Feldforschung:Viel Einfalt

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Der Wiener Kabarettist Alfred Dorfer beobachtet für die SZ die deutsche Bundestagswahl - eine fiktive Reise durch ein merkwürdiges Land ...

Alfred Dorfer

Frühstück in der kleinen Herberge in München, es gibt Kaffee, der müde macht und Brötchen. Das sind keine kleinen Brote, sondern Semmeln. Kleinere Semmeln müsse Deutschland ab jetzt backen, sagt meine Zimmerwirtin. Noch bevor mein Atemholen für eine Zwischenfrage abgeschlossen ist, weiß sie den Grund: die "Ossis". Ob sie da im speziellen Frau Merkel meine, frage ich. Sie - offenbar immunisiert gegen Ironie - klärt nun mich, den Ösi auf über die Ossis. Wir wüssten ja nicht, was das heiße, 15 Millionen Arbeitsscheue hoch zu füttern! Ihre Befreiung, einen Generalschuldigen gefunden zu haben, sättigt die Luft des Frühstückszimmers.

Wenn ungeplant die Augen zittern

Habe Angela Merkel übrigens im hiesigen Staatsfernsehen gesehen. "Staat" muss betont werden, da in diesem Schwellenland trotz aller wirtschaftlichen Probleme Privatfernsehen existiert. In Österreich heißt "Fernsehen" fast ausschließlich "staatlich". Die Mediensituation bei uns ähnelt der in Kasachstan, ist nur nicht ganz so liberal. Hier zappt man dreißig Kanäle durch und nur das Logo macht den Unterschied. Die Regel, dass Konkurrenz Vielfalt schaffe, scheint beim Fernsehen ihre Ausnahme gefunden zu haben. Hier schafft sie Einfalt.

Angela Merkel im Fernsehen also - ein Schauspiel. Merkel spricht Texte von Fremden, die ihr selbst fremd bleiben. Man kennt das von unterdurchschnittlichen Theaterabenden, wo Text und Schauspieler getrennte Wege gehen. Doch Angela ist fleißig, sie ist gebrieft, sie kann ihre Antworten auswendig, besonders die auf Fragen, die gar nicht gestellt wurden. Dumm nur, wenn - etwas ungeplant - bei "Ob sie es auch so weit gebracht hätte mit Kindern?" die Augen zittern. Dann spricht die Kinderlose über die Vereinbarkeit von Job und Kindern.

Man glaubt ihr wenig. Mehrwertsteuer rauf. Lohnzusatzkosten runter. Kirchhof ja. Türkei nein. Wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen Vollmitgliedschaft und privilegierter Partnerschaft? Letzteres klingt schön distanziert, ein emotionales Ass im Ärmel für Wahlkampfzeiten. Was gedenkt sie, die sich George W. Bush anbiederte in Sachen Irakkrieg, dem amerikanischen Bündnispartner noch zu bieten? Wir haben's nicht erfahren. Den Kündigungsschutz mit Bürokratieabbau aufzuwiegen, das schafft endlich Klarheit, da weiß man, was man hat ... Zuversicht, sagt sie, will sie den Menschen mitgeben und redet alles schlecht. Wirkt wie der ungelenke Zuspruch des Animateurs in einem bereits halbleeren Clubhotel am 2.November auf Mallorca.

Armes Deutschland, denke ich, ich habe deine Probleme aus der Entfernung wirklich unterschätzt. Gehe auf die Straße, Richtung Viktualienmarkt, es beginnt wieder zu schütten. Das ist vielleicht die letzte Chance für Gerd Schröder...

(SZ vom 24.8.2005)

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