Fernsehfilme:Zappen unmöglich

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In einer eigenen Reihe flimmern 16 Spielfilme über die Kinoleinwand, die später im TV ausgestrahlt werden. Das Filmfest München hat das früh erkannt: Schon 1994 hat es (internationale) Fernsehfilme ins Programm geholt.

Von Runa Behr

Zwei Klicks auf der Fernbedienung reichen, um große Kinoproduktionen im Wohnzimmer über den Bildschirm flackern zu lassen. Kinofilme werden im TV recycelt, durch die Streamingdienste mehr denn je. Wozu dann also umgekehrt für eine Fernsehproduktion ins Lichtspielhaus stiefeln? Ein stiefmütterliches Dasein fristet der deutsche Fernsehfilm - als konstruiert und bieder belächelt ihn die Mehrzahl der 80 Millionen Filmkritiker, die zuhause in ihren Fernsehsesseln thront. Das Filmfest München steuert mit der Reihe "Neues Deutsches Fernsehen" bewusst dagegen, zeigt Filme, die später im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt werden - und die sich dennoch oder gerade deswegen auf der Großleinwand zu sehen lohnen.

Der Psychothriller Rufmord ist ein solcher. Nichtsahnend findet die Grundschullehrerin Luisa (Rosalie Thomass) ein Nacktfoto von sich auf der Schul-Homepage, die Schmutzkampagne ist da schon in vollem Gange. Die Schweizer Regisseurin Viviane Andereggen erzählt in ruhigen, beklemmenden Bildern, macht die Dorfkneipe szenenweise zur Kammerspielbühne. Ihre Luisa mischt auf, mischt mit, und ist damit bei weitem nicht die Einzige: die Schuldirektorin, die Wirtin, die Hauptkommissarin, die Jetset-Business-Ex ihres Schreiner-Freunds - alles Frauenfiguren in Berufen, die noch immer allzu gerne Männern zugeschrieben werden. Trotz tiefst-bayerischer Provinz fügt sich das organisch-unaufdringlich in das psychologisch klug angelegte Filmsetting.

Damit steht Rufmord exemplarisch für die Themenschwerpunkte der Filmreihe: Heimat wäre da zu nennen und Mann-Frau-Beziehungen, aber nicht nur im romantischen Sinne, sondern auch im hierarchischen. Und Familie, die Schnittmenge aus beidem, möchte man meinen.

In Rainer Kaufmanns Der Polizist und das Mädchen droht eine Familie zu zerbrechen, in Nana Neuls Unser Kind entsteht durch die Geburt eines Babys lesbischer Eltern eine neue. Der Kölner Tatort-Kommissar Dietmar Bär wiederum reist als verwitweter Vater nach Syrien, wo sich seine Tochter als Fluchthelferin engagiert. Er will sie nach Hause holen - unter der Regie von Stephan Lacant. Der zeigt mit dem Drama Für meine Tochter, dass der deutsche Film mehr als nur Tatort ist.

Neues von Rainer Kaufmann, Dominik Graf und Wolfgang Murnberger

Beim Tatort saß auch Alexander Adolph schon auf dem Regiestuhl, beim Filmfest München stellt er nun seine Gesellschaftssatire Der große Rudolph vor. Erfunden, ja, aber nicht weit hergeholt, wie der Modemacher Moshammer (Thomas Schmauser) die Herzen der Münchner Schickeria ebenso schnell erobert, wie seine Kreationen deren Kleiderschränke (siehe dazu Bericht auf Seite 4). Thomas Stuber präsentiert Kruso. Seinem gleichnamigen Protagonist (Abraham Schuch) wird die DDR im Sommer 1989 zu eng. Er drängt nach Freiheit und Individualität und glaubt zunächst auch, beides auf der Ostseeinsel Hiddensee gefunden zu haben.

Zusammengefunden haben auch erstmals Iris Berben, die Grande Dame des deutschen Films, und der Regisseur Dominik Graf. Zehn Grimme-Preise hat Graf schon im Regal stehen, so viele wie kein anderer. Berben spielt seine Hanne, der der Arzt am Tag ihrer Pensionierung einen Verdacht eröffnet: eine Krankheit, tödlich wohl gar. Vor der endgültigen Gewissheit liegt ein langes, leeres Wochenende voll lähmender Angst und blindem Aktionismus. Hanne lässt sich treiben, schließlich hat sie Nichts zu verlieren - wie auch eine Reisegruppe in der Tragikomödie des Österreichers Wolfgang Murnberger, der unter anderem für die Wolf-Haas-Verfilmungen mit Josef Hader verantwortlich zeichnete. Die Reisenden sind so in Trauer versunken, da ist es ihnen gleichgültig, dass zwei Einbrecher ihren Bus entführen. Der Film ist mit Georg Friedrich und Lisa Wagner markant besetzt.

Insgesamt gehen 16 Spielfilme in der Reihe "Neues Deutsches Fernsehen" ins Rennen um den Bernd-Burgemeister-Fernsehpreis, der mit 25 000 Euro dotiert ist (Verleihung am 1.7., 20 Uhr, Carl-Orff-Saal). Das ist nicht viel weniger als das Pendant der Kinokollegen und Zeichen dafür, dass sich die hier gezeigten TV-Produktionen nicht zu verstecken brauchen. Das Filmfest München hat das früh erkannt, schon 1994 hat es (internationale) Fernsehfilme ins Programm geholt - 21 Jahre vor der Berlinale (2015).

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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