Fatih Akins Film: "Crossing the Bridge":Ich rocke, also bin ich

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Fatih Akin macht sich in "Crossing the Bridge" auf die Suche nach dem "Sound von Istanbul".

RAINER GANSERA

Prince ist sein King. Fatih Akin, Sohn türkischer Eltern, 1973 in Hamburg geboren, erkor sich schon als 12-Jähriger den schrillen Pop-Star zu seinem Helden. Prince galt als "Luzifers Antwort auf Michael Jackson", und sein Motto "I rock therefore I am" wurde für den Filmemacher Akin verpflichtend. "Dein Film rockt!", hat 2004 Frances McDormand, Präsidentin der Berlinale-Jury, bei der Überreichung des Goldenen Bären für "Gegen die Wand" Akin ins Ohr geflüstert. Ein Lob, das ihm wichtiger war als all die Preise und Anerkennungen, die auf das Liebesmelo niederregneten.

Der Drummer der türkischen Rock-Band Duman in einer Szene des Dokumentarfilms 'Crossing the Bridge - The Sound of Istanbul' von Fatih Akin. (Foto: Foto: ddp)

"Gegen die Wand" rockte, wenn er seine verzweifelt zwischen traditionellen Familienbindungen und urbaner Anarchie pendelnden Helden begleitete, und schon wegen der 40 Songs im Soundtrack war das auch ein Musikfilm. In den Zwischenspielen stellte er Selim Seslers traditionelles Folklore-Ensemble wie einen antiken Chor vor der Bosporus-Szenerie auf und schlug so eine Brücke von der Heimat der Eltern zu den Underground-Clubs in Hamburg-Altona. Für die musikalische Produktion dieser Zwischenspiele holte Akin Alexander Hacke, Bassist der Einstürzenden Neubauten, "ein Musikintellektueller, der aus einem soundtüftelnden Kontext kommt" (Akin), nach Istanbul. Sie logierten im altehrwürdigen Grand Hotel de Londres, und dort wurde die Idee zu "Crossing the Bridge" geboren, eine Suche nach dem Sound der 20-Millionen-Metropole.

Zuerst überrascht die außerordentliche Vielfalt der musikalischen Stile: Hip-Hop und klassische Folklore, türkischer Grunge und Mainstream-Pop, Zigeuner-Tanzmusik und Elektro-Ethno-Crossover. In den 15 porträtierten Bands spiegelt sich Istanbul als brodelnder Melting Pot. Der Sound der Stadt als Mosaik verschiedenster musikalischer Universen, in denen sich auch die unterschiedlichsten Lebensstile, Generationen und Herkünfte ausdrücken. Hacke spielt den Erzähler und Sound-Forscher, sein Enthusiasmus schenkt dem Film seinen Drive. Der Regisseur konzentriert sich auf die Momente, in denen zwischen Hacke, der kein Wort Türkisch spricht, und den Musikern die Funken der Inspiration überspringen. Pop-Ikone Sezen Aksu zeigt sich entzückt vom Klang der Gitarre, mit der Hacke sie begleitet. Bei den Psychedelic-Rockern von Baba Zula fügt sich der Berliner als Bassist ein, und für eine chaotische Bande von Straßenmusikern wird er zum fürsorglichen "großen Bruder".

War "Gegen die Wand" auch eine Musikdokumentation, so ist "Crossing the Bridge" auch ein Spielfilm: durch die Einfühlsamkeit, mit der Akin die Musiker in Szene setzt. Er ist ein Schauspieler-Regisseur, einer, der die Aura seiner Darsteller sich entwickeln lässt. Für die imposante, Ehrfurcht gebietende Sezen Aksu stellt er die Kamera in gebührender Distanz auf Schienen, die Straßenmusiker begleitet er hautnah mit der Handkamera in labyrinthisch verwinkelte Stadtviertel. Hier scheint sich Akin am wohlsten zu fühlen, aus eigener jugendlicher Erfahrung in einer Hamburger Straßengang weiß er, was street credibility heißt. Die Songs umkreisen die Themen seiner Spielfilme: Freiheitssehnsucht, Liebesschmerz, Verzweiflung, Verlorenheit.

Den großen Sanges- und Kinohelden Orhan Gencebay setzt er gelassen vor sein eigenes Bild. Um den schwebenden Klangteppichen von Baba Zula das passende Ambiente zu geben, placiert er die Musiker auf ein träumerisch wiegendes Boot. Den intensivsten Moment des Films erreicht er mit der beinahe sakralen Stimmung, in die er die Klagelieder der kurdischen Sängerin Aynur taucht. Immer wird live gespielt, kein Playback, keine Clip-Ästhetik, dafür lang ausgehaltene, intensive Aufnahmen, wenig Schnitte. Dazu die Präsenz des Erzählers: "Sieht Hacke mit seiner exzentrischen Erscheinung und obsessionellen Hingabe nicht wie ein Kumpel von Birol Ünel in 'Gegen die Wand' aus?"

Die patzigen Grundsatz-Debatten um die Zugehörigkeit der Türkei zu Europa, ihr Recht auf eine EU-Mitgliedschaft kann man nach diesem Film gar nicht begreifen. Mit diesem Sound ist Istanbul eine moderne Stadt - ganz gegenwärtig durch die Art, wie sie ihre Vergangenheit mit unserer Zukunft verbindet.

CROSSING THE BRIDGE - THE SOUND OF ISTANBUL, D 2005 - Regie, Buch: Fatih Akin. Kamera: Hervé Dieu. Schnitt: Andrew Bird. Mit: Alexander Hacke, Baba Zula, Orient Expressions, Duman, Replikas, Erkin Koray, Ceza, Selim Sesler, Aynur, Orhan Gencebay, Mercan Dede. NFP, 92 Minuten.

© SZ v. 09.06.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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