste Bestimmung geistlicher Musik: Gott mit dem denkbar größten geistigen und technischen Aufwand zu loben; und den Teilnehmern einen Zugang zu einer vom Verstand nicht zu erfassenden Herrlichkeit zu bieten. Darin waren sich die von der Sopranistin Nele Gramß angeführten Sänger und die Instrumentalisten des Concerto Palatino mit ihrem Dirigenten Rifkin und dem begeisterten Publikum völlig einig. Ein Wunder.

Im klugen Programmkonzept der Regensburger Tage Alter Musik standen dem Monteverdi-Projekt drei Konzerte gegenüber, die die Entwicklung des modernen Konzertwesens dokumentierten. Diese führten von den höfischen Geigensonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber über Arcangelo Corelli, den Erfinder und ersten Großmeister des Konzerts, bis zur Oboenmusik von Georg Friedrich Händel. Die Oboe war das Lieblingsinstrument des jungen Händel, und wer die Solistin Xenia Löffler ihn spielen gehört hat, versteht diese Leidenschaft. In der historischen Entwicklung wurde so anschaulich, was sich dann bei Händel mit Charme vollendet: Die Musik spricht nun nicht mehr direkt zu Gott, sondern erstmals allgemein verständlich zu allen Menschen.

© SZ vom 28.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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